Vor 10 Jahren.
Peter
Peter stand vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer seiner Mutter und betrachtete sein Spiegelbild. Er hatte sich einen Hut mit großer, weißer Feder auf den Kopf gesetzt und sich einen bunten Seidenschal um den Hals gelegt. Aber etwas fehlte noch. Ein großer Zauberer musste schließlich auffallen!
Er ging zum Schmuckschrank seiner Mutter und öffnete eine der Schubladen. In verschiedenen Kästchen bewahrte sie Broschen auf. Er öffnete jedes Kästchen, bis er eine Brosche fand, die ihm gefiel. Eine große Schildkröte mit einem goldenen Panzer und schimmernden Diamanten als Augen. Er steckte sich die Brosche an seine grüne Leinenjacke, betrachtete erneut sein Spiegelbild und lächelte zufrieden. Genau so sah ein großer Zauberer aus.
„Peeeeeteer? Wo bist du?", hörte er seine kleine Schwester rufen.
„Hier!", rief er zurück und eilte zur Tür, um sie zu öffnen. „Hier bin ich!"
Seine sechs Jahre alte Schwester stand nur wenige Meter von der Tür entfernt und sah ihn mit großen, grauen Augen an. „Mama sagt, wir dürfen nicht mit ihren Sachen verkleiden spielen."
„Ich spiele nicht verkleiden." Peter rückte den Seidenschal zurecht, da er verrutscht war. „Ich mache viel wichtigeres!"
„Was machst du dann mir Mamas Sachen?", wollte Julia wissen. Sie trug eine weiße, fleckige Hose und darüber eine hellgelbe Leinentunika mit großen, bunten Blüten, die ihr etwas zu groß war. Peter fand, sie sah damit aus wie eine Blumenfee.
„Ein Zauberer sein, natürlich."
„Aber du kannst doch gar nicht zaubern. Du bist erst 10. Paul sagt, Magie zeigt sich erst wenn man 12 ist, oder älter."
„Ich werde bestimmt ein ganz großer Zauberer!" Peter nahm den Hut mit der großen Feder ab und setzte ihn Julia auf den Kopf. Der Hut war ihr viel zu groß. „Und du wirst eine große Hexe. Und dann gehen wir beide auf die Akademie und lernen ... Alles! Und dann können wir machen was wir wollen!" Mama sagte zwar ich bekomme keine Magie, aber sie muss sich geirrt haben. Sie wird schon sehen! Ich werde der beste Zauberer von allen!
„Wirklich alles?"
„Alles!"
„Zeigst du mir, wie man auf einen Baum klettert? Ich habe es versucht, aber ich bin hingefallen." Julia zeigte auf ihre Knie. Auf ihrer weißen Hose waren dunkelgrüne Grasflecke.
„Auf welchen Baum wolltest du denn klettern?"
„Auf den ganz großen Baum!" Julia streckte die Arme nach oben. „Den Riesengroßen!"
„Dann los! Wer als erstes draußen ist!" Peter rannte los. Dabei flatterte der Seidenschal.
„Das ist gemein!", hörte er Julia rufen. „Du bist doch viel schneller als ich!"
Das kleine Mädchen rannte ihm hinterher. Gemeinsam eilten sie die Flure entlang, vorbei ein Ingried, die auf einer breiten Fensterbank saß und las und an Paul vorbei, der draußen an einem Tisch Schach gegen sich selbst spielte, bis sie bei dem größten Baum ankamen. Es war der perfekte Kletterbaum. Peter war schon oft hinaufgeklettert, aber er hatte sich nie bis nach ganz oben getraut.
„Ok, ich klettre vor und dann helfe ich dir hoch, ja?", schlug er Julia vor, die auf dem Weg bis zum Baum den Hut irgendwo verloren hatte.
„Und wenn ich wieder hinfalle?"
„Ich halte deine Hand."
„Und du lässt auch nicht los?"
Peter schüttelte den Kopf. „Niemals."
„Gut. Aber du darfst nicht loslassen!", verkündete Julia, während Peter bereits den Baum hinaufkletterte und ihr seine Hand hinhielt.
Die beiden kletterten gemeinsam den Baum hinauf, bis zu einem Breiten Ast, auf welchem sie sitzen konnten. Peter hielt dabei die Hand seiner Schwester fest, wenn immer sie es brauchte und zeigte ihr, wie sie klettern musste. Er hatte nicht bemerkt, wie er dabei den Seitenschal seiner Mutter zerriss. Der Feine Stoff war an den Ästen hängen geblieben.
„Ich will noch bis nach ganz oben!" Julia zeigte auf die dichten, dicken Äste über ihnen.
„Ich weiß nicht... Das ist sehr hoch." Peter schaute nach oben.
„Ich schaffe das bestimmt! Und wenn ich falle, dann fängst du mich einfach auf!" Vom Mut gepackt kletterte Julia weitere Äste hinauf. Peter schaute ihr dabei zu.
„Schau, jetzt bin ich fast ganz oben!", rief sie wenige Augenblicke später fröhlich. „Hier oben ist es noch viel besser!"
„Hattest du nicht Angst davor, allein zu klettern?", erinnerte Peter sie etwas irritiert.
„Aber ich klettre doch nicht allein. Du bist doch bei mir. Und du hilfst mir wieder runter, ja?"
„Ja, mach ich." Peter lächelte. Er war stolz, aber er fühlte sich auch etwas seltsam... Als wäre er traurig, obwohl er nicht traurig war.
„Was macht ihr zwei im Baum?", hörte er nun Paul rufen. Peter schaute nach unten. Dort stand sein zahn Jahre älterer Bruder. „Papa hat dir doch das Klettern verboten, Peter. Und ist das nicht Mamas Lieblingsschal? Der da zwischen den Ästen hängt?"
„Peter ist ein großer Zauberer und ich bin hier ganz oben! Guck mal Paul! Ich bin ganz weit oben!", beantwortete Julia die Frage triumphierend. Peter zog den Seidenschal von einem der Äste. Er hatte nun ein paar große Löcher und war an einem Ende aufgerissen. Ich hoffe, Mama wird nicht wütend...
„Ja das sehe ich, aber jetzt kommt ihr besser wieder runter. Bevor ihr Ärger bekommt", rief Paul ihnen zu, der nicht bemerkt hatte, dass der Schal kaputt war.
„Aber ich will nicht! Und Peter will auch nicht!" Julia streckte Paul die Zunge raus.
„Und wenn ich euch verrate, dass in der Küche heute Kekse gebacken werden? Vanillekekse?", versuchte Paul es erneut. „Auf Bäumen gibt es keine Kekse!"
„Gibt es wohl!" Julia streckte ihm erneut die Zunge raus. „Peter zaubert einfach welche! Richtig, Peter?"
Peter lachte. „Genau, ich Zauber einfach welche. Und dann gehen Julia und ich gemeinsam zur Akademie."
Paul schüttelte den Kopf. „Du wirst nicht zur Akademie gehen. Du bist kein Zauberer. Genauso wenig wie Ingried und ich. Und selbst wenn du zur Akademie gehen würdest, du wärst mit der Schule fertig, wenn Julia ihre Schulzeit dort beginnen würde... Falls sie eine Hexe ist. Aber Mama ist sich da glaube ich sehr sicher."
„Ich will ein Zauberer sein, also werde ich einer! Du wirst schon sehen! Und Julia und ich gehen zusammen zur Akademie! Ich falle einfach immer wieder durch, dann bin ich noch an der Akademie, wenn Julia anfängt. Wir gehen da zusammen hin!"
„Ja! Zusammen!" Stimmte Julia zu. „Aber jetzt will ich doch Kekse... Hilfst du mir runter zu klettern, Peter? Hältst du wieder meine Hand?"
Peter nickte. „Natürlich. Immer. Ich lasse nicht los. Keine Angst."
(c: sasi)
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Hexe - Der Aufstand
FantasyJulia möchte ein normaler, sterblicher Mensch sein. Ihre ältesten Geschwister sind Hexen, Zauberer. Julia möchte nichts davon. Sie möchte alles hinter sich lassen. Doch das Schicksal hat anderes mit ihr vor: Kurz vor ihrem 16. Geburtstag zeigt sich...