Kapitel 32

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Ich sitze trübsalblasend an meiner Bank und beobachte meinen Bruder und Keith, die genauso, wie die meisten, dem Mathelehrer keine Beachtung geben. Heute ist der Tag so langweilig. Außerdem sieht es die ganze Zeit aus, als würde es bald regnen, was mir noch mehr von meiner Laune nimmt. Hoffnungsvoll sehe ich zu meinem Banknachbarn, jedoch ist er so vertieft in den Unterricht und beachtet mich nicht einmal. Seufzend sehe ich vom Streber weg nach vorne und versuche mich, genauso wie er, von den Erklärungen zu begeistern, die vorne stattfinden.

Aber nichts passiert. Mathe ist und bleibt das langweiligste Fach für mich. Ich kann verstehen, wieso Mitchel dieses Fach desöfteren schwänzt. Als Schüler unserer Art sitzt man hier seine Zeit nur tatenlos ab und kassiert die selben Noten, die man auch beim schwänzen bekommen würde. Mann, jetzt könnte ich mich nur darüber freuen, bei einen von Mitchels nervigen Versuchen seine Langeweile zu vertreiben. Wieso kommt er auch nur bei Fächern an, wo ich mich konzentrieren möchte, statt nicht einfach immer in Mathe mit mir anwesend zu sein? Aber nein, selbst wenn ich ihn anschreiben würde, er ist heute tatsächlich nicht da. Beschäftigt mit was auch immer die Jungs so vor haben.

Verstohlen sehe ich wieder zu dem Brillenträger neben mir, der das komplette Gegenteil von Mitchel ist. Naja, irgndwie sieht er süß aus, aber alleine das ist schon übertrieben. Er hechelt manchmal grundlos und hat die Gewohnheit, seine überdimensionale Brille immer wieder hochzuschieben. Seine kurzen grell blonden Haare sehen fast gebleicht aus und er ist so dürr wie ein Lauch. Mitchel nenne ich zwar Lauch, aber er ist wenigstens etwas trainiert. Nein, er kann mir keinen Trost spenden.

Verzweifelt lehne ich mich zurück und fahre gelangweilt den Stuhl sehr tief hinunter. Als mein Handy eine Nachricht aufweist, hoffe ich sehnlichst, dass sie von Mitchel stammt, doch die Nummer ist mir unbekannt. Verwirrt öffne ich den Chat.

x: Nach der Schule frei?

Mit zusammengezogenen Brauen vergrößere ich das Profilbild der Person und mache nach kurzem überlegen große Augen. Ein Typ mit rotem Beanie. Was will er denn plötzlich?

Ich stehe so geräuschlos wie möglich auf und verlasse den Raum. Niemand wird nachgucken, ob ich wirklich die Toilette besuche oder nicht, weshalb ich nach dem schließen der Tür ein Stück den Flur hinuntergehe und mich an eines der Fensterbretter lehne. Das Handy wieder in der Hand schreibe ich ihm.

Ja, wieso? Mit gerunzelter Stirn gucke ich abwartend auf mein Smartphone und nutze die Zeit, mir sein Profilbild noch genauer anzusehen. Darauf sieht er noch viel besser aus, als in echt, aber wirklich interessieren tut es mich nicht. Es ist mir mehr vom Interesse, wieso er mich anschreibt. Und woher er diese Nummer hat.

Reeven: Wir treffen uns alle heute bei mir Zuhause. Niemand kann uns heute fahren, weshalb du gleich nach der Schule mit mir fahren kannst.

Total überfordert sehe ich mir diese Nachricht an und komme nicht auf sie klar. Wieso soll ich wieder dabei sein? Wollen die überhaupt noch mit mir sprechen? Das ist mir zu bizarr.

Wieso soll ich denn mitkommen?

Noch versuchend das zu verarbeiten sehe ich verstört aus dem Fenster, dass mir eine relative Übersicht auf den Hof gibt, als auch einen kleinen Ausblick auf alles hinter dem Zaun, vom zweiten Stock. Dabei erblicke ich unerwartet eine Gestalt in der Nähe des Tores, die auf einer Bank sitzt und raucht, während sie am Handy ist. Das ist er doch, oder? Die Person lässt vom Handy ab und sieht auf. Japp, das ist sein Profil. Interessant, dass er genau heute keinen Beanie trägt. Wieder ertönt eine Nachricht auf meinem Handy.

Reeven: Jordan meinte, ich soll dich mitnehmen.

Bitte was? Als ob. Jetzt bin ich raus. Wieder sehe ich zu der Gestalt, dann zu der Tür, wo in diesem Moment  mein Matheunterricht stattfindet. Unter Druck beiße ich mir auf die Unterlippe und sehe wieder zu Reeven, nur, um auf seinen Text zu blicken. Jordan will mich dabei haben..Komisch.

