Kapitel 119

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„Warum hast du mich denn nicht gleich angerufen? Ich wäre doch sofort gekommen."  Genia saß auf der Bettkante und stopfte Inas Bettdecke fest um sie, so wie sie es auch immer bei Espie tat. Ein unglaubliches Gefühl von Wärme und Geborgenheit durchfuhr Ina. „Ich....ich..... keine Ahnung." Sie musste schlucken. „Du hast nicht daran gedacht, dass es da jetzt wieder jemanden gibt, der für dich da ist."  Ina nickte schuldbewusst. Sie hatte in der ganzen Aufregung wirklich nicht daran gedacht.  „In der Firma war das totale Chaos los und .....und dann standen auch noch Thomas und Astrid vor der Tür. Erst habe ich sogar gedacht, dass Linus irgendwie entführt worden ist.....Ich....ich..." Ina spürte wie in ihr das schlechte Gewissen hochkam. Sie wollte auf keinen Fall, dass ihre Mutter dachte, sie vertraute ihr nicht. Nein, sie wollte nicht noch einen ihrer Lieblingsmenschen vergraulen. Genia strich mit ihrer Hand über Inas Haar. „Du warst total überfordert. Du musst dich nicht entschuldigen. Das ist ja auch eine ganze Menge, was in den letzten Wochen auf dich eingestürzt ist." Ina nickte leicht. Ja, sie fühlte sich Tatsache überfordert. „Ich weiß überhaupt nicht, wie ich das mit dieser blöden Firma alleine schaffen soll." Alleine bei dem Gedanken nach den Feiertagen dort wieder hinzugehen, wurde ihr übel. Glücklicherweise waren ja jetzt erst einmal bis zum 7. Januar Betriebsferien. In der Zeit musste sie sich unbedingt etwas einfallen lassen. Alleine würde sie die Arbeit nicht schaffen. Und Linus würde garantiert nicht mehr zurückkommen. Das stand ja fest. Selbst wenn sie es alleine schaffen wollte, war das ein Ding der Unmöglichkeit. Jedenfalls wenn sie nicht wie ihr Vater werden und auch nicht so enden wollte. Und das wollte sie auf keinen Fall. Das war ihr schon klar. Durch ihren Kopf schossen die Worte ihrer Schwester.  „Natascha hat gesagt, dass sie mich und die Firma hasst." Genia strich ihr wieder über ihr Haar. „Das hat sie mit Sicherheit nicht so gemeint. Keine Angst. Sie kriegt sich schon wieder ein. Teenager sind manchmal etwas impulsiv. Du warst das doch bestimmt auch." Ina schüttelte den Kopf. Nein, sie war immer angepasst gewesen und hatte alles getan, damit ihr Vater zufrieden war. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen so mit ihm zu reden, wie es Natascha mit ihr getan hatte. „Ich musste doch Mamas Aufgaben übernehmen, da hätte es nicht gepasst, wenn ich mich Papa gegenüber unangemessen verhalten hätte." Genia gab ein Brummen von sich und Ina war klar, dass ihr diese Aussage überhaupt nicht gefiel. Sie wusste aber auch, dass sich ihre Unzufriedenheit auf ihren Vater und nicht auf sie bezog. Genia hatte ihr schon mehr als einmal erklärt, dass dieser Gefühlskrüppel, der sich ihr Vater genannt hatte, etwas total Unmögliches von ihr verlangt hatte. Ja, bei Genia oder wenn ihre Mutter nicht gestorben wäre, hätte sie mit Sicherheit eine ganz andere Teenagerzeit erlebt. Wahrscheinlich mit viel mehr Spaß und weniger Verantwortung. Und vermutlich wäre sie dann genauso impulsiv wie Natascha heute gewesen. „Und wenn sich Natascha nicht einbekommt, dann wasche ich ihr mal den Kopf und mache ihr klar, was du schon alles für sie geopfert hast." Ina schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat doch Recht. Die Firma ist Scheiße. Wegen der Firma hat Papa sich zum Monster entwickelt. Immer war ihm die Firma wichtiger als alles andere. Wegen der Scheißfirma hat er Mama hintergangen. Deshalb wollte sie die Scheidung einreichen und ist vom Auto umgefahren worden. Und jetzt hasst mich Natascha auch noch wegen der blöden Firma", platzte es aus Ina heraus. „Weißt du, dass ich die Firma mittlerweile auch hasse. Es kostet mich jedes Mal Überwindung dort hinzugehen. Ständig hängt dort der Schatten von Papa über mir. Und dann muss ich daran denken, was er uns und Mona angetan hat. Ohne diese Scheißfirma wäre das alles vielleicht ganz anders gelaufen." „Du hast jetzt schon zweimal Scheißfirma gesagt und sogar zugegeben, dass du die Firma genauso wie Natascha hasst. Wieso gehst du da dann jeden Tag überhaupt hin?" War das nicht offensichtlich? „Was soll ich denn sonst machen? Von irgendetwas müssen wir doch leben und ich kann ja nichts anderes. Für mich gab es immer nur die Firma." Genia nickte verständnisvoll. „Es gab nur die Firma, weil dein Vater es so wollte. Richtig?" Diesmal war es Ina, die nickte. Ja, ihr Vater hatte ihr da nicht viel Auswahl gelassen. „Also zu dem Punkt wovon ihr leben sollt, fällt mir zum einen das Schließfach deiner Mutter wieder ein. Da kann man mit Sicherheit eine ganze Weile gut von leben. Zum anderen bin ich ja auch noch da, um dich beziehungsweise euch zu unterstützen. Der wichtigste Punkt ist doch aber der, dass du der Meinung bist, dass du nichts anderes kannst. Das ist etwas, dass man ganz leicht ändern kann. Du musst nur wissen, was du gerne machen möchtest. Du bist noch jung genug, um deinen eigenen Weg einzuschlagen." Genia machte eine kurze Pause und lächelte sie an. „Genau genommen ist man nie zu alt, um einen neuen Weg einzuschlagen. Ich bin doch das beste Beispiele. Ich habe schon so einige Wege versucht und erst jetzt den richtigen mit der Stiftung für mich gefunden. Man sollte immer versuchen das zu finden, wo man immer richtig mit Herzblut hintersteht. Und das kann sich auch im Laufe des Lebens ändern." Ina verzog ihr Gesicht. Sie hörte die donnernde Stimme ihres Vaters im Kopf. „Eine Preetz hat ihren vorbestimmten Platz. Da gibt es keine Diskussion." Das hatte sie all die Jahre so geschluckt und hingenommen. Ja, sogar mit Begeisterung hatte sie alles getan, um ihrem Vater zu entsprechen. Das war aber alles verpufft nachdem sie mehr hinter seine Fassade geschaut hatte. Das war sicher auch der Hauptgrund, warum es ihr so schwer fiel, in die Firma zu gehen und dort weiterhin ihr Bestes zu geben. Sie verband alles dort mit ihm und alles was sie noch für ihn empfand war Verachtung. Wie sollte sie also anders für die Firma empfinden? Ihr Vater war ja quasi die Firma gewesen.  „Was würdest du den gerne machen? Hättest du da schon eine Idee?" Genia musterte sie interessiert.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt