Kapitel 33

378 11 0
                                    

In unagenehmer Stille gehe ich mit gesenktem Blick neben ihm her. Hier und da treffen meine Augen auf die von anderen Mitschülern um uns, wenn ich mich mal traue aufzusehen. Doch Reeven scheinen die Blicke nicht zu stören. Er geht mit einer emotionslosen Miene weiter zur Bahnstation, als wäre nichts. Ich sollte es ihm einfach nachmachen.

Selbst, als wir in der Bahn stehen, die in eine komplett andere Richtung fährt, als ich normalerweise nehmen würde, hat keiner von uns etwas großes gesagt. Irgendwie fühlt sich das falsch an. Ich kenne Reeven kaum und trotzdem folge ich ihm ohne große Fragen nach Hause? Beginnen so nicht die ganzen Krimistorys?

Um meine Nervosität loszuwerden zücke ich mein Handy und schreibe Mitchel.

Fährst du heute auch zu Reeven?

Für eine gewisse Zeit warte ich, doch entscheide irgendwann einfach im Internet zu surfen. Reeven selbst steht stumm zwei Meter weiter von mir und tut, als würde er mich nicht kennen. Aber vielen Dank auch. Da fühlt man sich gleich geehrter. Mit einer etwas angepisst bebenden Braue scrolle ich weiter, bis plötzlich mein Gelenk mit dem Handy in der Hand gepackt wird. Verwirrt sehe ich auf und es ist Reeven, der mit festen Blick auf die eine Seite des Wagons blickt, bevor er mich in die entgegengesetzte Richtung mitzieht. Ich gucke noch hinter uns und bemerke, die zwei strammen Männer, die anfangen eine Fahrkartenkontrolle zu machen, was mich mit gerunzelter Stirn wieder zu Reeven blicken lässt. "Hast du etwa keine?" frage ich, solange er uns durch die stehenden Menschen schlängelt. An der hintersten Tür angekommen, schaut er nochmal zu den Männern, die nun ein Stück weiter weg sind. "Ich habe nie eine an mir." murmel er noch und ich sehe ihn schockiert an. Zu seinem Glück halten wir an einer Station an, an der wenige mit uns aussteigen.

"Fährst du nicht fast jeden Tag zur Schule mit der Bahn?" In der frischen Luft steckt er entspannt wieder die Hände in seine Jackentaschen und sieht sich zur Orientierung mehrmals um uns um. Wir sind auf einer mir nicht bekannten Station, die auch noch verwahrlost aussieht.

"Ja, aber die Strecke wird selten kontrolliert. Da gebe ich doch mein Geld nicht für so einen Schrott aus." redet er ohne mir in die Augen zu sehen. Ensetzt über seine Gleichgültigkeit starre ich ihn an.

"Und was jetzt?" frage ich, während er über die Gleisen in eine Gegend starrt, in der hinter vielem Gebüsch sich Häuser anfangen zu ergeben.

"Der nächste Zug kommt erst in 25 Minuten. Das lohnt nicht, also laufen wir." sieht er sich auf dem Bahnsteig nun knapp um.

"Laufen??" frage ich entsetzt. Wie lange will der denn gehen?

Doch er tut mal wieder, als hätte er mich nicht gehört und geht zum Rand des Bahnsteigs, um zu den Gleisen hinunterzuspringen. "Sag' mal bist du verrückt geworden? Ich werde da doch nicht runterspringen!"

"Dann wünsche ich dir viel Spaß den Weg alleine zu meinem Haus zu finden." meint er desinteressiert und steigt mit wachsammen Blick über die drei Gleisenwege hinweg.

Perplex starre ich ihm hinterher und schaue atemanhaltend über die Station. Es ist zwar niemand hier, aber das heißt nicht, dass es nicht wahnsinnig ist, das zu machen. Im Zwiespalt werde ich immer nervöser und als er schon mehr als die halbe Strecke hinter sich hat, ächze ich verzweifelt aus. Ich hasse es, wenn andere die Macht über mich haben.

Mit einem Ruck springe ich auch auf die Gleisen und folge ihm hinüber. Da ist doch ein scheiß Zaun und hat danach Pflanzen hinter sich. Wo verdammt soll das hinführen??

Ohne nach mir zu sehen klettert er über den niedrigen Zaun, worauf ich perplex stehen bleibe. Sein ernst? Kurz treffen sich unsere Blicke, doch ich weiß, dass ich wohl keine andere Wahl habe. Seufzend trotte ich zu ihm und klettere auf seine Seite. "Wow, und jetzt? Spielen wir Penner und suchen uns einen Busch zum schlafen?" frage ich sarkastisch und schaue mich um.

