Kapitel 6

253 22 8
                                    


Julia

Julia schaute gelangweilt zu, wie Gäste plauderten und Kuchen aßen. Ihr selbst war ein Stück Käsekuchen mit heißen Kirschen serviert worden, welches sie ebenso gelangweilt gegessen hatte. Ihre Familie unterhielt sich angeregt. Peter war noch nicht zurückgekommen. Aber noch jemand fehlte. Ihr Vater würde bei ihrer Feier nicht dabei sein. Er war unterwegs in die Hauptstadt des Elfenterritoriums, da das Militär vor Ort kleinere Aufstände gemeldet hatte. Friedrich war unterwegs, um sich die Lage vor Ort anzuschauen und eventuell Gelder bereitzustellen. Daher wurde er von dem Finanzminister begleitet. Auch Cleo würde nach der Geschenkübergabe aufbrechen, um sich, wenn nötig, der Lage persönlich anzunehmen und ihren Stiefvater dort zu treffen und zu unterstützen. Cleo hatte Wert daraufgelegt, ihr Geschenk während der Feier zu überreichen. Daher war sie nicht direkt in die Hauptstadt aufgebrochen.

Was sie mir wohl schenkt? Schmuck? Nein. Cleo mag keinen Schmuck... Vielleicht Bücher?

„Peter!", zischte Agathe und riss Julia aus ihren Gedanken. Peter war wieder da, diesmal nicht im Schlafanzug, nein, er hatte gute, festliche Kleidung an... Allerdings so kunterbunt durcheinander gewürfelt, dass die Farben und Muster nicht zusammenpassten... Und ganz offensichtlich hatte er Julias Schmuckkästchen geplündert.

Ich wäre gern genauso rebellisch wie er. Stattdessen spreche ich nicht einmal aus, dass ich nicht zur Akademie möchte... Bin ich feige? ... Nicht, dass ich da eine Wahl hätte. Die Akademie ist Pflicht, auch für eine Prinzessin. Ich wünschte, ich wäre ein normaler, sterblicher Mensch und nicht unsterblich... Dabei sind wir gar nicht ‚unsterblich'. Wir können sterben. Durch Unfälle, Mord und ganz selten durch Krankheit... Sich unsterblich zu nennen... Ist das nicht Überheblichkeit?

Die empörten Blicke seiner Mutter ignorierend setzte Peter sich auf seinen Platz neben Julia.

„Und? Habe ich die Geschenkübergabe verpasst?", fragte er breit grinsend.

„Nein. Es dürfte jederzeit losgehen", antwortete sie ebenso grinsend. „Mein Schmuck steht dir gut!", scherzte sie weiter. Ich wäre gern wie er.

„Nicht wahr? Ich bin am überlegen, ob ich ihn dir überhaupt zurückgeben möchte..."

„Das ist ein Skandal! Was soll das werden, Peter? Was soll dieser alberne Aufzug?", tadelte nun die Königin. „Und das am Geburtstag deiner kleinen Schwester! Ich habe besseres von dir erwartet. Muss du dir unbedingt den heutigen Tag für eine alberne Rebellion aussuchen?"

Peter lächelte nur milde. Während die Königin sich erhob, um den Beginn der Geschenkübergabe anzukündigen, stupste Julia ihren Bruder an. Als Julia seine Aufmerksamkeit hatte zog sie den Saum ihres weiten Kleides hoch. Peter lachte leise. Sie trug keine Schuhe.

„Wie ich sehe, bin ich nicht der einzige Rebell. Meine kleine Schwester sucht die Gefahr!", flüsterte er ihr zu und Julia ließ ihr Kleid wieder fallen, bevor ihre Mutter ihre Rebellion bemerkte. Bin ich feige? „Und was hast du noch geplant, Schwesterchen? Jeden Tag die Schule schwänzen?"

„Wenn ich nur könnte", murmelte sie und Peter drückte sie an sich. „Ich würde mit dir tauschen, wenn ich könnte", sagte er und küsste Julia auf die Schläfe.

Die Musik verstummte und die Königin schlug mit einem feinen Löffel gegen ihr Trinkglas. Die Gespräche im Raum erloschen und alle Augen richteten sich auf die königliche Familie. Besonders auf die Königin und das Geburtstagskind. „Ich möchte nun zum nächsten Punkt dieser Feier kommen", verkündete die Königin mit Stolz in ihrer Stimme. „Kommen wir zu den Geschenken, denn was wäre ein Geburtstag ohne Geschenke?" Mit einer gleichsam beiläufigen und gleichzeitig eleganten Handbewegung wies sie Julia an, sich neben sie zu stellen, wie es das Protokoll verlangte. „Vielen Dank für die reichlichen Geschenke, die Sie alle mitgebracht haben", fuhr die Königin fort. Julia schwieg lächelnd. „Meine Tochter", die Königin legte ihre Hand auf Julias Schulter, „Ich habe lange überlegt, was ich dir schenken könnte, an diesem besonderen Tag. Da du nun bald zur Akademie aufbrechen wirst, möchte ich dir etwas für deinen neuen Lebensweg schenken." Diener brachten eine teuer aussehende Schultasche, Stifte, neue gute und funktionale Kleidung und Bücher, präsentierten diese Julia und brachten sie dann in den Raum, in welchem sich die Geschenke der Gäste befanden. „Ich hoffe du gehst mit Freude in ein weiteres Lebensjahr", schloss die Königin ihre Rede. Julia war die gesamte Zeit bemüht gewesen, nicht das Gesicht zu verziehen. Sie wollte nicht zur Akademie und sie wollte nichts von den Dingen, die sie dort nutzen sollte. Dennoch lächelte sie ihr freundlichstes Lächeln und dankte ihrer Mutter mit einem Kopfnicken.

Immer Protokoll dies, Protokoll das... Geschenke am Frühstückstisch hätten mir besser gefallen! Aber wenigsten muss ich nicht jedes Mal Danke sagen, sondern nur nicken. Warum gibt es so viele Regeln? Langsam werden meine Füße kalt... Egal... Ich gönne mir diese kleine Rebellion!

Während die Königin sich hinsetzte, stand Fritz auf, um sein Geschenk zu überreichen, welches auch von Dienern präsentiert wurde: Bücher, Schmuck und einen großen Stoffbären gegen die Einsamkeit in der Akademie. Fritz sagte dies mit einem Augenzwinkern, woraufhin ein leises Lachen von den Gästen zu hören war. Da Peter ihr sein Geschenk bereits gegeben hatte standen als letztes Lea und Cleo gemeinsam auf. Julia schaute etwas verwundert zu ihren Schwestern. Hatten sie ein gemeinsames Geschenk? Was das wohl sein mochte? Gleichzeitig wurden zwei Werwölfe und ein Elf in den Saal geleitet. Julia wurde skeptisch. Was haben sie vor?

„Wir haben lange überlegt, was wir dir schenken könnten", begann Cleo ihre kleine, lange vorbereitete Rede. „Und nach längerer Überlegung kamen wir zu dem Entschluss, dir Diener an die Seite zu stellen. Die Akademie erlaubt es, eigene Diener mitzubringen, daher werden diese drei dich begleiten und von nun an in deinem Dienst stehen."

Julia konnte es kaum fassen. Ihr viel es schwer, nicht so schockiert ihre Schwestern anzusehen, wie sie sich fühlte. Mit Grauen sah sie zu, wie ihre Schwestern jeweils ihre rechten Ärmel hochzogen. An ihren Handgelenken waren die Schnörkel eines temporären Bindungszauber zu sehen.

Oh nein! Nein! Nein! Nein!

Gleichzeitig zogen die Diener ihren ‚neuen Dienern' die Ärmel hoch. Besonders der Elf schien sich wehren zu wollen, verkniff es sich jedoch.

„Mit Freude übergeben wir dir diese Diener", verkündete nun Lea und sie und Cleo griffen nach der rechten Hand ihrer Schwester.

Nein! Nein! Nein! Das darf nicht wahr sein... Kann ich nein sagen? Nein... Das würde den Tod der drei bedeuten... Ich muss sie akzeptieren...

Feine, helle Linien bewegten sich von den Handgelenken von Cleo und Lea zu Julia, während ihre beiden älteren Schwestern konzentriert die Augen schlossen. Julia sah zu den drei Neulingen. Die Lienen auf ihren Handgelenken leuchteten ebenfalls auf und veränderten die Gestalt, zu einem festen Bindungszauber an Julia. Die drei neuen, persönlichen Diener waren blass. Das Grauen war ihnen ins Gesicht geschrieben. Einer der Wölfe, ein von der Statur her eher kleiner, sehr dünner Junge ungefähr in Julias Alter, sah aus als wolle er davonlaufen. Er hatte weiße Wolfohren. Der andere Wolf war ebenfalls ungefähr so alt wie Julia und hatte schwarze Wolfohren, während der Elf etwas älter aussah. Julia konnte seine Flügel nicht sehen. Waren sie blaugrün? Sie spürte die neuen Linien auf ihrem Handgelenk leicht brennen, dann war es vorbei.

Sie hatte nun drei Diener, die sie nicht wollte.


(c: sasi)

Hexe - Der AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt