Kapitel 102

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Wir sind nur zu dritt auf dem für 10 Personen gedeckten Tisch und ich weiß, dass sich Jordan neben mir genauso komisch fühlt, wie ich. Nicht nur, wegen den Köchen, die uns soeben das Essen auf den mit weißer Leine bezogenen Tisch stellen, sondern auch, weil wir praktisch zu underdressed für diesen Aufzug sind mit seinem Kristallkerzenständer und den goldenen Tellern. Ich hatte nicht erwartet, dass meine Oma so sehr über die Stränge gehen würde. Schon fast, als würde sie ihn verjagen wollen, aber ich weiß, dass sie es nur tut, weil sie zu aufgeregt ist. Noch nie hatte ich jemanden freiwillig vorgestellt. Gar einen festen Freund.

"Ich hoffe Hühnchen ist okay. Ich wollte diesmal etwas leichteres machen lassen. Guten Appetit!" lächelt Oma mir gegenüber und fängt dieses an sorgfältig zu schneiden, während ihre roten Tränenohrringe hin und her schwanken.
"Was ist mit Opa?"

Bedrückt verzieht sich ihre Miene, die sie durch ihr Lächeln versucht auszubalancieren. "Seit dem Diebstahl ist er wirklich aufgelöst. Er..ist fast vor Wut umgekippt, als wir zu unserem verwüsteten Zuhause zurück kamen und braucht nun unbedingt seine Ruhe. Es hat ihn leider schwieriger getroffen, als mich. Aber du kennst deinen Opa." winkt sie mit dem Messer ab.
Es stimmt, dass er sich manchmal schnell aufregen kann. Aber dass er gleich ans Bett gefesselt ist, lässt mich ängstlich werden.
"Keine Sorge. Zum Dessert ist er unten, um Jordan kennenzulernen." lächelt sie diesen bezaubernd an, auch wenn ihn ihren Augen etwas anderes wimmelt, und er räuspert sich. "Erzähle doch solange, was du vor hast? Du kannst mit diesem Alter unmöglich in Haleys Jahrgang sein."

Er klärt sich konzentriert den Hals, während er Messer und Gabel schon bereit hält, ohne bisher etwas vom Essenangerührt zu haben. "Da haben sie recht. Ich bin in meinem letzten Jahr, aber wirklich wissen, was ich tun möchte, tue ich nicht. Jediglich, dass ich definitv die Führung in einer Firma übernehmen wollen würde."
Es ist ein Wunder, dass ich mich nicht an der Erbse laut verschlucke, die in meinem Hals stecken geblieben ist. Und ich hätte es bestimmt, wäre ich nicht so starr vor Schock, weil er so indirekt direkt ist. Wie kann er meine Oma so gefasst dabei ansehen? Zwar hat er nicht direkt zugegeben, dass er eine Gang führen will, aber das war dennoch riskant. Aber es ist eigentlich nichts mehr, worüber man überrascht sein sollte. Jordan ist zu fast jeder Zeit gefasst und lügen ist neben dem zerstören sein zweiter Hauptcharakterzug. Jedoch wird mir bei diesem Gedanken irgendwie mulmig.

Es ist Omas erstaunter Blick, der mich wieder auf einen anderen Kurs bringt. Sie hebt fragend die Brauen, als sie zu mir sieht und übermittelt mir eine stumme Nachricht, die ich sofort verstehe. Sie denkt an Opas Geschäft, dass bald zum Verkauf offen stehen wird, aber ich bezweifle, dass Jordan es übernehmen würde. Oder gar könnte. Mir ist der Gedanke schon mal selbst gekommen.
Trotzdem fällt ihr Blick nun wieder vielsagend auf meinen Freund und ich fühle mich plötzlich schon fast, wie eine Verräterin. "Sag', interessierst du dich für Marketing?" Doch wie erwartet beneint er es und sie zuckt nur wegwerfend die Schultern.