"Du magst das vielleicht tun, aber ich habe ein richtiges Zuhause, Haley." raunt er und geht direkt unter das Blätterdach der großgeratenen Büsche. Ich sollte mich ärgern, aber der Fakt, dass er soeben meinen Namen ausgesprochen hat, lässt mich wundern. Trotzdem folge ich ihm  wortlos und fühle mich bei unserem Umfeld unwohl. Der will mich doch wirklich umbringen...Ich kann nicht anders, als immer wieder einen misstrauischen Blick in seinen Rücken zu brennen. Auch, als wir aus dem Gestrüpp kommen und einen kleinen Erdabhang runterstolpern, der zu einer neuen Hausregion führt, bleibe ich auf der Hut.

Mit einem Meter Abstand folge ich ihm den Fußgängerweg entlang und bin von den ganzen Häusern angetan. Erinnert ein wenig an meine Gegend. Ich sehe noch, wie Reeven sich eine Zigarette anzündet und gucke auf mein Display. Keine Antwort von Mitchel. Okay, jetzt wirds kritisch.

Und als er in einen schmalen Weg einbiegt, der zu einem typischen zweistöckigen Haus führt, schlucke ich nervös. Er lässt mich in das dunkle Haus eintreten, bevor er die Tür hinter uns schließt. "Ich hoffe, du hast keinen Hunger?" fragt er, während er die Schuhe auszieht. Mit zusammengepressten Lippen schüttle ich den Kopf. "Gut. Mach es dir solange im Wohnzimmer bequem." Damit fängt er die Treppen an hochzulaufen, doch ich stoppe ihn.

"Und wo sind die Anderen?"

"Die kommen etwas später." fast genervt geht er schnell weiter und verschwindet.

Unwohl sehe ich nach links, wo ich aus dem Bogen eine braune Couch ausmachen kann, als auch alte Holzmöbel vor dunkelroten Wänden. Mit winzigen Schritten gehe ich hinein, wo die Gardinen alles noch verdunkeln. Kein wirklicher Luxus. Ein stinknormales Haus, welches altmodisch zu sein scheint. Ich stehe noch unentschlossen auf dem dunkelbraunen Musterteppich herum, bevor ich mich vorsichtig auf einer der Couchpaare niederlasse. Ich kann hier nicht entspannen. Es sind leise Geräusche von oben zu vernehemen, die wohl von Reeven kommen, doch sonst ist alles still. Kein Muks ist zu hören, außer das Ticken einer alten Standuhr in der Ecke. Das wars. Hier werde ich meinen Tod finden. Und mal davon abgesehen, das Reeven sich ganz schön viel Zeit gelassen hat, bis er mit einem Laptop zu mir kommt, werde ich mit jeder Minute nervöser. "Sorry, ich und Dad haben nicht das Geld, um eine Konsole oder was auch immer finanzieren zu können, also musst du dich wohl selbst beschäftigen müssen." meint er abschätzig, während er den Laptop auf seinem Schoß hat und etwas darauf ansieht.

"Wieso klingst du dabei, als würde ich erwarten, dass du eine besitzt?" Er blickt mit erhöhter Braue zu mir.

"Weil du verglichen zu uns anderen ganz schön verhätschelt wirst, oder nicht?"

Empört ziehe ich die Luft ein. "Das stimmt gar nicht." kommt es sofort von mir, aber im nächsten Moment frage ich mich, ob das vielleicht nicht die ganze Wahrheit sein könnte. Wir reisen schon mal in den Urlaub oder gehen desöfteren wo was essen, aber einiges ist nur durch meine Großeltern möglich. Wir sind noch lange nicht verwöhnt! Jedoch geht Reeven darauf nicht weiter ein. Er verdreht nur die Augen und widmet sich wieder seinem Laptop.

Ermorden. Pha! Reeven ist dafür ein viel zu großer Arsch. Er würde seinen Hintern für den Aufwand nie heben, weil er sich dafür mit einer anderen Person abtun müsste.

Beleidigt verkreuze ich die Arme und lehne mich zurück. Trotzdem ist es komisch, dass die anderen immer noch nicht hier sind. Wieso hat er sich überhaupt dafür bereiterklärt, mich mit sich zu nehmen? Verstohlen blicke ich wieder auf mein Handy. Fast eine Stunde und Mitchel hat immer noch nicht geantwortet. Bitte sei schnell hier du Idiot.

IrresistibleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt