Kapitel 115

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Mit zittrigen Händen stecke ich mir die hellblauen Ohrringe ein, die zu meinem mehrschichtigen T-shirt passen, welches sachte flattert, sobald ich mich bewege. Und obwohl ich in den dunkelblauen Skinny-Jeans und den schwarzen hohen Stiefeln nicht schlecht aussehe, war wohl neben meinem Haar, mein Gesicht der Part mit an die größte Anstrenung gewesen. Es hatte gedauert, bis das Make-Up anfing die Augenringe zu bedecken und während ich mich im Spiegel über der Kommode betrachte, kommt es mir vor, dass nach all der Arbeit immer noch was von ihnen zu erkennen ist.

Seufzend bleibe ich noch reglos stehen und mein Blick fällt auf die Zigarettenschachtel, die ich gestern auf die Kommode gestellt habe. Wahrscheinlich hat sie keine Bedeutung, aber ich hänge komischerweise genug an ihr, als dass ich sie wegschmeißen könnte. Auch auf die Kette gleich davor sehe ich, die er mir geschenkt hat. Ohne zu überlegen lasse ich meine Finger sachte über sie streichen. Es fühlt sich schon fast falsch an sie nicht zu tragen. Mir fehlt dadurch etwas. Meine geglossten Lippenverziehen sich, doch ich fange mich schnell wieder und zwinge mich nach Ablenkung zu suchen.
Sonst driften meine Gedanken noch so sehr zu ihm, dass ich mich auf der Party nur paranoid umsehen werde.

Etwas unsicher steige ich die Treppen herunter und überprüfe, ob die wenigen Ballons, die ich an verscheidenen Orten festgeklebt habe auch wirklich sitzen, als auch die wenigen Luftschlangen. Ich habe beschlossen, es mit der Dekoration nicht zu übertreiben.
Dafür versuche ich mich erneut an den Regler im Flur, der heute die Musik spielen soll. Anscheinend kann man sein Handy daran anschließen.
Doch mittendrin klingelt die Tür. Zu früh. Die Gäste sollen erst in weniger als drei Stunden kommen und von den Diensten sind alle schon da gewesen. Anmutig trete ich heran und versuche wieder durch das Glas zu erkennen, wer da ist, und ignoriere meinen heftigeren Herzschlag. Kaum etwas ist zu erkennen.
Grübelnd stehe ich noch davor, bis ich meinen Mut zusammenfasse und mit zitternder Hand aufsperre.
Zu meiner Erleichterung ist es Mitchel, der ein Paar Klappstühle unter den Armen trägt und angestrengt grinst. "Endlich machst du auf. Es ist nicht unbedingt angenehm, wenn sich Metall versucht in dein Fleisch zu boren." kommt er rein und legt sie behutsam ab.
Mit deutlich besserer Laune - dank ihm - warte ich es ab, bevor ich ihn anspringend umarme und nochmal gratuliere.
"Na endlich gratuliert mir auch Preston Nummer 1. Ich dachte gestern ich wäre im falschen Film, als nur Preston Nummer 2 zu mir ankam und ich erfahren durfte, dass du fehlst. Genauso wie heute." tadelt er, worauf ich jedoch nur entschuldigend lächeln kann und aufpassen muss, nicht an Nate zu denken.
"Es..Es ist in den letzten Tagen einfach zu viel Scheiße geschehen. Tut mir Leid."
"Jordan?"
Ich nicke nur betrübt und auch seine Miene verzieht sich, bevor er erschöpft durchatmet. "Gut, dass ich doch früher gekommen bin. Und während du mir schilderst, was passiert ist, können wir das tolle Geschenk von Preston Nummer 2 rauchen." hebt er grinsend das Tütchen in die Höhe, das Nate ihm wohl gestern schon geschenkt hat. "Er meinte kurzfristig nicht zu kommen und schien, als würde er mich zusammenschlagen wollen..Hab' ich was falsch gemacht?"

Erschrocken sehe ich ihn an und kann das Schuldgefühl nicht unterdrücken. Wahrscheinlich hat Nate ab dem Punkt eins und eins zusammengezählt und kapiert, dass auch Mitchel die Sache mit Jordan gewusst haben muss. Ich kann nur hoffen, dass er nicht denkt, dass die Beziehung nur durch Miti entstanden ist.
Solange ich stumm Panik schiebe, scheint er zu verstehen. "Oh nein....willst du sagen der Scheiß mit Jordan hat mit deinem Bruder zu tun?"
Beklommen nicke ich und merke, wie seine Gesichtszüge zerfallen. "Shit. Wir brauchen den Inhalt dieser Tüte wohl dringender als ich dachte." murmelt er und zieht sich die dunkelblaue Jacke aus. "Hast du echt ein Schild aufgebaut, dass einen zum Bad führt?" Dabei deutet er an das aufgeklebte rote Blatt neben der Tür, die in den Flur auf der rechten andeutet, und will wohl das Thema vorerst damit wechseln.
"Und die Tür selbst nochmal."
"Du bist genial." versucht er zu lächeln, aber man merkt das Bedrücken in ihm. "Du weißt, dass es keine bessere Freundin als dich gibt?" breitet er einladend die Arme aus und entlockt mir ein schwaches Kichern, als er mich dick umarmt. "Lass' dir von Jordan nicht den Kopf zerbrechen, ok?" murmelt er, während sich unsere Wangen aneinanderpressen und wir zum Esstisch weiter weg blicken, der schon total überfüllt ist mit Essen. Ich nicke nur stumm und spüre darauf, wie seine Hand meinen Nacken hinauffährt. "Er wird dir nie gut tun."
"Das hast du damals auch oft gesagt."
"Ich weiß. Aber es stimmt."
"Ich weiß..Irgendwie." Darauf bleibt er still und lässt seine Hand noch bei mir, bevor wir uns lösen und er wieder versucht gute Laune zu verbreiten, indem er groß herumposaunt, wie krass ich doch bin für den ganzen Aufwand mit der Vorbereitung. Und ich muss zugeben, dass ich ein wenig stolz bin, dass innerhalb kürzester Zeit geschafft zu haben. Der Kuchen später soll jedoch die Krönung werden.
Während er zum Tisch schreitet und sich alles ansieht und sogar einen Snack stibitzt gehe ich zum Regler, um seinen Lieblingssong rauszusuchen. Auf volle Lautstärke aufdrehend grinse ich zu ihm, als der Song anfängt und bekomme mit, wie sich zuerst purer Schock auf seinem Gesicht bildet und dieser dann zu einem fetten Grinsen wird. Auflachend fängt er andeutende Tanzbewegungen zu machen und kommt zu mir angehüpft, während er mitrapt und mich zum lachen bringt. Unter dem Bass zieht er mich weiter in den Flur und zwingt mich seine peinlichen Bewegungen nachzumachen. Und er ist der Einzige, der mich so unbesorgt fühlen lässt, wie schon sein einer Woche nicht mehr.

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