Kapitel 60

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Julia

Am Ende wusste ihre gesamte Klasse Bescheid, da tatsächlich nicht nur Marie und Pia den Kuss gesehen hatten. Julia qualmte der Kopf. Ihre Mitschüler hatten sie ausgefragt und waren sehr aufgeregt über die Neuigkeit gewesen. Einige fragten auch, ob sie den Elfen treffen dürften. Schließlich versprachen sie, niemandem etwas zu erzählen, doch Julia bezweifelte, dass es lange dabeibleiben würde. Zum Glück hatte niemand negativ darauf reagiert. Zumindest soweit sie es beurteilen konnte. Dennoch war sie nervös. Als sie am Nachmittag in ihre Wohnung zurückkehrte erwartete Sophie sie bereits mit Kuchen und Tee, welchen sie gemeinsam mit Finn gebacken hatte.

Sie aßen gemeinsam den Kuchen und unterhielten sich, bis Leopold und Marko aus der Küche zurückkehrten.

„Wir mussten Unmengen an Äpfeln schälen!", stöhnte Marko. „Für Apfelmus. Und Kartoffeln schälen und raspeln! Anscheinend gibt es heute Abend Kartoffelpuffer für die anderen Schüler. Das hat kein Ende genommen! Jetzt sind meine Hände ganz steif und tun weh! Ich schäle nie wieder Äpfel und Kartoffeln!"

„Ich glaube nicht, dass das klappt", wand Leopold ein und gab Julia einen Kuss auf die Wange. „Wie war dein Tag?"

„Phänomenal! Wir wurden gesehen! Jetzt weiß meine gesamte Klasse, dass wir zusammen sind!" Julia seufzte. „Sie wollten keine Ruhe geben. Schäm dich!"

„So schlimm?" Leopold lachte. „Das tut mir leid. Bist du mir Böse?"

Julia schüttelte den Kopf. Es hatte ihr gefallen, auch wenn es dumm war.

„Was haben sie gesehen?" Finn sah interessiert zu den beiden. „Was habt ihr gemacht?"

„Bestimmt was unanständiges!" Marko zwinkerte ihm zu.

„Wir haben uns geküsst, Marko. Sonst nichts", antwortete der Elf. „Nur geküsst."

„Wie langweilig." Marko verschränkte die Arme.

„Anscheinend fanden Julis Mitschüler es nicht langweilig", wand Finn ein.

„Juli?" Sophie reichte Marko und Leopold ein Stück Kuchen.

„Mein neuer Spitzname." Julia strich eine störrische Haarsträhne hinter ihr Ohr.

„Was? Ich will Euch auch Juli nennen!", rief Marko sofort. „Ich darf doch? Oder? Wenn Finn darf?"

Julia nickte. „Ich muss mich jetzt an meine Hausaufgaben setzen."

„Wie langweilig!" Marko schüttelte den Kopf. „Aber was war den jetzt mit dem Kuss?", rief er ihr lachend hinterher, während sie in ihr Zimmer ging. Sie hatte nur wenig auf und war daher sehr schnell fertig.

Nach dem Abendessen saß sie noch mit Leopold zusammen im Wohnzimmer. Marko lag als Wolf auf ihren Füßen und Finn kuschelte sich an ihn. Beide waren tief am Schlafen.

„Ich hatte eine Vision." Julia lehnte sich an den Elf.

„Eine Vision? Gut oder schlecht?"

„Ich bin mir nicht sicher. Beides, denke ich. In meiner Vision hattest du ein Gefäß in der Hand. Ich habe es noch nie gesehen."

„Ein Gefäß?" Leopold strich ihr durchs Haar. „Was für eines?"

Er wirkte mit einem Mal nervös. Julia sah zu ihm auf. „Nun... Wie ein Marmeladenglas. Nur aus Ton." Was war es für ein Gefäß? Oder bildete sie sich seine Nervosität nur ein?

„Vielleicht die Medizin, die ich von zuhause mitgebracht habe? Es hat sicher nichts zu bedeuten."

„Vermutlich hast du recht. Aber ich habe auch ein Feuer gesehen und ein Dorf im Wald... Wir waren dort. Was meinst du, wie wir dort hinkommen?" Hatte sie sich seine Nervosität nur eingebildet? Vermutlich.

„Hm." Er legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie an sich. Dann drückte er ihr einen Kuss aufs Haar. „Ich weiß nicht. Hast du nichts dazu gesehen?"

Julia kuschelte sich noch näher an ihn und schloss die Augen. „Nein. Nichts. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen wird."

„Dann müssen wir wohl warten und sehen, was passiert?"

„Ich könnte versuchen mehr zu sehen. Aber nur weil ich etwas Bestimmtes sehen will, heißt das nicht, dass ich es auch sehe."

„Das ist eine Zwickmühle."

Marko brummte im Schlaf. Sie spürte seinen Wolfskörper dabei leicht vibrieren. Sie lächelte. Der Wolf war warm.

„Es ist spät." Sophie kam in das Wohnzimmer. „Ihr solltet alle in eure Betten!"

Julia seufzte und vergrub das Gesicht in Leopolds Schulter. Er strich ihr über den Rücken und lachte leise. „Geht ins Bett, Prinzessin. Ich wecke die beiden Wölfe."

Doch Marko wachte auf, als Julia ihre Füße vorsichtig unter ihm herzog, um sich für die Nacht fertig zu machen.

Peter

Peter stand vor dem fast fertigen Gemälde. Der Maler arbeitete sehr schnell und gründlich und hatte Babette sehr gut getroffen. Peter hingegen sah auf dem Gemälde aus wie ein unglückliches Gespenst. Zumindest empfand er so. Babette war anderer Meinung. Sie hatte es ‚königliche Blässe' genannt und Peter mit seiner Unzufriedenheit allein gelassen. Sein Vater unterhielt sich mit dem Baron und Babette spielte Klavier. Peter wusste nicht, dass sie Klavier spielen konnte... Oder besser gesagt, nicht konnte. Er wusste nicht, welches Stück sie spielen wollte. Es war eindeutig, dass sie auf dem leicht verstimmten Klavier die Melodie verfehlte. Was sie spielte klang wie Katzenjammer.

Ihre Stiefmutter stickte und hörte ihr mit einem gequälten Lächeln zu. Es regnete. Dicke Tropfen klopften an die Fensterscheibe des Kaminzimmers, in welchem sie sich befanden. Hier hing auch das Gemälde von Babette, welches ihre Stiefmutter ihr in das neue Haus mitgeben wollte. Auf dem Bild war Babette zu sehen. Ein kleines, hübsches, pummeliges Mädchen mit roten Wangen und einem entzückenden Lächeln. Neben ihr saß ein Schwan. Das Bild war niedlich. Im Hintergrund waren Pferde zu sehen. Babette hielt eine Puppe im Arm und blickte fröhlich dem Betrachter entgegen. Es gab nur ein Problem. Das Gemälde war riesig. Kein Wunder, dass ihre Stiefmutter es loswerden wollte. Es passte nicht in das vergleichsweise kleine Kaminzimmer. Das Bild hing dort wie ein monströses Monument.

„Hat dir mein Klavierspiel gefallen?", fragte Babette, als sie ihre ungeheuerliche Klaviereinlage beendete.

„Es war außergewöhnlich." Peter sah nicht zu ihr. „Das Klavier muss gestimmt werden."

Babette schnaubte. „Ich habe es gestern selbst gestimmt!"

Peter biss sich auf die Unterlippe um nicht laut zu Lachen. Babette hatte das Klavier also eigenhändig vollkommen verstimmt.

„Denkt bitte daran, dass wir morgen Hochzeitstorten probieren, um eine Auswahl zu treffen", erinnerte die Baronin sie. „Und auch Wein."

Wein und Kuchen? Das klingt nach einer Katastrophe. Peter wurde bereits beim Gedanken daran schlecht. Aber vielleicht konnte er sich ja betrinken? Betrunken wäre das Ereignis sicher erträglicher?

Oder nicht?

Er hatte ein ungutes Gefühl.


(c: sasi)


Hexe - Der AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt