Kapitel 80

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Jetzt sitze ich tatsächlich in dem Café nicht weit von meiner Fahrschule und versuche endlich meinen lang ersehnten Cappuccino zu genießen, während ich die Menschen an meinem Fensterplatzt am Hocker vorbeiziehen sehe. Ich habe so einiges zu bedenken. Was ich tun möchte. Wo ich überhaupt stehe. Ob ich glücklich bin, wie ich lebe. Und um ganz ehrlich zu sein, weiß ich es nicht. Vielleicht nicht so sehr, wie ich es sein sollte. Aber ab wann ist man denn glücklich genug?

Gedankenverloren rühre ich in meiner heißen Tasse und fühle mich beängstigend taub. Als würde ich auf nichts reagieren können, dass um mich passiert. Als würde absolut nichts erwähnenswertes passieren. Und doch ist da meine Familie, die letzte Zeit vielleicht nicht mehr so viel Freude in mein Leben gebracht hatte, wie damals, aber sie ist da. Und einer der wichtigsten Dinge: Jordan. Und doch bin ich verunsichert. Ich will bei ihm bleiben, egal was kommt. Aber immer wieder wird mir etwas anderes bewiesen.

Aber dieses Thema will ich jetzt definitv nicht nochmal durchdenken. Die Kopfschmerzen melden sich wieder und ich reibe mir den Nasenrücken. Es ist, was ich von jetzt an tun möchte, worüber ich nachdenken möchte. College ist mein Ziel. Erfolgreich sein und die Projekte meiner Oma mit Herz weiter führen. Anderen helfen und sie nicht bestählen. Kurz halte ich inne. Oh oh. Mein Puls ist der selbe, doch bei dem Gedanken wird er plötzlich stechend. Eine Erkenntnis will sich zu mir hinauf boxen, doch ich bin noch nicht bereit dafür, also unterdrücke ich sie schnell und blicke durch den Laden. Meine Augen bleiben an einem Pärchen stehen, die ihr Baby bei sich haben. Es ist erstaunlich ruhig, während die Mutter mit diesem spielt und ein mattes Lächeln huscht auf meine Lippen. Wie schön es sein muss.

Schnell sehe ich wieder weg und kann das Seufzen nicht unterdrücken. College. Nachhilfe. Führerschein. Erfolgreich sein. Kluge Entscheidungen treffen. Das will ich. Und komischerweise führen diese Gedanken immer wieder zu Jordan zurück. Er beeinflusst das alles auf eine bestimmte Weise, auch wenn ich es nicht wahr haben will. Ich will daran glauben können, dass er zu diesen Vorstellungen dazugehören kann. Er gehört auch zum großen und ganzen. Und doch ist er es, was mich zurück hält. Oder ich überdenke es nur.

Frustriert gebe ich auf und verlasse das Café um einen kleinen Spaziergang in der Abendsonne zu unternehmen. Zuhause wartet eigentlich ein Familienessen auf mich, dass letzte Zeit wieder relativ, wie damals verläuft. Mir werden zum Erben keine Vorwürfe mehr gemacht. Sie scheinen es zu akzeptieren. So, wie ich. Ich bin überzeugt, dass ich damit irgendwie schon umgehen werde können. Und das alleine erleichtert mich immens. Seit zwei Wochen muss ich nicht mehr daran denken, meine Oma überreden zu wollen und das scheint sie zu merken. Und dennoch ist es, als würde sie mir noch etwas verheimlichen. Oder eher gesagt, mein Opa, der nicht gerade der beste darin ist, vor mir etwas zu verschweigen. Aber sie sagen nichts.

Die Jungs scheinen auch wieder beim Alten zu sein. Nur dass jetzt Lorx versucht alles erdenkliche für mich zu machen. Er ist nicht einmal sauer, dass Jordan ihn vor zwei Wochen geschlagen hatte. Ich muss ihn immer noch davon überzeugen, dass er mir das Geld nicht zurück zahlen muss. Und ich will es erst recht nicht, wenn er nur deswegen mehr dealen muss.

Und so verlaufen meine Tage. Ruhig, betäubend, ereignisslos. Weshalb ich mich darauf einlasse mich am Freitag mit Jordan und seinen 'wahren' Freunden zu treffen. Doch er ruft mich früher an, als geplant. "Wo bist du?"

Verwirrt rücke ich meinen Rucksack auf der Schulter zurecht. "Auf dem Weg nach Hause. Ich war einkaufen. Wieso?"

"Nur so. Du hast sicherlich nichts mehr vor, oder?" fragt er duchs Telefon und ich verziehe das Gesicht, als ich schon die Ecke weiter vorne sehe, die in meine Straße einbiegt.

"Außer dich heute Abend zu treffen nicht, nein."

"Ah ok." und damit legt er auf. Perplex bleibe ich stehen und starre auf den Display. Es kann nicht an der Verbindung liegen. Seufzend stecke ich das Handy wieder weg und ignoriere einfach Jordans Fachsen. Aber kurz darauf werde ich auf Motorgeräusche aufmerksam, die fast direkt neben mir auf der Straße sind. Bevor ich wirklich reagieren kann, ist das öffnen von Autotüren zu vernehmen und ich bin schon dabei hinzusehen, als mir plötzlich Mund und Arme zugedeckt werden und ich mich nicht losreißen kann. Panisch wehre ich mich, doch mein zu starker Angreifer zerrt mich innerhalb einer Sekunde ins Auto. Auf der Rückbank liegend schaue ich hektisch um mich und ich möchte schreien, als sich die Tür wieder schließt und das Auto mit enormer Geschwindigkeit mit mir davon fährt.

Erst Momente später kann ich den Innenraum des Autos durch meine Panik hindurch erkennen, als auch das blöde Lachen der Jungs, die diese Aktion als sehr witzig empfinden. Es ist Jordan in dessen Armen ich nun liege und schlage ihm wütend auf den Arm. "Sag' mal habt ihr sie noch alle?!"

Doch er kichert nur und umgreift meine Schenkel fester, was ein wohliges Prickeln in mir auslöst. Ich bin zu durcheinander für solche Gefühle! "Ich kann nicht fassen, dass ihr das gemacht habt. Ich dachte schon ich werde entführt!"Und erst recht Jordan sollte wissen, wie paranoid ich durch diese Bandengeschichte geworden bin.

"Das wurdest du auch. Zu ein paar witzigen Stunden mit uns." lacht Mitchel am Lenkrad.

"Dass du bei sowas mitmachst hätte ich nicht erwartet, Mitchel." tadle ich ihn und setze mich ungeschickt auf Jordans Schoß, um endlich seine Hand nicht mehr so nah an meinem Hintern zu spüren.

"Ach, komm. Als ob, Haley." höre ich Jordan hinter mir. Gerade muntert mich nicht einmal sein freches Grinsen auf. Reeven sitz neben uns, was mich überrascht, aber ich bin sofort wieder stinkig, als ich auch bei ihm ein Lächeln sehe. Solche Hooligens. Ich atme tief durch und würde nicht nur Lorx vor mir auf den Kopf schlagen wollen, sondern auch Jordans Hände um mich. Das war wirklich zu viel.

Selbst, als wir in einen McDrive einfahren, bin ich noch vor Schock am zittern. Eigentlich will ich kein Wort mit ihnen wechseln, doch meine Neugier ist zu groß. "Was wollt ihr denn machen?"

Die Stille wird von den herumreichenden Papiertüten durchbrochen und ich bin wahrscheinlich zum ersten Mal zufrieden damit, nicht, auf Jordans Schoß zu sitzen, als ich wütend auf den mittleren Platz rutsche. "Eigentlich nichts. Nur essen und vielleicht einen rauchen. Dann setzen sie uns ab." antwortet Jordan, als er seine Bestellung von Mitchel abnimmt.

"Und die sind für dich." reicht mir Mitchel zum Schluss Nuggets, aber ich bin immer noch zu stinkig.

"Nein, danke. Ich habe keine Lust auf zerstückelte Küken." brumme ich.

"Ah, du lüüügst. Ich weiß, dass du sie zu sehr liebst. Sonst hätte ich sie nicht mitbestellt." trällert er spielerisch und wackelt die Verpackung verlockend umher. Einen Moment starre ich sie grimmig an, bevor ich sie ihm entreiße. Wären sie nicht so köstlich, hätte ich ihm gesagt, dass er sie sich sonst wohin schieben soll.

"Mitchel, verdammt. Fahr' weiter. Du verursachst einen Stau." brummt Lorx und bringt Jordan zum lachen.

"Seit wann schert es dich, welche Unannehmlichkeiten wir anderen bereiten?" Doch er antwortet nicht auf seine Provokation.


Vielleicht eine Stunde vergeht und schon bin ich mit einem bekifften Jordan am Straßenrand, während wir auf den Bus warten. Unerwartet nimmt er meine Hand und zieht mich mit einem dumpfen Lächeln zu sich. "Ich hab dich wirklich lieb, weißt du?"

Ich unterdrücke das Kribbeln und spiele auf hart. "Sag' mir das, wenn du nicht auf etwas bist."

Er kichert. "Das tue ich doch. So oft kiffe ich nicht." Und es stimmt. Trotzdem gefällt es mir nicht so sehr, wenn er es tut. Während der gesamten Fahrt, lässt er nicht von meiner Hand ab. Selbst nicht, als wir schon durch die bekannte Steppenlandschaft watscheln, die uns zu dem üblichen Treffpunkt seiner Freunde führt.

"Haley?" fragt er plötzlich nach der langen Stille zwischen uns und wir sehen uns im gehen an, "Du wirst nicht glauben, was mir passiert ist." Würde er nicht grinsen, wäre ich panisch geworden. Also frage ich nur: "Was?" und er wirkt triumphierend, bevor er mit dem Blick nach vorne weiter stampft.

"Du erinnerst dich doch sicher noch an die Rander? Die eine große Gang?"

Wie bitte könnte ich das nicht? Aber ich bestätige nur, um gespannt zuzuhören.

"Sie haben wieder Kontakt mit mir aufgenommen."

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