Kapitel 97

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Ina konnte immer noch nicht glauben, dass sie nicht einmal im Ansatz geahnt hatte, dass ihre Mutter fest zu einer Scheidung entschlossen war. Ihre Eltern hatten doch immer so.......so harmonisch gewirkt. Sie war doch damals schon Teenager und hätte es doch mitbekommen müssen. War sie wirklich so blind gewesen?
„Ich kann deine Mutter da gut verstehen. Nach so viel Vertrauensmissbrauch, könnte ich mit dem Mann auch nicht weiter zusammenleben." Ina schaute Genia nachdenklich an. Da hatte sie recht, wenn sie sich überlegte, dass Linus mit der Firma hinter ihrem Rücken so miese Sachen abziehen würde, würde sie sich auch von ihm trennen.
„So wie es aussieht, hatte deine Mutter auch schon einen festen Plan, wie es für euch weitergehen sollte." Genia deutete auf das Tagebuch. Ja, wie es aussah, hatte ihre Mutter das wirklich. Ina war neugierig, was ihre Mutter alles geplant hatte.
Ich habe jetzt einige Unterlagen zusammen, mit denen ich dafür sorgen kann, dass Constantin ohne Probleme mir das alleinige Sorgerecht überlässt. Natürlich wird er nicht bereit sein und Unterhalt zahlen und dank seiner hinterhältigen Firmenumstrukturierung werde ich da auch nur sehr wenig Einnahmen haben. Ich habe schon überlegt, dass ich irgendwann mit den Mädels in eine kleine Wohnung ziehe und die Villa vermieten werde. Wir brauchen ja nicht so viel Raum. Wie hat mein Opa immer gesagt, glücklich sein kann man auch in der kleinsten Hütte, wenn man mit den richtigen Menschen zusammen ist. Und meine beiden Mäuse sind die wichtigsten Menschen in meinem Leben.
Es tat Ina so gut, genau diese Worte zu lesen. Ja, sie bedeuteten ihr eine Menge. Alle Unsicherheit, die sie nach dem Fund der Adoptionsunterlagen gespürt hatte, waren total weggeblasen.
Glücklicherweise habe ich ja auch noch eine kleine Reserve, falls das Geld doch noch einmal knapp werden sollte. Danke Opa, dass du mir deine Münzsammlung und Goldbarren vermacht hast. Wie gut, dass ich immer vergessen habe, Constantin davon zu erzählen, dass es da ein Bankschließfach gibt. Vielleicht war das damals schon ein Bauchgefühl, dass ich das als stille Reserve irgendwann brauchen werde. Ich weiß es nicht. Aber jetzt bin ich glücklich, dass es so war.
„Dann müsste es ja dieses Schließfach immer noch geben, wenn Papa davon nichts wusste. Aber so ein Schließfach kostet doch bestimmt auch." Ina griff nach dem Umschlag, den sie auf den Tisch gelegt hatte. „Das ist die Bank, wo wir auch die ganzen Geschäftskonten haben." Sie dachte kurz nach. „Wahrscheinlich ist es deshalb gar nicht aufgefallen, wenn da Gebühren angefallen sind." Genia nickte. „Das wäre möglich. Sonst hätte es ja auch irgendwie ein Schreiben oder so von der Bank geben müssen, dass es geräumt wird."
Ich habe heute einen großen Betrag von unserem Gemeinschaftskonto abgehoben, um mir schon einmal eine Geldreserve anzulegen. Constantin habe ich einfach erzählt ich hätte einen Shoppingtag in den Boutiquen unternommen. Der merkt sowieso nicht, ob ich neue Kleider habe oder nicht. Dazu müsste er ja mich und nicht nur seine Firmenunterlagen anschauen. Das Geld habe ich auch erst einmal im Schließfach deponiert. Es nützt mir ja nichts, wenn ich mit den Kindern mit leeren Händen da stehe. Ich werde die ganzen Designerklamotten auch verkaufen. Da kommt bestimmt noch etwas mehr Geld zusammen. Robert hat mir versprochen, dass er das Beste für mich bei der Scheidung herausholt. Trotzdem wird es nicht sehr viel sein. Dafür wird Constantin schon sorgen. Wer andere erpresst, der schafft es auch Bilanzen so aussehen zu lassen, als wäre er kurz vor der Pleite. Ja, in einem unserer Streits hat er zugegeben, dass die Unterschrift bei der Zustimmung der Adoption gefälscht wurde. Er hat sich sogar damit gebrüstet, dass er aus dem Wissen Kapital gemacht hat. Auch wenn es mir widerstrebt, es genauso zu machen, muss ich es mir trotzdem offenhalten. Deshalb habe ich auch ein paar Unterlagen kopiert und in das Geheimfach im Safe gelegt. Bis jetzt weiß Constantin ja noch nicht, wo der Safe ist, aber er hat letztens den Schlüssel entdeckt. Und sicher ist sicher. Ich war bis jetzt einfach zu unvorsichtig. Nein, ich war nicht unvorsichtig. Ich habe nur an eine echte Partnerschaft mit meinem Ehemann geglaubt. Das ist nicht Naivität, sondern Liebe. Jedenfalls wenn beide so denken. Ich kann mir nur vorwerfen, dass mir nicht schon früher aufgefallen ist, wie Constantin wirklich ist. Morgen habe ich wieder einen Termin bei Robert. Da wollen wir dann den Scheidungsantrag fertigmachen und einreichen. Robert ist echt lieb zu mir. Er hat mir sogar einen Halbtagsjob als Wirtschaftsprüferin in seiner Kanzlei angeboten. Vielleicht mache ich das wirklich. Bei ihm könnte ich so arbeiten, dass ich noch genug Zeit für meine Mäuse habe und sie nicht darunter leiden müssen. Und mein Studium wäre dann damals auch nicht umsonst gewesen. Ab morgen beginnt dann unser neues Leben. Ich muss dringend einen Schlosser die Schlösser auswechseln lassen. Ich werde alles für meine beiden Mäuse tun, damit sie ein schönes Leben haben. Ich liebe die beiden so sehr.
„Wow, das hätte ich echt nicht gedacht. Sie hatte ein neues Leben mit Natascha und mir geplant." Ina versuchte sich die Zeit in Erinnerung zu rufen. „Obwohl, Mama war damals oft nachdenklich. Und einmal hat sie zu mir auch gesagt, dass ich immer daran denken soll, dass man manchmal auch den Schritt ins Ungewisse wagen muss und dass Integrität sehr wichtig ist. Ich habe damals aber gedacht, dass sie meinte ich solle mich auch mal was trauen, ohne mich selbst dabei zu vergessen." Ina schüttelte ihren Kopf. „Wie konnte ich nur jemals denken, dass sie mich vielleicht gar nicht wollte"
„Was hat sie denn noch geschrieben?" Genia schielte neugierig in das Tagebuch. „Nichts mehr. Das war ihr letzter Eintrag. Am nächsten Tag ist sie gestorben." Ina schossen die Tränen in die Augen. „Sie hat uns geliebt", schluchzte sie. „Natürlich hat sie euch geliebt." Genia nahm sie in den Arm und tröstete sie bis sie sich wieder beruhigt hatte. „Was ist eigentlich passiert? Sie war doch nicht krank oder?" Ina schüttelte den Kopf. „Nein, sie hatte einen Unfall. Sie ist damals von einem Auto erfasst worden als sie über den Zebrastreifen lief. Der Fahrer hat einfach Fahrerflucht begangen und sie liegen gelassen. Es war bei Onkel Robert vor der Tür." Genia schlug ihre Hand schockiert vor den Mund. „Das ist ja schrecklich. War sie gleich...." Sie brach ab. Ina schüttelte den Kopf. „Nein, Onkel Robert hat den Aufprall wohl mitbekommen und ist gleich zu ihr hin. Sie ist dann auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben." Genia zog Ina, der schon wieder Tränen über die Wangen liefen, wieder in ihren Arm und strich ihr über ihre Haare. „Hat man diesen Dreckskerl wenigstens bekommen und ihn bestraft?" „Nein, man weiß nur, dass es eine Nobelkarosse war. Aber niemand hat sich das Kennzeichen gemerkt." In Genia keimte ein ganz mieser Gedanke auf, den sie ganz schnell verdrängte. Nein, so mies war nicht einmal Conny oder ihre Mutter. Außerdem, woher hätten sie von dem Termin wissen sollen. Das war ja alles Blödsinn.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt