Kapitel 85

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"Du darfst zwei Wochen nicht mehr aus dem Haus?" fragt Jordan wenig begeistert durch das Handy und ich seufze frustriert.

"Sie hatten halt wirklich Angst gehabt. Noch nie waren sie so sauer auf mich." murmle ich auf dem Rücken liegend und versuche an der Decke etwas interessantes auszumachen. Eine Zeit lang bleibt es still und ich weiß, dass es ihm nicht gefällt, weshalb ich von selbst anmerke, dass wir uns ja in der Schule sehen.
"Ja, aber du willst nicht dabei gesehen werden. Weißt du, wie schwer das sein wird?" brummt er.
"Das hast du davor schon gemacht, ohne dass wir entdeckt wurden..." Aber er bleibt still, bis er entscheidet grimmig auflegen zu müssen.

Seufzend schalte ich den Fernseher ein. Sicherlich meine Beschäftigung für die nächste Zeit. Mein guter alter Freund. Und zum Abend überrede ich Nate Die Tribute von Panem mit mir zu schauen, während wir mit Chips auf dem Bett gammeln.
"Wieso müssen die Typen in Filmen immer so perfekt gebaut und verdammt gutaussehend sein?" Stirnrunzelnd verdrehe ich den Kopf in seine Richtung und stoppe den mühselig ergriffenen Chip, vor meinem Mund. Sein Gesicht ist verzerrt, während er Gale in Aktion betrachtet.
"Das ist nicht nur bei euch Männern, weißt du? Außerdem ist Gale gefühlt dafür da, um sein schönes Gesicht begutachten zu können. Sonst will ihn niemand von den Zuschauern." murmle ich und schmeiße endlich den Chip ein, obwohl ich in der liegenden Position kaum essensfähig bin. Dabei fällt mir etwas in seinem Gesicht auf, als er still bleibt. "Du bist neidisch, was?" grinse ich und sein Blick huscht unkontrolliert zu mir, bevor er sich peinlich berührt abwendet und etwas vor sich hin brummt. Ich kann mir das Lachen nicht unterdrücken, dass ihn anpisst. "Keine Sorge. Du bist doch unter den Mädels auch begehrt."
"Ja, ja. Laber nur, Lesbe."
"Was?" kichere ich, "Das haben meine Freunde behauptet. Das kommt nicht von mir."

Mit einem amüsierten Grinsen wende ich mich wieder dem Film zu, doch es erlischt, als ich merke, was ich da gerade getan habe. Und meine Vermutung bestätigt sich, als ich seinem vor Neugier erleuchtetem Gesicht begegne. Scheiße, ich habe sein Ego gefüttert. "Deine Freunde? Echt?" Interessiert setzt er sich ordentlich hin, "Haben sie noch was gesagt?"
Seufzend ziehe ich die Brauen hinunter. "Nein."

Erstaunt sieht er wieder voraus und murmelt nur ein: "Krass..Na dann besteht ja tatsächlich die Möglichkeit, dass ich heimliche Verehrer habe."
"Erspare mir dein blödes Grinsen.." Ich wette jetzt vergleicht er sich mit Liam Hemsworth im Fernseher. Aber ich versuche es so gut es geht zu ignorieren und schaue den Film. Wie kann man nur so eine Hupfdole, wie mein Bruder sein. Gut, dass ich das nicht vererbt bekommen habe.
"Wer waren deine Freunde nochmal?" Er versucht beiläufig zu klingen.
"Renny und Jocelyn." verdrehe ich die Augen, "Aber mach' dir bloß keine Hoffnungen! Sie meinten nur, dass du unter den Mädels als gutaussehend befunden wirst. Sie sind nicht deine heimlichen Verehrer." füge ich schnell hinzu, "Manchmal bist du wie Mitchel.."
"Was, ehrlich?"
"Ja."
"Hm. Hätte ich jetzt nicht gedacht.." murmelt er nur und es überrascht mich, dass er von meinem erneuten Ausrutscher nicht sauer geworden ist. Aber Mitchel hatte schon mal erwähnt, dass Nate ihn nicht mehr böse anstarrt und ihm entspannt Fragen beantwortet, wenn er ihm welche stellt. Vielleicht ist es ja doch nicht so unrealistisch, wie vermutet, dass die beiden sich anfreunden. Jedoch springt mein Gedanke sofort auf eine bestimmte Person über und ich muss ihn vertreiben, um nicht im schlechten Gewissen zu ertrinken. Ich weiß immer noch nicht, wie ich es Nate beibringen soll. Am liebsten würde ich ihm nie erzählen, was ich hinter seinem Rücken mache.


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Wir durchtreten nicht einmal das Haupttor und ich fange schon an nach Jordan Ausschau zu halten. Es fühlt sich wie in alten Zeiten an. Nur nicht mehr mit einem so erstickenden Gefühl, wie damals. Doch seufzend muss ich feststellen, dass er nicht aufzufinden ist. Wahrscheinlich schwänzt er wieder die Schule und ich kann es ihm nicht übel nehmen. Wenn er nicht einmal vor hat zu studieren oder ähnliches, dann ist es klar, dass er die Schule nicht ernst nimmt. Auch wenn ich ihn anders stimmen möchte.


Erst am Dienstag bekomme ich eine Antwort auf meine gestrige Frage. Und sie hat keinen Bezug auf meinen Text.

Jordan: Willst du mich jetzt im hinteren Treppenhaus treffen?

Mit erhöhten Brauen begutachte ich seine Nachricht. Ist einer der längsten Sätze, die er bisher formuliert hat. Wenn man den Rest im Chat überhaupt als Sätze bezeichnen kann.
Mit mulmigem Flattern im Bauch entschuldige ich mich aus dem Unterricht und sehe ihn darauf Mitten auf den Treppen der 2. Etage. Glücklich grinsend öffne ich die schwere Tür und komme ihm aufgeregt entgegen. Komischerweise sind es Momente wie diese, die mir klar vor Augen bringen, einen Freund zu haben. Einhüllend nimmt er mich in seine Arme und kommt mir angespannt herüber. Ich möchte mich lösen, doch er hört nicht auf, mich an sich zu drücken. "Alles gut?" murmle ich in seine dünn gepolsterte Jacke, die von seinem breiten Körper in alle Richtungen gestreckt wird.
"Alles perfekt." raunt er nur tief.

"Du hast wieder geschwänzt."
"Als wäre das bei mir etwas neues, Haley." bemerkt er entspannt, "Und in der nächsten Zeit wird es auch öfter Vorkommen."
"Wieso?" Diesmal lässt er mich los, als ich mich befreien will. So sehr ich auch seinen Geruch vermischt mit dem Zigarettengestank auch einatmen möchte. Aber er zuckt nur die Schultern.
"So kann ich mich perfekt um andere Angelegenheiten kümmern."

Sofort beiße ich mir auf die Zunge und sehe in seine beruhigenden Augen. Jetzt wäre kein guter Moment über seine Zukunft zu reden. Und als ich eine Anspannung tief in seinen Augen verankert bemerke, werde ich sowieso davon abgelenkt. Irgendetwas ist los mit ihm, aber er ist gut darin, es zu verstecken, während wir uns aus nächster Nähe anstarren.
Plötzlich beugt er sich zu mir und drückt mir einen Kuss auf die Lippen. Doch er ist so schnell vorbei, wie er gekommen ist. Er tretet einige Stufen hinunter und ergreift das Geländer, solange er mich wachsam beobachtet. "Ich hau' dann mal wieder ab."
Verwirrt ziehen sich meine Brauen zusammen. "Bist du nicht erst angekommen?" Wir haben erst den zweiten Unterricht.
"Schon, aber nur, weil ich in der Nähe war und dich sehen wollte. Anders sehe ich dich ja wegen deinem Bruder erstmal ja nicht." gibt er mir ein kokettes Grinsen und legt den Kopf schief. Kurz huschen seine Augen sehr offensichtlich über meinen Körper und seine nun zu einem Lächeln geformten Lippen pressen sich leicht aufeinander. Mit einem Schauder begegne ich seinem vielsagenden Blick und ich spüre die Wärme in meinen Wangen aufsteigen. "Bye." raunt er darauf und schon joggt er die Treppen hinunter, während sich seine breiten Schultern elegant dazu schwenken. Ich warte, bis er außer Sicht ist und ich mich fangen kann, um wieder einigermaßen bei mir zu sein.


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