Es vergeht ein Moment in der Stille, indem ich endlich einigermaßen das Essen runterschlucken kann, doch mir entgeht nicht Jordans angespannter Blick auf den Teller, während er schon fast fertig ist, so schnell, wie er isst.
Und es ist natürlich Oma, die die Stille noch unbehaglicher werden lässt. "Seit wann seid ihr zusammen?" Beide sieht sie uns abwechselnd an und als Jordan schon aussieht, als würde er antworten wollen, befreie ich mich noch rechtzeitig aus meiner Unentschlossenheit.
"Seit mehr als einem Monat."

Sie sieht mich für kurze Zeit gespannt an, bis es aus ihr herausplatzt. "Und?? Komm schon, Haley. Ihr könnt mir nicht sagen, dass das alles war. Wieso muss ich euch alles aus der Nase ziehen, um mehr zu erfahren?" gestikuliert sie aufgeregt und ich seufze leise. Ich merke jetzt schon, wie Jordan einer Persönlichkeit, wie meiner Oma, nicht gewohnt ist und eher verwirrt zu sein scheint. "Ich meine, kennen tut ihr euch doch bestimmt länger. Es würde nicht nach Haley aussehen, wenn sie sich ins Ungewisse stürzen würde." streckt sie ihren kochigen Finger locker mir entgegen, der einen dicken silebernen Ring trägt, der nicht einmal der auffälligste unter den anderen auf ihren Händen ist und sieht Jordan verschwörerrisch an. "Jordan?" hebt sie die Braue und lächelt einhüllend. Wow, sie bleibt echt gut im verhören, aber Jordan lässt sich von sowas nur bewusst mitreißen. Ich glaube spätestens jetzt, weiß er, woher ich die Eigenschaft habe und warum ich oft viele Fragen stelle.

Und ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist, aber auf einmal neigt er den Kopf verführerisch und grinst verlegen. Als würde sich seine andere Seite endlich zeigen. Oder er hat eine Maske aufgesetzt. Das kann ich immer noch nie wirklich einschätzen. Dennoch starre ich ihn verblüfft an, während ich mich träumend in sein Auftreten verliere. "Kennen tun wir uns an sich schon fast ein Jahr, weil wir uns in der Schule hin und wieder gesehen haben." lügt er und nimmt plötzlich meine Hand in seine. Verwirrt sehe ich auf diese, bevor ich seinem einhüllenden Blick begegne, der sich darauf wieder meiner Oma zuwendet. "Aber durch einen gemeinsamen Freund haben wir uns vor einigen Monaten näher kennengelernt und eigentlich haben wir es schon damals irgendwie gemerkt."
Seine Lügen kommen mir komischerweise so süß herüber. Doch Oma zerstört es mit einem Satz. "Ah! Mitchel, kann das sein?"
Durch ihre Aufregung scheint sie nicht zu merken, wie Jordan sich alleine durch seinen Namen anspannt und die süße Luft dunkel werden lässt. Nun mit gepresstem Lächeln bestätigt er es, während sein Griff härter wird. Sie lacht triumphierend auf und lehnt sich siegreich an den Tisch. "Ich wusste doch, dass sie in unseren letzten Familienessen Liebeskummer hatte! Nur, dass es nicht Mitchel war, sondern du! Wie geht es dem Guten Überhaupt?" richtet sie nun an mich, aber genauso sehr spüre ich Jordans brennenden Blick auf mir. Das wird noch ein Nachspiel geben. Dabei hatte ich gehofft, sie würde Miti heute nicht erwähnen.
Seufzend lehne ich mich in meinem Stuhl zurück. "Ihm geht es gut." lüge ich, "Was machen Clare und Adam?" weiche ich schnell aus, doch meine ersten Fluchtgedanken sind immer die schlechtesten, weshalb ich jetzt nur hoffen kann, dass sie Edwin nicht ansprechen wird. Alleine mich an vorhin zu erinnern lässt mich schwer schlucken.





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