Ein schlimmerer Tag als Sonntag? Montag. Denn sobald wir vor der Schule parken habe ich schon keine Lust und brauche einen Moment, um zu realisieren, dass die Qual sich erneut für eine Woche wiederholen wird. Im Sitz versunken starre ich voraus, während Nate schon seinen Rucksack aus den hinteren Plätzen holt. Dabei erblicke ich die Stelle, an der ich Jordan zum letzten Mal gesehen habe. Alleine die Erinnerung, wie er mich von dort aus im Auto sitzend angesehen hat, verursacht ein komisches Gefühl in mir, dass ich nicht deuten kann.
Es fühlt sich schon fast mulmig an durch das Schultor zu gehen. Und sobald wir das auch tun, wird Nate von den verbliebenen Mädchen angesprochen, die ihn anscheinend süß finden. Ist klar, wenn ich ihn als hilflos bezeichne, wird er pissig, aber bei ihnen grinst er blöd herum.
Ich verabschiede mich einfach, wie die letzten Tage zuvor, und setze mich, wartend auf das Klingeln zum Unterricht, weiter weg hin. Wie schon gewohnt, blicke ich über den Hof. Ausschau haltend nach den einen Typen, den ausgerechnet ich umwerben mag. Aber er ist nicht aufzufinden. Nate auf ihn angesprochen habe ich nun auch nicht und werde es auch nicht, weil es nichts bringen würde. Aber die Sache einfach so stehen lassen möchte ich auch nicht. Wenn er sich schon nicht entschuldigen möchte, sollte ich es wenigstens für ihn tun. Ein Teil, der zu meinem Bruder hält, wehrt sich sofort, aber ich muss es machen. Das beschäftigt mich für den ganzen Tag, aber ich finde keine Erlösung, da ich Jordan nicht finden kann.
Am nächsten Tag sehe ich ihn dann tatsächlich in der ersten Pause und plötzlich ist der Mut, den ich bei der Suche noch hatte, verflogen. Ich versteife mich vor Nervosität und weiß kurzzeitig nicht, was ich mir im Kopf zusammengereimt habe, um keine peinliche Situation zu kreieren. Vielleicht sollte ich die nächste Pause nutzen? Die ist deutlich länger. Der Gedanke ist verlockend, aber tief im Inneren schreie ich mich an, es nicht zu tun. Zusätzlich sind seine Freunde gerade nicht bei ihm, also ist es eigentlich perfekt.
Ich schnaufe einmal aus und nähere mich ihm. Jetzt heißt es ruhig bleiben. Oh, bitte, Herr Gott, lass mich nicht aufquiecken oder stottern. Bitte...
Unerwartet sieht er vom Handy auf und sieht mich direkt an, während ich näher komme. Wieso. Gott. Nein. Er ändert seine lockere Sitzposition auf der Bank nicht, aber grinst plötzlich auf.
"Na, wenn das nicht meine Beschützerin ist." meint er, als ich bei ihm bin, doch ich verstehe nicht. In der Stille scheint er meine Verwirrung zu bemerken und spricht weiter. "Weil du dich am Freitag vor deinen Bruder gestellt hast und so...?"
"Aah, das. Das war doch nichts. Er hat es sogar geschafft, dich zu schlagen. Also würde ich nicht meinen, dass ich dir erfolgreich geholfen habe. Ich bin keine Beschützerin." sage ich peinlich berührt und sehe schon zu dem Kieselweg unter uns.
"Ach so." kommentiert er nur und ich sehe wieder sein verschmitztes Grinsen. Oh, du Heilige. "Wolltest du eigetnlich etwas bestimmtes von mir?"
"Oh! Ja, ehm, wollte ich, genau. Ich wollte- wollte irgendwie-..." mir fehlen die Worte. Er macht mich in der Nähe nervöser, als aus der Ferne, weshalb es still bleibt. Er hebt die Augenbraue, doch nur um darauf den Kopf schräg zu legen, während sein Arm sich auf die Lehne der Bank niederlegt. "Wolltet ihr nicht, dass ich mich von euch fern halte?"
"Was? Ah! Nein!" sage ich etwas zu laut, "Mein Bruder- Er-Ich meine ich-" Ich atme erschöpft aus, "Er hatte das zwar gesagt, aber keine Sorge. Er mag zwar wütend sein, aber ich nicht. Ich wette, du hattest selbst deine Gründe für das, was du getan hast. Also ist alles cool. Jedenfalls bei mir." Das nach den vielen Tagen endlich aus der Seele gelassen zu haben, erleichtert mich immens und ich stehe nun um einiges entspannter da. Er sieht überrascht aus, doch lächelt wieder. Nur...anders, als bisher. Es ist zu sehen, wie etwas in seinen Augen aufblitzt.
"Das heißt, ich muss nicht erst Probleme machen, um endlich mit dir zu sprechen?" Was? Mein Kopf ist leer gefegt und ich kann das Gesagte nicht verarbeiten. Was hat er gerade gesagt? Mein Gesicht muss wirklich dumm aussehen, denn sein Lächeln wird tiefer.
"Ja, nein, nein. Alles in bester Ordnung." finde ich endlich meine Stimme, "Er würde dich dafür nicht wieder angreifen. Jedenfalls würde ich das nicht zulassen." Meine eigenen Worte machen mich rot. Er grinst plötzlich wissend und ich könnte mich bis zum Tor schlagen. Hör' auf zu reden! "Je-Jedenfalls! Wollte ich mich für Nate entschuldigen. Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde."
"Gar nicht so schlimm, aber süß, dass du dich so darum sorgst." Verdammt. Seine Stimme. Und seine Worte. Ich halte das nicht mehr aus.
"Naja, haha, dann gehe ich mal wieder. Du willst bestimmt schon zu deinen Freunden." gehe ich langsam Rückwerts. "Dann bye!"
"Ja, bis zum nächsten Mal." Jetzt nicht stolpern oder peinlich sein. Es lief so gut! Ich drehe mich komplett um und gehe schon weg, als ich ihn wieder höre. "Haley!" Abrupt bleibe ich stehen und sehe fragend zu ihm. Es fühlt sich unglaublich an, meinen Namen aus seinem Mund zu hören. Zum ersten Mal höre ich ihn ihn sagen. Er grinst verschwörerisch und schüttelt nur den Kopf. Verwirrend, aber wegen der vielen Explosionen in mir, lasse ich es einfach fallen. Ich habe heute definitv zu viel von ihm bekommen. Ich glaube ich fall gleich um.
Zu meinem Entsetzen passiert es nur Tage später, dass über uns Gerüchte aufkommen und Nate mich gereizt im Flur anspricht. "Du hast mit Jordan gesprochen?"
"Was? Woher hast du das?"
"Tu' nicht so auf unschuldig. Keith hat es mir erzählt. Er konnte es selbst nicht glauben, als er viele darüber sprechen hörte. Hat er dich angesprochen?" Er verhält sich wie besessen.
"Nein, Nate. Er hat nichts getan. Keine Angst." bleibe ich ruhig und er kommt etwas runter.
"Was wolltest du dann von ihm?"
"Oh man, ich wollte nur nach ihm sehen. Ich wollte nicht, dass am Ende noch mehr Probleme aufkommen. Wer weiß, vielleicht hatte er vor dich nach dieser Aktion umzubringen." Ein wenig darf ich ihn doch wohl anlügen.
"Misch dich doch nicht ein." sagt er erstmal empört, doch seufzt dann und reibt sich beruhigend die Augen, um deutlich ruhiger fortzufahren, "Hör zu, ich weiß, du meinst es nur gut, aber ich kann mich selbst um meine Probleme kümmern, ok? Ich weiß auch deine Sorge für mich zu schätzen, aber bitte lass es von nun an und halte dich von diesem Typen so gut es geht fern."
Ich bin zwar glücklich, dass er mir seine Dankbarkeit so ruhig versichert, aber meine Brust zieht sich beim letzten Part zusammen. Ich nicke nur, aber weiß, dass ich das nie wirklich einhalten werde können. Er hebt seine Hand und lässt sie für wenige Sekunden in der Luft umherschwenken, nicht wissend, wie er sich verabschieden soll. Worauf er sie mir einfach auf den Kopf legt, um ihn knapp zu tätscheln und haut ab. Wir beide sind glücklicherweise der Meinung, soetwas wie Geschwisterliebe in der Schule nicht zu zeigen.
Frustriert sehe ich aus dem Fenster und wie das Schicksal es möchte, sehe ich sofort, wie Jordan über den Hof zu seinen Freunden geht. Ich atme erschöpft aus und begebe mich zu meinem Raum.
"Sag mal, ist es wahr, dass Jordan und du geflirtet habt?" fragt mich am selben Tag meine Banknachbarin, Casel. "Was?" Das ist letzte Zeit wohl mein Lieblingswort. "Nein, wann denn bitte?"
"Ihr habt anscheinend zusammen geredet und saht für andere ganz schön...naja, danach aus."
Ich schüttle nur hastig den Kopf. Wir beide flirten? Niemals würde er das tun. Doch dann erinnere ich mich an seine Worte, die ich nicht einmal realisieren konnte. War das ein Flirtversuch? Nein, haha. Als ob. Er würde niemals jemanden wie mich wollen. Meine eigenen Gedanken machen mich traurig. Aber er hatte das Wort 'endlich' verwendet und das verwirrt mich. Er wollte 'endlich' mit mir reden. Was sollte das heißen? Hatte es überhaupt eine Bedeutung? Wahrscheinlich nicht. Trotzdem will es mir nicht aus dem Kopf gehen.
"Ist es wahr, dass du und Jordan alte Freunde seid?" dreht sich plötzlich Maddy mit ihren goldenen kurzen Locken zu mir um und mustert mich neugierig mit einem Grinsen. Woher kommt das jetzt? Ich kann nicht fassen, dass sich jemand sowas ausgedacht hat. "Nein. Das ergibt keinen Sinn." Sie mustert mich noch vielsagend, bis sie sich wieder umdreht. Wie sehr ich doch die Gerüchteküche hasse. Wie kann Jordan soetwas nur aushalten?
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Irresistible
Teen FictionEs dauert lange bis sich Haleys Weg wieder mit seinem kreuzt, doch wie es das Schicksal will, lernt sie alleine seinen Namen erst durch seine Verfeindung mit ihrem Bruder kennen. Seine Reaktion jedoch, als er sie sieht, ist überraschend und es folgt...