Kapitel 89

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Am nächsten Tag versucht Mitchel sich wie immer zu verhalten, während wir in Musik zusammen sitzen, aber die Minimale Zurückhaltung seinerseits entgeht mir nicht. Zusätzlich kommt er mir angespannt herüber und ich habe die Vermutung, es hat mit dem gestrigen Besuch bei meiner Oma zu tun.
Wenigstens bei Mitchel hatte ich gehofft, dass er das schnell übersehen kann, aber jetzt merke ich, dass er nicht unbedingt anders ist als andere. Ausnutzen wird er mich niemals. Das ist mir klar, aber er lässt sich davon beeinträchtigen.
Mit gesenkter Stimme neige ich mich zu ihm. "Also klappt es bei dir am Mittwoch?"
"Was?" fragt er laut, sodass wenige aus dem Kurs sogar zu uns sehen und ich setzte mich mit großen Augen wieder gerade.
Kurz darauf merkt auch er, was er getan hat und räuspert sich. Während unsere Lehrerin fragt, was er nicht verstanden hat, mustere ich ihn eingehend. Mir ist klar, dass Mitchel sich nie auf den Unterricht konzentriert und Musik ihn nicht mehr interessieren könnte, als alles andere, aber ich sehe ihm an, dass seine Gedanken bei etwas bestimmten sind.

"Sorry, was hast du nochmal gefragt?" flüstert er zu mir gelehnt, sobald er die Lehrerin los ist. Einen Moment sehe ich ihn besorgt an, bevor ich wieder antworte. "Ob Mittwoch wirklich ok ist."
"Ah, das. Ja, klar. Wieso sollte es das nicht?" Wieder schauen wir uns direkt an und ich kann nur die Schultern zucken. Jetzt, wo seine Augen nur wenige Zentimeter von meinen sind, kann ich viel besser eine Regung in ihnen erkennen. Es ist wie ein umschalten in seinem Kopf und die Furchen auf seiner Stirn verschwinden. Ich erwarte schon, dass er mir etwas sagen will, während er mir minimal näher kommt und ich schon seinen Atem spüre, aber er öffnet seine Lippen nur kaum merklich und stockt plötzlich. "Ich-Ehh.." stottert er auf einmal und blinzelt, während er sich wieder zurück lehnt. "Ehm...Wegen Mittwoch.." versucht er weiter zu reden, doch sein Hirn scheint Probleme dabei zu haben sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Er sieht wirr durch den Raum, was mich den Kopf verwirrt schräg legen lässt, aber bekommt darauf wohl doch noch die Kurve. "Genau, wer wird nochmal neben deinem Bruder da sein?" und sieht mich mit gespielter Fassung an, während seine Lippen sich aufeinander pressen.
"Leute aus unserem Jahrgang. Keith und Frel, wenn dir die Namen was sagen." sage ich vorsichtig mit einem aufmerksamen Blick auf ihm.
Er sieht nickend weg, bevor er sich an seinen Stuhl zurücklehnt. Doch er hört nicht auf, so komisch herüber zu kommen, auch wenn er nur mit verkreuzten Armen die Tafel anstarrt.

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Es ist Samstag Vormittag, als mich Jordan unerwartet anruft und ich erfürchtig rangehe. Er tut das selten und ich habe schon Angst, dass ich wieder etwas flasch gemacht habe. Immerhin haben wir uns über die Woche kaum gesehen. Außerdem ist die Uhrzeit viel zu früh, als das er unter normalen Umständen wach sein sollte.
"Wo bist du?" brummt er ruhig am anderen Ende.
Mit zusammengezogenen Brauen stehe ich erstarrt da. "Immer noch Zuhause. Wieso?"
Er bleibt einen Moment still und ich höre seinen langen Atem. "Kommst du heute vorbei?"
"Was? Zu dir?" ungläubig starre ich den Boden an. "Jordan, ich habe immer noch Hausarrest. Bis zur nächsten Woche. Ich darf nirgendwo hin."
"Komm' schon, Haley." raunt er tief, dass es schon fast in ein Hauchen übergeht, und mir Gänsehaut bereitet. "Du kannst doch bestimmt für ein Paar Stunden unbemerkt abhauen. Scheiß einfach darauf, was deine Eltern wollen."
Seine leise Stimme klingt schon fast verzweifelt und wirft mich in ein heißes zittern. Das ist was neues bei ihm. Umso schwerer fällt es mir, ihm abzusagen.

Er seufzt, doch lässt es widerwillig sein. Über das kleine Telefonat hinweg verändert sich seine bedrückte Stimmung nicht und mein Verlangen ihn zu umarmen wird immer größer. Sobald mein Hausarrest aufgehoben ist, werde ich ihn treffen und so schnell wie möglich meinen Großeltern vorstellen. Denn desto länger es dauert, desto verräterischer fühle ich mich. Ich hatte genug Zeit, um zu wissen, dass Jordan jemand für mich ist, den ich für immer bei mir haben wollen werde. Die Schwelle, wo ich noch einen Rückzieher machen konnte, ist schon lange überschritten.

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