Mit einem lauten metallische Knarren, gefolgt von einem Rumpsen landete ein Ordner vor Inas Füßen. „Was ist das?" Sie griff danach. „Vielleicht noch mehr kriminelles Zeug von deinem Vater?" Mit einem mulmigen Gefühl begann Ina in dem Ordner zu blättern. „Das muss der Ordner von Mama sein, den wir schon die ganze Zeit suchen." „Und wo kommt der her?" Genia setzte sich auf ihre Knie und linste in den Safe. „Wahnsinn! In dem Safe ist noch ein Geheimfach. Schau doch!" Auch Ina beugte sich vor und linste hinein. Tatsache, dort hatte sich scheinbar, durch ihren wütenden Tritt gegen den Sekretär, eine Klappe gelöst, die in den Mittelboden von unten eingebaut war. „Also, wenn wir den Ordner jetzt gefunden haben und hier nicht noch mehr Falltüren und Geheimfächer sind, können wir es uns doch jetzt eigentlich auf dem Sofa bequem machen, oder?" Genia rieb sich mit ihrer Hand den Rücken. Verflucht, ihre Mutter war schwanger und sollte hier nicht mit ihr auf dem Boden hinter irgendwelchen Möbeln herumkriechen. Luca würde ihr wahrscheinlich den Kopf abreißen. Und das sogar zurecht. Deshalb sprang Ina schnell auf und reichte ihrer Mutter ihre Hand, um ihr hoch zu helfen. „So alt bin ich ja nun auch wieder nicht, dass ich nicht alleine aufstehen kann." Genia richtete sich auf und umrundete den Sekretär. „Aber gegen ein weiches Sofa habe ich trotzdem nichts einzuwenden." Sie ließ sich in die Polster plumpsen. Ina setzte sich zusammen mit den drei Ordnern in der Hand neben sie. Die beiden von ihrem Vater legte sie auf dem Tisch vor ihnen ab und öffnete den von ihrer Mutter. Als erstes stieß sie auf Adoptionsunterlagen. Okay, die waren jetzt nicht so spannend, denn was die Adoption anging, wusste sie ja zwischenzeitlich alles. Jedenfalls hoffte sie das. Nicht, dass noch mehr Überraschungen ans Licht kamen. Ina blätterte weiter. Okay, das Erpressungsschreiben ihres Vaters. Auch das kannte sie. Danach folgten irgendwelche Firmenunterlagen. Aber für die hatte sie gerade keinen Nerv. Die sahen wie irgendwelche Verträge aus. Am Ende folgte wieder ein Umschlag. Auf dem stand aber ein Bankname und irgendwelche Zahlen und ein Wort Moinnat. Was hatte das zu bedeuten? „Ist in dem Umschlag etwas drin?" Um die Frage ihrer Mutter zu beantworten, musste sie ihn erst einmal öffnen. „Das fühlt sich wie ein Schlüssel an." Ina tastete den Umschlag ab, ehe sie ihn aufriss. Zum Vorschein kam wirklich ein Schlüssel. Sie drehte und wendete ihn zwischen ihren Fingern. „Wofür soll der bitte sein?" Gab es hier noch mehr Geheimfächer? „Also ich denke für ein Bankschließfach." Genia deutete mit ihrem Finger auf die Vorderseite des Umschlags. „Wenigstens lässt uns deine Mutter nicht wieder überall suchen, sondern gibt uns einen Anhaltspunkt." Sie schüttelte ihren Kopf. „Irgendwie hatten die beiden aber ein Eichhörnchensyndrom." Was meinte sie denn damit? „Eichhörnchensyndrom?" Genia nickte. „Ja, die verstecken ihre Eicheln auch immer so, dass sie keiner findet. Manchmal sie selbst nicht." Ina musste kichern. „Oder wie Piraten. Mama hat früher oft mit mir Pirat gespielt. Dann haben wir uns mit Tüchern über dem Kopf verkleidet und Augenklappen angelegt. Als Schatzkarte hatten wir immer einen alten Atlas. Da haben wir dann eingezeichnet, wo wir überall nach Schätzen suchen wollen. Mama hat immer gesagt, die größten Schätze liegen immer im Verborgenen. Papa fand das immer total albern, wenn er uns so erwischt hat." Das konnte sich Genia gut vorstellen. Ihre Mutter hatte auch immer die Augen verdreht, wenn ihr Vater und sie sich als Forscher verkleidet hatten und mit einer Lupe bewaffnet in den Garten verschwunden waren. Sie hatten immer nach irgendwelchen Insekten Ausschau gehalten. „Na ja, ihr Schatz hat ja wirklich ziemlich im Verborgenen gelegen. Irgendwie ist das schon komisch, dass sie es scheinbar vor deinem Vater versteckt hat. Hast du nicht erzählt, sie waren beide glücklich miteinander? Also ich verstecke nichts vor Luca." Genia verzog ihr Gesicht zu einem breiten Grinsen. „Außer seinem Weihnachtsgeschenk." Da hatte sie recht. Ina versteckte auch nichts vor Linus. Nicht einmal sein Weihnachtsgeschenk. Das war aber der Tatsache geschuldet, dass sie noch gar keins hatte. Okay, es war ja auch noch eine Woche Zeit. Schlagartig wurde ihr übel. Linus fehlendes Geschenk war nicht das einzig. Genaugenommen hatte sie durch die ganze Aufregung noch kein einziges und ihre Familie hatte sich dramatisch vergrößert. Das war aber ein Problem, dass sie ab morgen in Angriff nehmen würde. Jetzt galt es erst einmal noch das Geheimnis um den Ordner ihrer Mutter zu lüften, damit sie den Kopf für etwas anderes frei hatte. In Inas Kopf echote plötzlich Genias Satz. Waren ihre Eltern wirklich glücklich miteinander gewesen? Sie musste an die Sätze ihres Vaters über ihre Mutter in dem Brief denken. Sie waren nicht wirklich sehr schmeichelhaft gewesen. Hatte er ihre Mutter überhaupt ernst genommen? War die Liebe vielleicht nur einseitig gewesen? Denn wenn sie an die Tagebücher ihrer Mutter dachte, dann war sie sich sicher, dass sie ihren Vater geliebt hatte. Ihr fiel wieder der Streit um den Schlüssel ein. Okay, wenn sie genau zurück dachte, gab es vielleicht auch öfter laute Gespräche. Gerade kurz vor dem Tod ihrer Mutter. „Vielleicht steht etwas dazu in ihrem Tagebuch." Ina war ja durch die Suche nach dem Ordner und dann den Herzinfarkt und Tod ihres Vaters überhaupt nicht mehr dazu gekommen das letzte Tagebuch ihrer Mutter weiterzulesen. Bestimmt gab es dort einen Hinweis, warum sie die Unterlagen dort im Geheimfach des Safes versteckt hatte. Und vielleicht fand sie dort sogar eine Erläuterung, was es mit ihnen auf sich hatte. Ja, das war sogar mehr als nur ein bisschen wahrscheinlich, denn das Tagebuch schien wohl die beste Freundin für ihre Mutter ersetzt zu haben. Ihm hatte sie wohl alles anvertraut.
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
RomanceLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...