Kapitel 97

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Beklommen sitze ich an der Fensterreihe und kaue an meinem Sandwich, dass einfach nur fade schmeckt. Als würden meine Gedanken absichtlich alles andere beeinträchtigen, damit ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, während ich den Schneefall außerhalb der Fenster beobachte. Natürlich dreht sich das meiste um Jordan und sein besorgniserregendes Verhalten. Selbst im Nachhinein verhielt er sich komisch und führte sich auf, als würde er mir etwas sagen wollen, doch tat dies nicht. Nicht einmal in meine Augen konnte er mir richtig sehen und ich fange an zu befürchten, dass er doch was gegen die Sache mit meinen Großeltern hat. Und das verunsichert mich immens.
Es hat sich angefühlt, als hätte er mich gestern ein wenig von sich gestoßen und ich bekomme langsam Panik, dass sich seine Gefühle für mich verändern könnten. Auch wen ich das nicht wahr haben kann. Und doch war er verklemmt, als ich mich an ihn gekuschelt habe, bevor ich los musste. Nicht einmal einen Abschiedskuss hat er mir gegeben.
Was, wenn ich ihn durch die finanzielle Sache tatsächlich verliere?

Erstarrt höre ich auf zu kauen, doch es ist das Handyklingeln, dass mich aus meinen Gedanken holt. "Ja, hallo??"
"Wo bist du?" erklingt Mitchels gehetzte Stimme.
Verdutzt senke ich mein Sandwich zum Tisch. "Im üblichen Deutschraum? Wieso, was ist passiert?" Doch er legt auf und lässt mich verwirrt hängen. Übernimmt er jetzt auch noch Jordans Tücken, oder was?

Doch kurz darauf steht er angespannt im Türrahmen des Raumes und winkt mich ungeduldig zu sich. Sein Gesicht sieht besorgt aus.
"Warum bist du so hektisch?" frage ich, als ich zu ihm trete und ignoriere die Blicke der anderen Schüler. Doch er packt mich stumm am linken Oberarm und zerrt mich den Flur hinunter bis er uns in eine der hintersten Ecken zwängt.
"Ich weiß das mit deiner Oma." sagt er gedämpft und sieht mich ruhelos an, während er unsere Körper so nah wie möglich voreinander gepresst hat, damit er die Stimme ja nicht groß erhöhen muss. Mir erhöhten Brauen sehe in seine wirren grünen Augen. "Woh-" "Nate, hat es mir eben erzählt."

Ich nicke die Lippen zusammenpressend und sehe mit an, wie etwas über sein Gesicht huscht, dass ihn deprimiert aussehen lässt. Überfordert lässt er die Luft zwischen seinen leicht geöffneten Lippen aus, als seine Augen zwischen meinen hin und her huschen. "Er..Er meinte man weiß bisher nicht, wer dahinter ist." klingt seine Stimme nun hohler und scheint ihre unterdrückte Spannung verloren zu haben.
Ich schüttle betreten den Kopf, als ich runter sehe. So, wie es aussieht wird man sie auch nicht so schnell finden. Der gestohlene Betrag geht fast in die hunderttausend.
"Hast du Jordan schon davon erzählt?" fragt er nervös, doch ich begenge einem überaus festen Blick. Ich möchte einen Schritt zurück treten, weil ich sogar seinen Atem an mir spüre, aber die Säule hinter mir lässt mich nicht, weshalb ich es einfach lasse.
"Schon. Gestern." umarme ich mich selbst.
"Hat er etwas dazu gesagt?" lehnt er sich ein wenig vor und ich bin überrumpelt von dem plötzlichen Ergeiz in seiner Stimme.
"Nein, nicht wirklich." presse ich mich verunsichert gegen die Säule. Einen Moment starrt er mich angestrengt an und beißt sich auf die Unterlippe.
"Wie war seine Reaktion? Wie hat er ausgesehen?" fragt er mit ruhig grollender Stimme.
"Ich-ich weiß nicht. Wieso-"  "Denk doch mal einfach zurück." meint er mit einem Stück an Verzweiflung und legt die Stirn in Falten, "War er schockiert, sah er aus, als würde er dir etwas verschweigen oder sonst was?"

