Julia
Julia nahm sich den Brief ihres Bruders. Sie hatte ihn noch nicht gelesen, nur geöffnet. Ihr Blick wanderte über die vertraute, leicht krakelige Schrift. Hier und da war ein dunkler Tintenfleck und einige der Buchstaben waren leicht verwischt.
Sie konnte sich gut vorstellen, wie er an seinem Schreibtisch oder in der Bibliothek gesessen hatte und hastig den Brief verfasste. Julia schmunzelte.
‚Hallo Lieblingsschwester' stand dort und Peter hatte einen Stern daneben gezeichnet. Sie machte es sich auf ihrem Bett gemütlich und begann zu lesen.
‚Hallo Lieblingsschwester,
Ich vermisse dich schrecklich.
Genießt du die Zeit an der Akademie? Hast du bereits ein Lieblingsfach? Sicher ist es nicht Magie.
Weißt du noch, als wir davon träumten gemeinsam zur Akademie zu gehen? Ich wollte so oft durchfallen und das Schuljahr wiederholen, bis wir gemeinsam die Akademie besuchen könnten. Ich wünschte, ich hätte diesen Plan verfolgen können. Wir könnten gemeinsam den Lehrern Streiche spielen.
Hast du bereits Freunde gefunden?
Mutter hat mich zu einem Teekränzchen mit heiratswilligen Hexen gezwungen. Babette war auch da. Es war fürchterlich. Ich hoffe sehr, keine von ihnen heiraten zu müssen.
Als Mutter mich fragte, ob mir eine gefiel, sagte ich nein. Wahrheitsgemäß. Ich hoffe sehr, sie belässt es dabei. Sie hat zumindest nichts dazu gesagt.
Aber ich bin mir nicht sicher... Am Ende plant sie noch, mich mit Wurst-Babette zu verheiraten.
Das wäre schrecklich. Was soll ich mit Babette?
Deine Kette halte ich in Ehren und trage sie jeden Tag. Ich glaube, sie fühlt sich bei mir wohl.
Ich hoffe, dich bald wiederzusehen.
Dein Lieblingsbruder.'
Julia lachte. Wurst-Babette. Den Namen würde sie sich merken.
Anscheinend war ihr Brief noch nicht bei Peter angekommen, als er ihr schrieb. Zumindest schrieb er nichts darüber.
Sie war müde. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen. Mit dem Brief ihres Bruders auf ihrem Kopfkissen, neben ihrem Kopf, schlief sie ein.
Blaugrüne Flügel. Ein Kuss. Ein Dorf. Feuer. Die wütenden Augen ihrer Mutter. Peter. Ein Blumenstrauß. Zwei Wölfe, einer weiß der andere schwarz, die auf einer Wiese in der Sonne lagen. Ein Kind mit rosa schimmernden Flügeln, nicht älter als drei Jahre. Ein brauner Wolfswelpe.
Julia wachte auf. Eine Vision? Was hat sie zu bedeuten? Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass die Sonne gerade unter ging. Sie hörte Sophie singen und Töpfe klappern. Jemand lachte. Finn? Gähnend stand sie auf. Sie brauchte dringend frische Luft.
Vor ihrer Zimmertür stand Leopold und fegte. Seine blaugrünen Libellenflügel schimmerten im letzten Sonnenlicht. Blaugrün. Wie in ihrer Vision... „Habt Ihr geschlafen?", wollte er lächelnd wissen. Julia mochte sein Lächeln, auch wenn es immer etwas reserviert aussah. Die Uniform stand ihm gut. „Eure Haare sind ganz zerzaust."
„Oh." Automatisch strich sie ihr Haar glatt. „Ja, ich habe geschlafen." Ihr Blick wanderte zum Boden, um zu verbergen, dass sie etwas rot wurde. „Danke fürs Fegen." Danke fürs Fegen? Stell dich nicht so tollpatschig an, Julia. Er ist ein Diener, vergiss es... Egal, wie gut er aussieht. Mama würde durchdrehen... Und er ist ein Diener... Ich habe einen Kuss gesehen... Nein, vergiss es Julia. „Ich gehe nach draußen. Möchtest du mich begleiten?", hörte sie sich dennoch fragen. Was soll das Julia... Lass es.
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Hexe - Der Aufstand
FantasyJulia möchte ein normaler, sterblicher Mensch sein. Ihre ältesten Geschwister sind Hexen, Zauberer. Julia möchte nichts davon. Sie möchte alles hinter sich lassen. Doch das Schicksal hat anderes mit ihr vor: Kurz vor ihrem 16. Geburtstag zeigt sich...