Im nächsten Moment scheiße ich darauf, dass ich vielleicht Ärger bekommen könnte, als auch mein Bruder misstrauisch werden könnte, und gehe mit schnellen Schritten ins Treppenhaus. Ich bin noch nie so richtig aus dem Unterricht gegangen. Außer es gab einen richtigen Grund. Mit wild pochenden Herzen gehe ich im schnellen Tempo die Stufen hinunter und trete kurz darauf in die angenehm kühle Luft draußen. Ohne zu stoppen gehe ich weiter, aber kann nicht anders, als mich kurz umzuschauen. Nicht, dass ich erwischt werde, den Unterricht zu schwänzen. Okay, wen würde es auch interessieren.

Als ich näher komme blickt Reeven mit seinen leicht krausenden dunklen Haaren auf und ist im nächsten Moment verwirrt. "Hast du nicht Unterricht?"

"Schon, ist eh zu langweilig. Du eigentlich auch, nehme ich mal an."

"Mitchel hat wohl einen schlechten Einfluss auf dich." raunt er mit zusammengezogenen Brauen und vergräbt die Hände in den Taschen seiner dünnen Jacke.

"Wieso will Jordan, dass ich bei diesem Treffen anwesend bin? Wann hat er dir das gesagt?"

Fast genervt atmet er lange aus und sieht vor sich, als wäre in der Ferne etwas. "Gestern Abend, nachdem wir uns alle kurz gesehen haben. Er hats einfach gesagt. Erst recht mir, weil niemand hier sein würde. Okay, Mitchel ist es irgendwie, aber du weißt bestimmt Bescheid." winkt er ab und wirkt, als wäre das hier eine nervige Zusatzaufgabe mit der er sich abtun muss.

Eigentlich weiß ich nicht, wovon er da spricht, aber lasse das erstmal Beiseite. Er hat meine Frage nicht komplett beantwortet, aber ich bin viel zu verwirrt mit der Situation. Jetzt soll ich plötzlich mit Reeven zu ihm fahren? Und dann? Werde ich von Jordan wieder beschuldigend angesehen? Ich höre Reeven seufzen. "Ist jetzt alles egal. Er wollte dich bei haben, weil er sich wegen letztens etwas blöd fühlt. Obwohl das ganz schön krass ist." sieht er mich direkt mit geneigten Kopf an. "Also, kommst du mit?"

Nervös tapse ich von einem Fuß auf den Anderen und überlege angestrengt. Darauf war ich nicht vorbereitet. "Okay, ich komm mit." meine ich kurz darauf und klinge erstaunlich fest.

"Na dann. Können wir auch jetzt los? Ich sitze hier eigentlich nur wegen dir rum."

Verwirrt schüttle ich den Kopf. "Meine Sachen sind im Raum. Ich kann nicht einfach hineinspazieren und mit meinem Rucksack gehen."

Er seufzt teils verzweifelt. "Dann gehe brav zurück. Ich bin hier falls was."

"Kann ich hier bleiben?" frage ich und er sieht mich überrascht mit seinen braun grünen Augen an. Dann zuckt er erneut die Schultern und weist mich an, neben ihm Platz zu nehmen, aber ich spüre seinen neugierigen Blick an mir.

"Du rauchst nicht, oder?" fragt er, während er sich eine neue Zigarette aus der Schachtel holt.

"Nein, eigentlich nicht." Darauf nickt er, als hätte er nichts anderes erwartet, aber genauso hat er nicht meine weiteren Worte erwartet. "Kann ich es trotzdem versuchen?"

Mit großen Augen zuckt er wieder die Achseln und reicht sie mir, damit ich mir eine entnehmen kann. Argwöhnisch drehe ich die Zigarette in meinen Fingern, die mich zurückerinnern lässt.

"Deine erste?" höre ich Reeven, der mir sein Feuerzeug gibt, nachdem er versorgt ist.

"Irgendwie. Hab nur einmal gezogen. Aber Jordan meinte, dass es beim zweiten Zug besser ist." meine ich gedankenverloren und lege das Ding zwischen die Lippen.

"Du musst ziehen, während du es anzündest." kommt es von Reeven und ich sehe zu ihm. Doch seine Augen sind auf meiner Zigarette fixiert. Ich mache es und ziehe beim auspusten die Brauen zusammen. "Wow, du hast nicht gehustet." ist es neben mir etwas herablassend zu hören. "Wie ist es?"

Ich zucke nur die Schultern und meine, dass es in Ordnung ist. "Nicht zu schnell rauchen. Erst recht für Beginner ist der Rausch noch frisch und meine Zigaretten sind relativ stark." Japp, ich merke es auch schon.

In der Stille sitzen wir da und ich versuche das unwohle Gefühl bei ihm zu überspielen. "Woher hast du eigentlich meine Nummer?"

Er sieht mich nicht an und meint: "Mitchel hat sie mir schon damals mal gegeben. Aber bisher gab es keinen Grund, dir zu schreiben."

"Wieso zur Hölle gibt er meine Nummer weiter?"

Doch er zuckt die Schultern. "Für denn Fall."

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