Bonuskapitel 10

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Sein Zuhause stand genau zwischen zwei Bergen, die wie zwei Türme neben dem dunklen Schloss hochragten. Moosige Wälder zogen sich durch das Land und Moore waren überall zwischen den Städten und Dörfern zu finden. Die Bäume wuchsen hoch und hielten das direkte Sonnenlicht fern. Es war immer schattig und oft auch neblig. Dunkle Vorhänge verhüllten die Fenster des Schlosses, um die dort residierenden Vampire vor dem Sonnenlicht zu schützen.

Marlon rannte den Flur entlang. Seine kleine Schwester folgte ihm. Sie war gerade erst vier Jahre alt. Ein kleines zierliches Mädchen mit einem sehr starken Willen. Jetzt wollte sie fangen spielen und Marlon tat ihr den Gefallen. Sie eilten an den Dienern und Wachen vorbei, die ihnen gekonnt auswichen. Die beiden waren ihren beiden Kindermädchen entwischt, die ihnen jeden Spaß verbieten wollten. Etwas, was weder Marlon noch Annemarie hinnehmen wollten. Die beiden Geschwister sahen fast wie Menschen aus. Nur ihre blutroten Augen verrieten, was sie waren. Ihre Haut war noch rosig, wie es bei Vampirkindern üblich war.

Annemarie kreischte und versuchte vehement ihren zwei Jahre älteren Bruder zu fangen, doch Marlon hatte längere Beine und war viel schneller als sie. Er spielte gern mit ihr, wenn er im Vorteil war. Marlon liebte es zu gewinnen. Anneliese hingegen war eine sehr schlechte Verliererin. Als sie einsehen musste, dass sie ihren Bruder nicht fangen würde, stieß sie wütend eine teure Vase um und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.

Marlon ignorierte sie. Er hatte gewonnen. Das Spiel war vorbei.

Er wollte seine Eltern um ein Haustier bitten. Einen Drachen, um genau zu sein. Er hatte gehört, dass ein Drachenei gefunden worden war. Sein eigener Drache. Der Gedanke gefiel ihm. Drachen legten ihre Eier normalerweise nicht im Sumpfland ab. Sie lebten zu weit weg. Wie war es also bis in die Sümpfe gekommen? Er ließ seine wütende Schwester zurück und eilte zu dem großen Raum, in welchen sich die Königin und der König jetzt vermutlich befanden.

Vor einer großen, rot gestrichenen Tür hielt er an. Es war Mittag, dass hieß seine Eltern genossen den besonderen Wein. Der Blutdurst der Vampire zeigte sich erst ab dem vierzehnten Lebensjahr, daher trank Marlon noch kein Blut. Der kleine Junge konnte es kaum erwarten, ein richtiger Vampir zu sein. Er öffnete die rote Tür und sah in den Raum hinein.

Menschen in weißer Kleidung saßen dort auf schwarzen Sofas und warteten darauf, dass ein Vampir von ihnen trank. Sie wurden dafür großzügig bezahlt. Zwar war es für Vampire durchaus üblich, Blut aus Gläsern zu trinken, doch das Königspaar bevorzugte es, ihren Lebenswein direkt zu konsumieren. Etwas, was sie gelegentlich auch ihren Gästen anboten. Zwischen den Sofas standen kleine Tische mit Getränken und Obst. Marlon ging in den Raum hinein, bis er seine Eltern sah. Sie hatten die Zähne in das Fleisch einer Frau mit kurzen, schwarzen Haaren gebohrt. Die Frau stöhnte leise und kniff die Augen zusammen, während seine Eltern genussvoll ihr Blut tranken. Sie würden sie nicht blutleer trinken. Marlon starrte sie fasziniert an. Die meisten Vampire tranken den besonderen Wein aus Gläsern, doch die Königsfamilie bevorzugte den Wein direkt zu trinken. Aus Gläsern tranken sie selten.

„Mutter? Vater?", unterbrach Marlon seine Eltern.

Die beiden ließen von der Frau ab und sahen missbilligend zu ihrem Sohn.

„Marlon? Was machst du hier?" Der König runzelte die Stirn. „Warum unterbrichst du uns?"

„Ist etwas passiert?" Die Königin lächelte milde und wischte sich Blut vom Mund. „Wir waren sowieso fast fertig." Dann sah sie zu der Frau. „Danke. Das wäre alles."

Die Frau stand schwankend auf und setzte sich zu den anderen Menschen, die sich sofort um sie kümmerten.

„Kann ich das Drachenei haben?" Marlon strahlte seine Eltern erwartungsvoll an. „Das, das gestern gefunden wurde?"

„Woher weißt du davon?" Der König nahm ihn an die Hand und gemeinsam mit der Königin verließen sie den nach Blut riechenden Raum.

„Ich habe die Wachen darüber sprechen hören. Kann ich?"

Seine Mutter lachte. „Und was möchtest du mit einem Drachenei?"

„Na wenn es schlüpft, dann habe ich meinen eigenen Drachen! Dann hört er auf mich und ich wäre unbesiegbar!"

„Unbesiegbar?" Sein Vater hob ihn hoch und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Das wäre was, nicht wahr? Ein unbesiegbarer sechs Jahre alter Prinz!"

„Aber es geht leider nicht", entgegnete seine Mutter und strich ihm über den Kopf. „Das Ein muss ausgebrütet werden. Dazu braucht es die Drachenmutter und den Drachenvater. Drachen sind sehr gefährlich, daher darf sich niemand dem Ei nähern. Wenn der junge Drache geschlüpft ist, kehren er und seine Eltern hoffentlich in die Wüste zurück. Zum Glück haben sie die Wachen nicht entdeckt, als sie das Ei fanden."

„Aber warum war das Ei denn allein, wenn es ausgebrütet werden muss?" Marlon verzog das Gesicht. „Vögel sitzen doch die ganze Zeit auf ihren Eiern!"

„Drachen sind keine Vögel. Sie müssen nicht ununterbrochen auf dem Ei sitzen damit der Drache schlüpft. Ihre Eier kühlen nicht schnell aus."

„Also kann ich keinen Drachen haben?"

„Nein." Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Wo ist deine Schwester?"

„Wir haben fangen gespielt. Ich habe gewonnen, daher hat Annemarie eine Vase zerbrochen."

„Schon wieder?" Sein Vater schüttelte den Kopf. „Vielleicht solltest du sie gewinnen lassen?"

„Nein!", protestierte Marlon sofort. „Ich lasse sie doch nicht gewinnen! Sie ist ein Mädchen!"

„Und deswegen kann sie nicht gewinnen?" Die Königin sah ihn tadelnd an. „Auch Mädchen können stark sein."

„Aber ich bin älter!" Marlon lehnte sich schmollend an seinen Vater. Er wollte einen Drachen!

„Eure Hoheiten?" Ein Diener kam mit der wütenden Annemarie an der Hand auf sie zu. Sie schrie und trat nach dem Diener.

„Was ist los?" Die Königin zog ihre kreischende Tochter von dem Diener weg.

„Sie hat mehrere Vasen zerbrochen. Als wir sie davon abhalten wollten hat sie mit Scherben geworfen. Niemand ist verletzt und auch die Prinzessin ist unversehrt. Aber drei Vasen sind zerbrochen."

Die Königin stöhnte und hob ihre Tochter hoch, die wild mit den Beinen strampelte.

„Von einer Prinzessin erwarte ich besseres Verhalten! Ich bin sehr enttäuscht junge Dame."

„Marlon ist blöd! Alle sind blöd!", schrieb das kleine Mädchen frustriert.

„Du bist blöd!", rief Marlon sofort und streckte ihr die Zunge raus.

„Marlon!", warnte der König, während der Diener schnell davoneilte, um seine Arbeit wieder aufzunehmen.

„Ich denke es wird Zeit für den Benimmunterricht. Für beide! Sie sind alt genug." Die Königin sah verärgert zu ihrem Mann. „Wir haben lange genug damit gewartet. Ich möchte nicht, dass es heißt, die Prinzessin sei eine Wilde und der Prinz sei ebenso ungezogen! Und wir brauchen neue Kindermädchen. Ich werde ihre jetzigen entlassen lassen, da sie offensichtlich ihren Aufgaben nicht gerecht werden."

„Ich bin nicht ungezogen!", protestierte Marlon. „Und ich brauche keinen Bedimm... Unterricht!"

„Ich auch nicht!" Annemarie nickte schmollend. „Keinen Unterwicht!"

„Benimmunterricht", korrigierte der König.

(c: sasi)

Hexe - Der AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt