Kapitel 122

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Die Party geht heiter weiter und auch wenn ich seine Präsenz immer wieder spüre, sehe ich ihn für den Rest des Abends nicht mehr an. In einigen Momenten schaffe ich es sogar ihn zu vergessen und mich auf den Quatsch der anderen einzulassen.
Erst zu den Morgenstunden fangen sich alle an zu verteilen und vergeben ihre letzten Glückwünsche an Mitchel, bevor sie umherwankend nach Hause gehen.
"Und ihr seid sicher, dass ihr nicht hier bleiben wollt?" frage ich Mitchel und Brook, die sich gegenseitig stützen müssen, um gehen zu können.
"Nee, wäre keine gute Idee." lallt Miti. Dabei ist es eiskalt draußen. Alleine im sachten Wind zu stehen, der von der geöffneten Haustür eindringt, bringt mir eine Gänsehaut ein. Zusätzlich kann ich sehen, wie der Horizont draußen schon hell wird.
"Komm' her, Süße." meint Brook und packt plötzlich meine Wangen, um mir einen knappen, aber fetten Kuss zu geben, was mich kurzzeitig aus meiner Müdigkeit wirft. Grinsend geht sie durch die Tür, sodass ich und Miti die einzigen im Haus sind. Und obwohl ich erwartet hätte, dass sein betrunkenes Ich mich umso mehr dafür auslachen würde, begegne ich eher einem niedergeschlagenen Blick.
"Mach's gut, Haley." raunt er und umarmt mich unbeholfen, bevor er ihr raus folgt.
Wieder fällt mir unser Gespräch vor dem Bad ein und fange wieder an, mir Sorgen zu machen. Er sieht nicht aus, als würde er es mir irgendwann erzählen wollen.

Einige Zeit beobachte ich sie noch, um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich in die Straße einbiegen, dann schließe ich seufzend die Tür und begebe mich in den Wohnbereich, als ich stocke.
"Du bist immer noch hier?" frage ich Jordan aus der Entfernung, der locker am Esstisch lehnt.

Er zuckt nur die Schultern, weshalb ich kopfschüttlend an ihm vorbeigehe. "Dann solltest du jetzt gehen. Ich will schlafen." brumme ich und fange mit der Küche an, die Lichter überall auszuschalten.
"Du willst das alles nicht erst aufräumen?" Er deutet auf die ganze Unordnung um uns, als ich wieder zurück komme, die hintelassen wurde, während er sich vom Tisch abstößt.
Doch wieder kopfschüttelnd schalte ich auch das letzte Licht im Esszimmer aus und hoffe, dass es unseren Blickkontakt dabei unterbricht, aber es macht ihn nur schwieriger.
Dafür bewirkt das bläulich dunkle Licht, dass von den Wolken draußen ein wenig abgeschirmt wird etwas ganz anderes. Etwas übles. Denn es erinnert mich an den matten Lichteinfall in meinem Zimmer, als ich vor fast einem Jahr in diesem aufgewacht bin, um Jordan nicht mehr darin vorzufinden, nachdem ich ihn die ganze Nacht gepflegt habe.
Aber jetzt ist er hier und es ruft etwas in mir hervor, dass ich nicht spüren will. Umso schneller unterbreche ich den Blickkontakt und gehe mit schnellen Schritten wieder an ihm vorbei, um die Treppe im Eingangsbereich anzusteuern. "Den Weg findest du sicherlich selbst raus."

Doch als ich die ersten Stufen erklimme merke ich, dass er mir folgt und bleibe abrupt stehen, um ihn durchs Geländer hinweg eindringlich anzusehen. "Die Tür ist da, falls du zu betrunken bist." meine ich fest und zeige auf diese.
"Ich habe keinen Tropfen zu mir genommen. Du weißt, was ich will." raunt er leise und behält die Hände in den Hosentaschen, während er zu mir hinauf sieht.
Nicht wissend, was ich jetzt noch sagen soll, presse ich die Lippen angestrengt zusammen. Wie wird man eine Person los, die definitiv nicht gehen will. Ich will, dass er geht? Einen Moment fange ich wieder an alles zu überdenken, doch schmeiße die Gedanken schnell zur Seite, als sie mich überfordern. Er bringt mich immer wieder dazu, alles gute zu hinterfragen und mich im Nachhinein schlecht zu fühlen! Plötzlich fühle ich ein abstoßendes Gefühl und sage zu ihm das erste, dass mir in den Sinn kommt.
"Das Haus nochmal bestehlen, weil du durch mich zu den wirklich wertvollen Sachen kommst?"
Seine Brauen verziehen sich traurig und ich bereue meinen scharfen Ton dabei. "Haley.." kommt es nur schwach von ihm, doch ich wende mich schnell ab und überspringe dabei immer zwei Stufen, um der Sache umso schneller entgehen zu können.

Meinen heißen Kopf haltend gehe ich durch die Gänge und ordere mich an, emotionslos zu bleiben. Jedoch kommt es zu keiner Erlösung, als ich in mein Zimmer trete, da Jordan gleich drauf die Tür stoppt, bevor ich sie schließen kann und problemlos eintritt, weil ich keine Anstalten mehr mache gegen ihn anzukämpfen. Er mag es wohl sich durch schließende Tür zu zwingen..

"Kannst du mir bitte sagen, was genau dich jetzt so sehr beschäftigt, dass du mich nach all dem nicht mehr bei dir haben willst?"
Mit müden Augen sehe ich zu ihm, nachdem ich einige Schritte in den Raum gesetzt habe, doch sage nichts. Wir sehen uns für eine Weile einfach nur an, bis ich selbst wieder den Blick abwende.
"Dabei ist so viel in den Monaten passiert und jetzt sackst du ein, ohne dass ich es verstehen kann."
Seine Worte sind verständlich. Es ist so viel passiert seit ich ihn in mein Haus gelassen habe. Er hat meinen Bruder auf's übelste fertig gemacht, hat bei einem Mitschüler randaliert bis die Polizei kam, hat ihn und seine Freunde sogar zerschlagen, definitv jemanden überfallen, mich oft unbegründet beschuldigt, mich Drogen nahegeführt/ mich gezwungen sie zu nehmen und mich von meinen Freunden ferngehalten und da sacke ich erst jetzt ein? Wieso? Aber in mir schreit sofort so einiges auf, dass mir diese Gründe auflistet.
Jedoch fühle ich mich zu erschöpft und halte das alles drinnen, um es wenigstens bis zu dem Sessel auf der anderen Seite zu schaffen und mich auf ihn stumm fallenzulassen. Überfordert gehe ich mir durch Gesicht und Haare und starre einige Sekunden die Decke an, bis ich mich wieder seinem Blick stelle. Dabei spüre ich in diesem Moment nichts. Und er scheint zu merken, dass es nichts zum sagen gibt, denn er bleibt einfach still, während er immer noch dasteht und mich beobachtet.

Wieder dreht mir mein Gehrin mir Szenarien an, in denen Jordan mir Dinge angetan hat, um mich endgültig von ihm fernhalten zu wollen. Zurückblickend hat mich der Kontakt zu ihm nur mit Kriminellen zusammengebracht und dazu geführt, dass ich Kontakt mit der Polizei hatte. Und wer sagt, dass es in Zukunft nicht schlimmer wird?
Die Sache, dass er wegen einer Wette meinen Bruder verprügelt hat, ist zwar langsam nur eine alte Leier, aber jetzt besteht die Möglichkeit, dass er unsere Beiehung zueinander nun ein für alle mal zerstört hat. Obwohl ich mich all die Monate so doll angestrengt habe, es geheim zu halten.
Dabei kommen mir all die Leute in den Kopf, die meinten, dass ich mich von Jordan fernhalten soll. Ich meine es waren unzählige Menschen. Und es waren nicht nur Außenstehende, wie Nate, Jo und Renny, sondern Mitchel -mehrmals- , sogar Eric und so weiter. Aber ich habe auf keinen von ihnen gehört. Ich habe alles an Jordan akzeptiert und jetzt  - was jetzt? Jetzt akzeptiere ich ihn nicht mehr?

Nach dieser Frage kommen keine weiteren Gedanken in mir auf. Es gibt einfach nichts, dass sie beantworten könnte.
Ich habe nicht gemerkt, wie ich in all der stillen Zeit meinen Kopf gegen die Hand gelehnt habe, die ich mit dem Ellenbogen auf die Armlehne gestellt habe. Ich sehe in diesem Zeitpunkt bestimmt total fertig aus. Dennoch sieht er mich an. Er wirkt, wie ein Geist, den ich nicht mehr loswerde.

Plötzlich wendet er seinen Blick ab und versucht etwas anderes zu finden, denn diese Stille wird allmählich erdrückend. Seine Augen bleiben an der weißen Kommode nicht weit seitlich von ihm stehen und er fängt an sich ihr langsam zu nähern. Natürlich fällt ihm seine Zigarettenschachtel sofort auf und auch wenn sie einen Ruck auf meiner Brust ausbreitet, ist mir egal, dass er sie sieht. Ich würde gerne fragen, was es mit der Schachtel auf sich hat, doch ich will gerade keinen Ton von mir geben und ihn nur kaputt ansehen.
Er verhält sich ungewöhnlich ruhig. Dabei hätte ich eher erwartet, dass er für Aufruhr sorgen und mir ein schlechtes Gewissen einreden wird, so wie sonst immer. Aber er steht einfach seelenruhig vor dieser Kommode und präsentiert mir seine breiten Schultern, die ich sonst so liebe, bis er seine rechte Hand aus der Hosentasche nimmt und nach etwas auf der Kommode greift.

Für eine gefühlte Ewigkeit steht er einfach da und starrt es in seiner Hand an. Dann - langsam und versteift - dreht er sich wieder zu mir und ich erkenne, dass er die Kette zwischen seinen Fingern hat. Einen Moment beobachte ich, wie er sie mit den Fingern erkundet, streicht und dreht, bis mein Blick zu seinem Gesicht geht.
Er wirkt mit seinen Gedanken beschäftigt, aber scheint seine Aufmerksamkeit hier zu behalten. Dabei ist es sein intensiver Blick, der mich augenblicklich in den bann zieht und ich kann nichts tun, als das Aschblau zu bewundern, dass tief in meinem Inneren etwas auslöst, ich aber in meinem emotionslosen Zustand nicht zulassen will.

Nein. Egal, wie sehr ich darüber nachdenke oder wie viele Dinge mir auch einfallen, die gegen uns sprechen - ich werde niemals von ihm wegbleiben können. Niemals.

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