Verwirrt sehe ich in seine drängenden Augen, die sich komisch anfühlen. Irgendwie fühlen sie sich in diesem Moment zu nah an. Etwas, das zum ersten mal passiert und mich veranlasst, mich ein Stück die Wand herunterrutschen zu lassen, damit er mich nicht zu sehr bedrängt. "Wieso willst du das denn so unbedingt wissen?? Denkst du etwa, er weiß was?"
Wieder pressen sich seine Lippen für einen Moment zusammen, als etwas in ihm rumort. "Ich weiß es nicht. Deshalb frage ich." meint er gedrückt.
"Weißt du, wie komisch du letzte Zeit bist? Du bist inzwischen fast andauernd in Gedanken versunken und wirst grundlos total nervös. Was ist denn los?" 
Doch er sieht mich nur angespannt an. "Weil ich etwas herausfinden will und ich dafür deine Hilfe brauche." raunt er irgendwann leise. Einen Moment sehen wir uns einfach still an und ich kann ein ernstes nicht sagen, was in seinem Kopf vorgeht. Er will etwas, das sieht man. Aber genauso ist er total verstreut.

Plötzlich stützt er seinen Unterarm an der Säule hinter mir ab, direkt über meinen Kopf, und fragt erneut nach Jordans Reaktion, während ich mich von ihm eingehüllt fühle. Unruhig sehe ich auf den Flur, bevor ich ihn wieder ernst taxiere. "Mitchel, wenn du so weiter machst sieht uns am Ende noch jemand und wir-"  "Wie war Jordans Reaktion?" fragt er nochmal ruhig und lässt sich nicht einmal aus der Rolle bringen.

Seufzend schließe ich die Augen und zucke die Schultern. "Wirklich viel gab es da wirklich nicht, Mitchel. Er schien erschrocken zu sein und irgendwie nervös."
"Also schien ihn das auf eine gewisse Art anzusprechen."
"Keine Ahnung. Vielleicht. Er meinte, er wüsste nicht, wer es gewesen sein könnte und ich glaube ihm. Auch wenn er komisch wirkte und etwas loswerden wollte."
"Du glaubst ihm?"
"Er ist mein Freund." meine ich vielleicht etwas zu unsicher, aber meine es so. Er sieht kurz hinunter, bevor seine gläsernen Augen wieder in meine blicken. Ich kann genau erkennen, dass sie eine stumme Nachricht ausschreien. "Was ist denn los mit dir?"
Doch er ignoriert es stur. "Du solltest ihn darauf nochmal ansprechen." brummt er leise, bevor er sich endlich abstößt und einige Schritte zurück tritt und den einen Gurt seines Rucksackes ergreift, während ich tief durchatme.

Verwirrt krümmen sich meine Brauen. "Wieso sollte ich? Er hat zurzeit genug Stress. Da brauche ich ihn nicht noch nerven. Er war gestern schon so abweisend, als er von meinen Großeltern erfahren hat."
Darauf erstarrt er minimal. "Du hast ihn vorgestellt?"
"Nein, aber morgen."
Seine Hautfarbe scheint um einen leichten Ton blasser zu werden, während er mich unergründlich ansieht. "Ok." meint er nur knapp, bevor er wegsieht. Weiter den Flur runter hört man irgendwelche Mädchen auflachen, die seiner plötzlichen Erschwachung anscheinend den letzten Schubs geben. Tief durchatmend streicht er mit beiden Händen durch seine Haare und lässt sie an dem Hinterkopf verhacken, während er unruhig ein Paar Schritte um sich selbst macht. "Du musst ihn unbedingt darauf ansprechen." 
"Mitchel, ich-" "Versprich es mir. Du musst ihn nicht gleich ausquetschen. Einfach nur direkt fragen, denn mich meidet er seit einiger Zeit."
"Was? Wieso?" frage ich überrumpelt doch er schüttelt schnell abwerfend den Kopf und stellt sich wieder normal hin.
"Frag' ihn einfach und alles ist gut." seufzt er.

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