Bonuskapitel 18

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Der Drache saß auf einem Felsen und betrachtete die Gewitterwolken. Es war ein schwarzer Drache und Saira war von seinem Anblick gefesselt. Ihr kleiner Bruder Fiete lief ihr schlecht gelaunt hinterher. Er war noch jung. Gerade erst sechzehn. Und sie musste mal wieder auf ihn aufpassen. Sie beide hatten zusätzlich zu den weißen Schuppen und Federn auch orangene. Eine Seltenheit unter weißen Drachen. Fiete hatte seine orangenen Federn und Schuppen nie gemocht, doch Saira war gern besonders.

Ihr Bruder schnaubte. Er war genervt. Es regnete und er mochte es nicht, wenn seine Federn nass wurden. Fiete schickte ihr Bilder von ihrer warmen, trockenen Höhle. Er wollte nach Hause.

Dann geh!, forderte sie ihn auf. Die Sprache der Drachen war eine interessante Sprache. Für jedes Wort hatten sie ein Bild. Sie nutzten Bilder und Erinnerungen zur Kommunikation. Und Laute. Zischen, Brummen, Fauchen. Für die Ohren der Menschen waren nur diese zu hören. Sie sahen die wunderschönen Bilder nicht. Ihre Köpfe waren den Drachen verschlossen. Selbst für ihre Namen hatten Drachen Bilder.

Saira! Bitte. Es stürmt!, flehte Fiete.

Das macht mir nichts aus. Geh ruhig.

Saira sah zu dem schwarzen Drachen. Ihre Blicke trafen sich.

Erschrocken wachte sie auf. Ihr kleiner Sohn, Josef, schlief unter ihrem Flügel. Drei Jahre war es nun her, dass sie ihre Heimat verlassen musste. Wie es wohl Fiete ging? Er war jetzt neunzehn. Oder schon zwanzig? Wie schnell doch die Zeit verging.

Ihr Sohn schlief tief und fest. Er kannte nichts anderes als das Sumpfland. Josef hatte die Wüste nie gesehen. Er kannte seinen Vater nicht. Jadoo. Der schwarze Drache wusste nicht, dass er Vater war. Er wusste nicht, dass es Josef gab. Er wusste nicht, dass sie fortgehen musste.

Es war eine kurze Romanze gewesen. Kurz und stürmisch, wie das Gewitter, bei welchem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte ihr Herz erobert. Drei Tage waren sie zusammen gewesen. Sie hatten die Nächte miteinander geteilt. Doch dann in der einen, verhängnisvollen Nacht, hatte ein anderer Drache sie gesehen und ihr Glück ruiniert. Am nächsten Morgen konnte ihre Familie es riechen. Sie war schwanger. Und alle erfuhren, dass es ein schwarzer Drache war. Sie jagten sie fort.

Eine wundervolle Nacht hatte gereicht. Sie reichte für ein zerstörtes Leben und ein neues Leben.

Saira bereute es nicht. Sie liebte Josef. Er war ihr kleines Wunder. Doch mit jedem Tag fühlte sie sich schwächer. Sie wusste, dass ihre Tage gezählt waren. Genau wie die Tage ihres Kinds. Er hatte die Krankheit geerbt, die sie von ihm fortreißen würde. Bald. Sie konnte es spüren. Sie würde nicht sehen, wie er erwachsen wurde. Wie lange hatte sie noch? Einige Jahre?

In diesen Jahren würde sie ihm alles geben.

ALLES!

Sie hatte nur einen Wunsch. Sie wünschte sich, dass dort draußen jemand auf Josef wartete. Dass es jemanden gab, der ihr Kind liebte. Ihn liebte, wie sie es tat. Bedingungslos. Unendlich.

Würde ihr dieser Wunsch erfüllt werden?

Wie es ihrem Bruder wohl ging?

Und Jadoo? War er weitergereist? Er war ein Wanderer. Er blieb nie lange an einem Ort. Ihr Treffen war Zufall gewesen. Ein wunderbarer, intensiver Zufall. Als sie fortgejagt wurde, war er längst fort.

Er wusste nichts von Josef. Vermutlich interessierte es ihn auch nicht. Schwarze Drachen waren Einsiedler. Die Weibchen zogen die Kinder allein groß. Abgeschottet. Für Josef war es vermutlich das Beste in der Einsamkeit aufzuwachsen.

Sie betrachtete die dunklen Schuppen ihres Kindes. Sie waren so schwarz wie die, seines Vaters. Doch die Flügel? Weiße Federn. Und auch etwas orange. Er war perfekt.

Ein stilles, liebes Kind. Doch auch ein zorniges Kind.

Ohne Zweifel das Kind eines schwarzen Drachen.


(c: sasi)


Hexe - Der AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt