Kapitel 4

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„Hey Mom, ich wollte  mal wieder hören, wie es euch so geht." Linus spürte das gleiche schlechte Gewissen, das er immer spürte, wenn er seine Mutter anrief. Er meldete sich einfach viel zu selten. „Wie soll es zwei alten Latschen schon gehen, meen Jung. Dein Vater ist gerade noch auf Arbeit. Seine Firma hat da gerade so eine Großbaustelle in Altona. Er ist nur am Rumschimpfen, weil die ganzen Architekten überhaupt keinen Plan mehr von nichts haben. Ständig lassen sie sich irgendwelchen Humbug einfallen, der gar nicht umsetzbar ist. Aber auf den Plänen sieht es toll aus." Linus konnte sich lebhaft vorstellen, wie sein Alter da schimpfte. Er war halt auf dem Bau von der Pieke auf groß geworden und wenn dann da irgendwelche von der Uni kamen, die nicht einmal wussten, was es hieß eine Mauer zu ziehen, dann war bei seinem Vater Zappen duster. „Und bei mir ist alles im grünen Bereich. Die Kasse piepst bei jedem Artikel, den ich über den Scanner ziehe." Linus musste grinsen. Das war dieser typische norddeutsche Pragmatismus, den er hier in Düsseldorf oft vermisste. „Wann kommt ihr denn mal wieder nach Hamburg? Lea wird euch bestimmt zur Taufe von dem Kleinen einladen." Er hörte durchaus die Hoffnung, die in der Stimme seiner Mutter mitschwang. Das letzte Mal als sie sich gesehen hatten, waren Ina und er zu einem Immobilien-Kongress in Hamburg gewesen und hatten seine Familie nur kurz zu einem Essen in einem Restaurant getroffen, das seinen Eltern nicht wirklich zugesagt hatte. Sein Vater hatte die aufgeräumten Teller bemängelt und seine Mutter das ganze Gedöns dort. „Na da kommen wir dann auf alle Fälle", versuchte er ihre Hoffnung nicht zu zerstören, denn sicher war er nicht wirklich, dass das klappen würde. „Ja, und dann wohnt ihr hier bei uns und nicht in so einem ollen Kasten, wo alles unpersönlich ist. Das ist doch viel gemütlicher und kostet euch auch kein Geld."  Linus bezweifelte, dass Ina sich in seinem alten Kinderzimmer in dem Altbau, in dem sich die Wohnung seiner Eltern befand, wirklich wohl fühlen würde. Seine Mutter würde nie verstehen, dass das Geld in seinem Leben mittlerweile kein Problem mehr war. Egal, wie oft er ihnen etwas zukommen lassen wollte, lehnten sie es ab. Ja, sie hatten auch ihren Stolz. „Jetzt fliegen wir aber erst einmal für zwei Wochen nach Ibiza zur Hochzeit von meinem Kumpel." „Das ist ja schön. Da ist bestimmt besseres Wetter als hier bei uns an der Nordsee. Ich habe Papa auch schon vorgeschlagen, dass wir mal verreisen sollten. Meine Firma bietet doch auch immer günstig Reisen an." Seine Mutter machte eine kurze Pause und er sah förmlich, wie sie mit den Schultern zuckte. „Aber du kennst ja deinen Vater, den alten Sturschädel. Mehr als ein Tagesausflug nach Cuxhaven ist nicht drin." Linus kam eine spontane Idee. „Wieso besucht ihr uns nicht mal in Düsseldorf, wenn wir aus Ibiza zurück sind?" Das war zwar nicht mit Ina abgesprochen, aber sie würde schon nichts dagegen haben, jedenfalls hoffte er das. „Ja, das wäre schön. Ich war noch nie da unten im Rheinland. Ich wollte schon immer mal nach Köln zum Karneval." Die enthusiastische Stimmung seiner Mutter endete schlagartig. „Aber dein Vater will doch nicht weg aus Hamburg." Ina kam in sein Büro marschiert. Unter ihrem Arm hatte sie einen dicken Ordner klemmen. Sie schaute ihn fragend an und er formte lautlos mit seinen Lippen „Meine Mutter." „Liebe Grüße an deine Eltern", kam es prompt von Ina, und nicht lautlos. „Ist das Ina?" Sein Mutter hatte wirklich Ohren wie ein Luchs. Das hatte ihn früher schon immer geschafft, wenn er versucht hatte sich heimlich in die Wohnung zu schleichen, weil er zu spät dran war. „Ja." „Junge, dann will ich dich nicht länger aufhalten. Du musst arbeiten. Und auch ganz liebe Grüße an Ina." Ehe er noch etwas erwidern konnte, war das Gespräch auch schon beendet. Linus schüttelte seinen Kopf und legte das Telefon auf den Schreibtisch vor sich. „Schöne Grüße von meinen Eltern", wandte er sich an Ina, die nur lächelte. „Wir sollten deine Eltern mal zu uns nach Düsseldorf einladen. Ich möchte sie einmal richtig kennenlernen." Alleine dafür hätte er Ina gerade knuddeln können. Er erhob sich vom Stuhl und lief zu ihr. So ein kleiner Kuss als kleine Arbeitsmotivation konnte ja nicht schaden...
„Ich muss noch mit dem Planungsbüro telefonieren und dann bei der Baubehörde mal etwas Druck machen." Ina griff sich wieder den Ordner, den sie kurzzeitig auf den Schreibtisch plumpsen hatte lassen, als Linus sie mit seinem Kuss überrumpelt hatte. Also nicht, dass ihr der Kuss nicht gefallen hätte, aber wie sah es aus, wenn gerade in dem Moment die Sekretärin oder ein anderer Mitarbeiter in den Raum gekommen wäre? Ihr Vater hatte sie so erzogen, dass Gefühlsbekundungen nichts in der Firma zu suchen hatten. Sie hatte ihn ja nicht einmal als kleines Kind umarmen dürfen, wenn sie ihn dort zusammen mit ihrer Mutter besucht hatte.  „Außerdem muss ich nachher noch die Koffer packen und vorher noch zu meinem Papa in die Seniorenresidenz." Ja, sie nannte es absichtlich nicht Pflegeheim, obwohl es das genau getroffen hätte. Aber dieser Begriff passte nicht zu einem Constantin Preetz, der sein Leben lang nur so vor Energie gestrotzt hatte. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann war ihr Vater ein Pflegefall, der nicht ohne fremde Hilfe in der Lage war, sein Leben zu führen. Wenn sie nicht all zu lange bei ihm blieb, würde sie wahrscheinlich wenigstens noch vor Mitternacht mit den Koffern fertig sein. Auf keinen Fall durfte sie vergessen noch eine Sicherung ihres Laptops vorzunehmen, damit sie falls im Urlaub etwas schief lief, auf keinen Fall einen Datenverlust hatte. Auf Ibiza musste sie die Zeit dringend nutzen, um noch einmal die Kalkulation für den Großauftrag zum Bau des Einkaufszentrums zu überarbeiten. Bestimmt gab es da noch Potential, um ihn trotzdem noch mit genug Gewinn an Land zu ziehen. Linus schnappte sich den Ordner aus ihrer Hand. „So, ich kümmere mich jetzt um die Anrufe und du machst schon einmal Feierabend. Wir sehen uns dann zu Hause." Kurzzeitig hatte sie den Drang, ihm zu widersprechen. Sie konnte doch nicht......doch sie konnte! „Danke!" Diesmal war sie es, die sich nicht darum scherte, ob jemand sie im Büro knutschend erwischte. Schließlich hatten die Leute anzuklopfen.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt