Ina lief mit leicht gesenktem Kopf in den Saal. Es herrschte ein aufgeregtes Stimmengewirr, wie es bei Schulaufführungen üblich war. Trotzdem hatte Ina heute das Gefühl, dass ihr sämtliche Blicke folgten und alle wussten, dass sie adoptiert worden war. Natürlich wusste sie, dass dieser Gedanke totaler Unsinn war, aber trotzdem fühlte sie sich einfach unwohl. Manno, warum hatte Linus sie nicht einfach im Büro bleiben lassen? Natascha wäre bestimmt über ihr Fehlen locker hinweggekommen, schließlich war sie es ja noch von ihrem Vater gewohnt. Der hatte es auch nur sehr selten in die Schule geschafft. Nein, dafür war immer Ina als Familienvertreter bei ihrer Schwester zuständig gewesen. Und sie hatte nie eine Veranstaltung ausgelassen, so wie es ihre Mutter auch nie bei ihr getan hatte. Nach ihrem Tod hatte Ina Schulaufführungen gehasst, denn ihr Vater hatte nie Zeit dafür erübrigen können und wenn die anderen Mitschüler von ihren Angehörigen umarmt und ihnen Erfolg gewünscht oder später gratuliert worden war, hatte Ina alleine dagestanden und nur zugeschaut. Ihr Vater hatte ja große Geschäfte an Land zu ziehen gehabt. Dafür musste sie doch Verständnis haben. So war sie erzogen worden. Nein, auch wenn ihr gerade nicht danach war, sollte es Natascha nicht genauso gehen. „Inibini!", hörte sie die aufgeregte Stimme ihrer Schwester, die in einiger Entfernung wild mit den Händen winkte. Linus und sie schlugen den Weg zu Natascha ein. „Hier sind noch zwei Plätze für euch. Ich wusste doch, dass du erst auf den letzten Drücker aus dem Büro wegkommst. Ich hatte schon Angst du kommst gar nicht." Ina wurde von ihrer Schwester überschwänglich umarmt. Das tat irgendwie gut. Ja, es war wichtig, dass sie hier war, egal wie es ihr damit ging. „Toitoitoi!" sie zog ihre Schwester noch einmal an sich und drückte ihr einen Kuss auf ihre Haare. Der Duft ihrer kleinen Schwester, der ihr entgegenschlug, war ihr so vertraut und sofort breitete sich ein warmes Gefühl in ihr aus. Dieses Gefühl wurde aber ganz schnell wieder vertrieben. Wie würde Schischi wohl auf die Adoption reagieren, wenn sie ihr davon erzählte? Wenn sie wusste, dass nur sie das echte Kind ihrer Eltern war? „Alles gut bei dir?" Natascha schaute sie skeptisch an. „Ja, wieso?" „Na, weil du eben gezittert hast." War sie wirklich erschauert bei ihren Gedanken? „Du musst dir echt keinen Kopf machen, Inibini. Ich habe die Tanzschritte alle perfekt drauf und die Musik macht den Rest." „Na dann zeig, was du kannst!" Linus gab Natascha einen liebevollen Klaps auf den Hintern und zwinkerte ihr zu. „Wir werden dir zujubeln!" Ina war dankbar für die Unterstützung ihres Freundes, denn sie hätte gerade kein Wort herausbekommen. Das lag aber nicht an ihrer Schwester, sondern der Person, die sie einige Reihen hinter ihnen erblickt hatte. Was bitte machte diese Frau hier? „Komm lass uns hinsetzen. Es geht gleich los." Linus schob Ina auf ihren Stuhl. „Wusstest du, dass sie hier ist?", zischte Ina ihm wütend zu. Linus zuckte mit den Schultern. „Natascha hat Carmen, Ben und Julia zu der Vorführung eingeladen. Irgendwer musste sie ja fahren. Und wenn es dich beruhigt, Paula ist auch da. Außerdem wird Genia wohl kaum hier ein Gespräch mit dir führen wollen." Das wollte sie ihr auch nicht geraten haben. Das war hier nämlich die Vorstellung ihrer Schwester und nicht die Plattform für Menschen, die ihr Kind einfach weggaben. Ina drehte ihren Kopf ganz leicht und entdeckte dort tatsächlich Paula. Das ließ sie etwas aufatmen. Als der Vorhang vor ihr sich lichtete, wandte sie ihre ganze Aufmerksamkeit der Bühne zu. Die Musik scholl laut aus den Lautsprechern und Schüler und Schülerinnen kamen auf die Bühne gesprungen und begannen mit ihren Tanzschritten. Das Ganze war eine Hiphop Nummer, also nicht gerade Inas bevorzugter Musikstil. Trotzdem musste sie zugeben, dass es eine wirklich coole Nummer war und Natascha ihre Sache echt gut machte. Sie presste ihre Daumen ganz fest in ihre Handflächen und versuchte sich auf die Vorstellung zu konzentrieren. Das fiel ihr gar nicht so leicht, denn sie hatte die ganze Zeit das Gefühl beobachtet zu werden. Mit all ihrer Willenskraft unterdrückte sie den Drang sich umzudrehen....
„Gehen wir noch zu Mc doof?" Lucy schaute erwartungsvoll in die Runde. „Wenn ich ein Fußballspiel habe, gibt es das auch hinterher immer als Belohnung. Und Taschi hat das voll super gemacht." Da hatte die Kleine recht. Ina war auch stolz auf ihre Schwester. Aber sie würde sich mit Sicherheit nicht mit dieser Frau an einen Tisch setzen, die sie so erwartungsvoll anlächelte. Schon alleine dieses Lächeln machte sie total wütend. „Au ja, bitte Inibini. Ich bin auch voll hungrig." Natascha schaute sie bettelnd an. Nein, Ina würde jetzt nicht nachgeben. Egal, wie ihre Schwester schaute. Sie musste auch an sich selbst denken. Und wenn sie nicht bald aus dem Dunstkreis dieser Frau kam, dann platzte sie. „Wir fahren jetzt nach Hause." „Manno, nur, weil du wieder für diese blöde Firma arbeiten musst. Ich will nicht nach Hause. Ich will Burger essen!" Natascha stampfte mit ihrem Fuß auf. „Du kannst zu Hause auch etwas essen. Und nur zu deiner Information, ich werde nicht arbeiten, ich habe Kopfschmerzen." Das entsprach zwar nicht wirklich der Wahrheit. Weder das eine noch das andere, aber Ina wollte hier einfach nur noch weg. „Okay, dann fahren wir halt nach Hause." Mit schlechtem Gewissen nahm sie die Enttäuschung ihrer Schwester wahr. „Wenn es dir nicht gut geht, kann ich ja mit den Kindern zum Burgerbrater gehen und du ruhst dich zu Hause aus", schlug Genia vor. Wollte sie sich so bei ihr einschleimen oder so tun, als wäre sie besorgt? Das konnte sie vergessen. Das nahm Ina ihr nicht ab. Nein, im Gegenteil! Von wegen besorgt. Das war doch nur Theater. Sie spürte einen Stich im Herzen. Diese Frau hatte es noch nie wirklich interessiert, wie es ihr ging. „Von mir aus!", kam es fast knurrend aus ihrem Mund. „Am besten begleitest du Genia und ich fahre Ina nach Hause", wandte sich Paula an Linus. Sie strich Ina beruhigend über den Arm. „Ich weiß, wie das ist, wenn man Kopfschmerzen hat." Und mit diesen Worten zog sie Ina zu ihrem Auto, dass sie in der Nähe geparkt hatte.
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
RomanceLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...