Kapitel 77

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Ich kann Mitchel schon irgendwie verstehen. Fahrschule kann echt anstrengend sein. Erst recht an einem Dienstag nach der Schule. Ich fühle mich ausgelaugt. Dabei habe ich erst gestern damit angefangen. Müde puste ich die Luft aus meinen Lungen, während ich die befahrene Straße ansehe. Etwas weiter hinten müsste ein Café sein. Ein schöner Cappuccino wird mich bestimmt wieder wach rütteln.

Trotzdem zufrieden gehe ich die sonnige Straße in meinem beigen Mantel entlang und überlege Jordan zu schreiben. Wir hatten erst gestern Abend telefoniert, weil er sich über seinen betrunkenen Vater aufgeregt hatte. Er muss sich um so viel sorgen. Wie schafft dieser Mensch das alles? Ich bin sogar so sehr in Gedanken über ihn verloren, dass ich mich nicht mehr paranoid nach Edwin umsehe. Ich versuche einfach nicht an ihn zu denken.

Ich laufe die Straße weiter entlang, als ich in der einen Ecke etwas weiter einen Tumult mitbekomme. Verwirrt beobachte ich, wie auf der gegenüberliegenden Ecke ein Streifenwagen vor der Polizeistation Halt gemacht hat und zwei Polizisten einen sich wehrenden Mann abführen. Als ich sehe, wer es ist stoppe ich kurz und werde von dem Fußgänger hinter mir meckernd angerempelt. Doch mein Blick geht starr zu der Situation weiter vorne, wo lauter Protest gerufen wird, den ich von hier nicht genau hören kann. Aber die Art, wie Lorx von den zwei grimmig dreinblickenden Polzisten gehalten wird, als sie ihn zum kleinen Gebäude führen, reicht aus, um zu wissen, dass er in Schwierigkeiten steckt.

In totaler Stille spüre ich das Verlangen, ihm zur Hilfe zu eilen. Auch wenn mir bewusst ist, dass Jordan das gar nicht wollen würde. Mit schnellen Schritten sprinte ich schon fast die Straße entlang und ignoriere die rot leuchtende Fußgängerampel, die mich direkt zur Ecke der Station führt. Nervös stehe ich vor dem Eingang durch den Lorx geführt wurde. Durch das Glas kann ich nicht viel erkennen, weshalb ich ein wenig zu hastig hindurchtrete und mit einem klingelnden Telefon und mich beäugenden Beamten konfrontiert werde.

Ich war noch nie in einer Polizeistation. Geschweige habe mit einem Polizisten geredet. Nervös überblicke ich den Raum voller Menschen, die mich eigentlich beschützen und doch einschüchternd wirken mit ihrer zustehenden Macht. Lorx ist gerade dabei in einen verglasten Raum geführt zu werden, der vorübergehend wohl einige Insassen aufbewahrt, während alles um sie geregelt wird.

Unwohl gehe ich einige Schritte zu ihnen vor und kann nur hoffen, nichts strafbares dabei zu machen. Erst bei den hüfthohen Türen aus Glas bleibe ich stehen und die Frau an der Rezeption fragt, was ich will. Dabei huscht nur kurzfristig mein Blick zu dieser dunkelhäutigen Frau, bevor er wieder zu Lorx und dem molligen Polizisten geht, der ihn soeben die Handschellen neu anlegt und die Tür zum verglasten Raum von einem anderen bereit gehalten wird. "Lorx?" frage ich laut und tatsächlich ist es er. Denn er, als auch die Polizisten sehen nun zu mir. Sein Gesicht sieht bei meinem Anblick genauso erschrocken aus, wie wohl meines. Doch genauso schwappt große Erleichterung über ihn. "Haley?" haucht er nur.

"Was ist denn passiert?"

"Er ist ihnen also bekannt?" fragt mich der mollige Polizist, während er die Handschellen festhält, die nun um die Handgelenke meines Kumpels hängen.

Kurzzeitig fühle ich mich verloren, doch bringe ein nicken heraus. "Er ist ein Freund von mir." Bei dieser Äußerung sieht der Beamte mich krumm an. Er lässt mich schon selbst wie eine Verbrecherin fühlen, egal wie oft ich mir im Kopf sage, dass ich nichts verbrochen habe. "Was ist denn passiert?"

Der Beamte seufzt und sieht Lorx streng an. "Das kann ich ihnen aus rechtlichen Gründen nicht verraten. Aber ihr Freund wird für eine unbestimmte Zeit eingewiesen." Er macht weiter, indem  er Lorx von mir weg dreht, doch dieser versucht mir eindringlich ins Gesicht zu sehen.

"Ich wurde beim stählen erwischt. Haley, du musst mir irgendwie helfen, bitte. Das wäre gar nicht gut."

"Sei still. Dann hättest du es gar nicht erst versuchen sollen!" stupst ihn der Beamte grob. Dabei ist er vom Körperbau kaum größer als Lorx und wäre ihm in einem Kampf hochaus ausgeliefert. Mein Herzschlag wird härter, als ich mit ansehe, wie sie ihm die Tür zu den anderen fies ausehenden Verbrechern öffnen. "Halt! Ich kann doch bestimmt etwas tun, oder nicht?" Verzweifelt lehne ich mich gegen die Klappen vor mir, während sie ihn durch die Tür drücken.

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