Kapitel 83

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Kurz darauf steigen wir auch schon aus und ich vermisse sofort seine Wärme bei der kalten Luft. Frierend stecke ich, wie er, meine Hände in die Jackentaschen und versuche einigermaßen normal zu laufen. Jedoch merkt selbst mein angetrunkenes Ich, dass ich trotzdem vor mich hin stolpere und stauchle. Aber was ich auch bemerke, ist die Gegend. Wir sind definitv in einer der ärmeren Viertel. Aber es gehört wenigstens nicht zu den schlimmsten, weshalb sich meine Angst überfallen zu werden in Grenzen hält. Dafür sind die meisten Häuser nicht in der besten Verfassung oder sehr winzig. Und nach wenigen Minuten biegen wir auch schon auf die Rasenfläche ein, die anscheinend zu Jordans Zuhause führt. Noch teils benommen überblicke ich das stocklose braune Häuschen. Die Veranda war vor einigen Jahren bestimmt herrlich und einladend, doch jetzt sind die eigentlichen Tragesäulen durch dumpfe Holzpfähle oder Planken ersetzt worden - die irgendwie zusammengebunden wurden, damit sie halten - und die weiße Farbe blättert an eineigen Stellen ab, was alles abgenutzt und beschädigt aussehen lässt. Er hatte ja mal erwähnt, dass irgendwelche Kids die Balken aus Wut zerstört haben. Ich hätte nur nicht gedacht, dass es so krass war. Geschweige denn, dass er es nach all der Zeit so gelassen hat. Aber ok, für eine neue Veranda haben sie bestimmt nicht das Geld.

Geradeso merke ich, dass er stehen bleibt und sich zu mir dreht. "Jetzt ist deine letzte Chance noch umzukehren." Er sieht mich abwartend an, während er die Lippen zusammen presst. Einen Moment konzentriere ich mich darauf ihn fokussiert anzusehen.

"Das werde ich nicht, solange du es nicht möchtest."

Wieder nimmt er sich die Zeit mich zu beobachten. Dabei sieht er so restlos und angespannt aus. Als würde er sich selbst bestätigen nickt er stumm und dreht sich wieder zum Haus, um die eine Stufe zur Veranda empor zu steigen. Still folge ich ihm und das Klirren von Schlüsseln ist das einzige, dass um uns zu hören ist. "Eigentlich brauchen wir keine Schlüssel. Wenn jemand hier einbrechen möchte, kann er diese Tür mit Leichtigkeit knacken." lächelt er schief zu mir, während er aufschließt. Er hat es versucht, wie einen Witz hinzustellen, doch als sich seine Miene darauf schon fast trauernd senkt, ist klar, dass es ihn eher belastet. "Es sind meine Eltern, die denken, dass es noch was bringen würde." brummt er leise und öffnet die Tür einen Spalt, bevor er wieder stoppt.

"Egal, was du jetzt siehst, lass dich davon nicht abschrecken, ok?" sieht er mich erneut an und ich kann nur verwirrt nicken. Und ich glaube, ich weiß, wieso er das sagt. Die Tür führt sofort in ein winziges Wohnzimmer, dass zu seiner linken eine Küche hinter einer leer stehenden Wand in sich hat. Der Raum ist nur halb so groß, wie unser gesamtes Wohnzimmer und ich muss vor schlechtem Gewissen schlucken, während er die Tür hinter uns schließt. Ich muss immer noch schwanken, doch erkenne die dreckig gelben Tapetten und den braunen Teppich im Dunkeln, der den Boden ziert, solange auf ihm alte schon fast modernden Möbel stehen, die nicht sauber aussehen und mit leeren Gläsern oder Verpackungen belegt sind. "Sorry, für den Müll. Wir-...Dad und ich sind kaum Zuhause und meine Mutter...." Seine Mutter ist nicht in der Verfassung aufzuräumen. Ich weiß. Deshalb schüttle ich den Kopf. Außerdem weiß ich inzwischen, wie faul Jordan ist, wenn es um's aufräumen geht. Er meint, er hat es von seinem Vater.

"Alles gut." krächze ich nur und spüre seinen Blick an mir. Ich frage mich, wie Jordan sich fühlt, sobald er meines oder Erics Haus sieht. Wie kann er uns nicht hassen? Mein Gehirn kann sich nicht groß konzentrieren und dennoch lässt es sich Zeit, um sich umzuschauen. Zum ersten Mal sehe ich einen richtigen Röhrenfernseher in meinem Leben, der an der Wand zur Küche auf einem Nachttisch steht. Nicht einmal bei meinen Großeltern habe ich einen gesehen. Damals hatten sie sich keinen zugelegt, um sich unbeschwert auf die Arbeit konzentrieren zu können. Und jetzt dient der überdimensionale Plasmafernseher bei ihnen größtenteils dazu das Wetter anzuzeigen oder ein schönes Bild auf die Wand zu zaubern. Scheiße. Wie soll ich ihm je verraten, dass ich auch einen luxuriösen Lebensstil habe? Der Alkohol in meinem Blut lässt mich aufzittern und ich empfinde kurzzeitig eine Trauer, bevor ich mich wieder unter Kontrolle habe. Ich räuspere mich und halte mir den Kopf. "Bist du sehr erschrocken?" raunt Jordan weich und ich begegne seinem Blick. Selbst in der Dunkelheit kann ich seine verletzten Augen erkennen. Schnell schüttle ich den Kopf und versuche matt zu lächeln. Anscheinend hat er meinen Ausdruck falsch gedeutet.

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