# 6 Mauer

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Namjoon

Das alles artete allmählich wirklich in Stress aus. Namjoon fragte sich, ob er eventuell etwas Falsches gegessen hatte und er sich das alles vielleicht nur einbildete, doch der Schmerz, den  er verspürte, als Taehyung ihn zu Boden warf, fühlte sich doch sehr real an. 

Es kratzte an Namjoons Stolz, dass er so leicht zu überwältigen war und die beiden Männer hier einfach ihr Ding durchziehen konnten, ohne dass er was dagegen tun konnte. Sie behaupteten zwar sie wären im Guten hier, doch Namjoon glaubte denen, die sagten, sie würden nichts Böses wollen, genau das am allerwenigsten. 

Er konnte nicht verhindern, dass der Kleinere der beiden irgendwas auf seine geliebte Grünlilie träufelte und er konnte nur zu Gott, Buddha, Zeus oder wem auch immer beten, dass Jimin wirklich nicht log und ihr half. 

Kaum hatte die Flüssigkeit die grünen Blätter berührt fing die Zimmerpflanze an zu leuchten wie ein Baustrahler und Namjoon konnte nicht erkennen was genau passierte. 

Das ersparte den Autoren der Geschichte komfortablerweise auch, dass sie sich Gedanken darum machen mussten, wie es wohl aussehen mochte, wenn sich eine Grünlilie in eine Frau verwandelte. Wir können auch nicht alles, ja?~

 Alles was er vernahm war ein Husten, das ihn sofort in Alarmbereitschaft versetzte. Wer auch immer da hustete, Namjoon wollte nicht, dass sie husten musste, aus welchem Grund auch immer. Oder Krank wurde. Oder Hunger hatte. Oder müde war. Ihr sollte es an nichts fehlen und er wollte ... okay vielleicht sollte er sich eingestehen, dass sich kleine, geliebte Grünlilie sich in eine junge Frau verwandelt hatte, genauso wie er sich eingestanden hatte, dass er in eine Zimmerpflanze verliebt war. 

Sie sagte seinen Namen und der Klang ihrer Stimme ging ihm durch Mark und Bein. Ihre Stimme war klar und frisch, wie Frühlingsluft, und in Verbindung mit seinem Namen war es irgendwie so ziemlich das Schönste was er je gehört hatte. Es wärmte sein Herz von Innen auf. 

Schon im nächsten Moment war er bei ihr, auch wenn er dafür an Karottenkopf-Jimin vorbei musste. Die anderen im Raum waren für ihn im Moment ohnehin eher zweitrangig. Er hockte sich zu Lilly. Auch wenn es sich im ersten Moment seltsam an fühlte, zog er die junge Frau zu sich. 

Das war der Moment, in dem plötzlich alles so leicht wurde. 

Sie kuschelte sich an ihn und fegte damit sämtlich Bedenken über so ziemlich alles aus Namjoons Kopf. Sie fühlte sich so perfekt an, als wäre sie nur dafür gemacht worden in seinen Armen zu liegen. Es war, als würde er sich in dem Moment, wo er sie berührte, nochmal neu in sie verlieben. Noch stärker als zuvor. 

Er hatte sie ja schon geliebt, als sie eine schlichte Zimmerpflanze gewesen war. Er hätte sicher nicht gedacht, dass das noch schlimmer werden könnte.

Doch jetzt, wo er sie an sie drückte, die Wärme ihres Körpers spürte und ihre weichen Haare seine Nase kitzelten, erschien es ihm als völlig logisch. Er mochte bisher vielleicht großzügig darüber hinweg gesehen haben, aber wenn man ehrlich zu sich selbst war, dann konnte man eine Grünlilie nicht zu 100% lieben. Es würde immer etwas fehlen. Doch jetzt war die Sachlage anderes. 

Es war, als wäre eine Mauer zwischen ihnen gewesen, auf die Namjoon zunächst nur rauf geklettert war, um Lilly näher zu sein zu können, und nun wäre es ihm endlich geglückt von der Mauer runter auf ihre Seite zu kommen. Fraglich war nur, wie es jenseits der Mauer weiter ging, denn Namjoons Gefühl sagte ihm deutlich, dass er derjenige sein würde, der alles hinter der Mauer zurücklassen musste. 

"Alles okay?", hörte er Lilly leise fragen. Es war nicht mehr als ein Wispern ihrer sanften Stimme. Namjoon nickt und lächelte. "Mehr als das.  Ich fühle mich, als hätte ich dich lange vermisst und du wärst endlich wieder bei mir." Lilly kicherte leise. "Ich verstehe genau was du meinst", sagte sie und löste sich ein wenig von ihm ,um die ansehen zu können. Namjoon lachte leise und musterte sie ein paar Augenblicke. 

Sie sah so niedlich aus, um Himmelswillen. Sie hatte eine kleine Stupsnase, große dunkle Augen, die von Innen zu strahlen schienen, während ihr das grünliche Haar wild in die Stirn fiel, und volle Lippen. Auf eine seltsame Art und Weise kam ihm Lillys Gesicht sehr vertraut vor. Also hätte er sie schon mal gesehen. 

Leider konnte er sich nicht weiter auf den Gedanken konzentrieren, denn Lillys Bruder machte doch immer lauter darauf aufmerksam, dass Lilly sich was anziehen könnte und Namjoon musste sich eingestehen: So nervig Taehyung auch war, hatte er durchaus recht. Also stand er mit Lilly auf und ihm sickerte ins Hirn, dass der Bedarf an Kleidung aus Nacktheit resultierte. 

Zur Hölle sie war ja nackt. Also musste kurzerhand die Gardine dran glauben. Namjoon schalt sich innerlich selbst einen Narren im Angesicht seiner eigenen Verlegenheit. Was führte er sich so auf? Das war seine Freundin, und er wandte höflicherweise den Blick ab? War er eigentlich dämlich? Wenn man es mal genau nahm, dann war sie noch immer seine kleine Grünlilie und in ihrem Topf hatte sie auch keine Klamotten angehabt. Im Grunde kannte er sie nur nackt. 

Er folgte ihr schließlich in sein Zimmer. Sie hatte sich bereit an seinen Kleiderschrank bedient und einen seiner Pullis angezogen. Wahrscheinlich würde er diesen nie wiedersehen - wenn ihn nicht grade Lilly trug. Er war ihr viel zu groß, was nicht zuletzt zur Folge hatte, dass sie sehr niedlich darin aussah. Sie war so winzig. 

"Chora also?", fragte er und lehnte sich an den Türrahmen. Sie warf ihm einen Blick zu und nickte. "Ja. Aber ich mag Lilly." Sie lächelte. "Ich wünschte meine Eltern wären darauf gekommen, bevor sie 'Chora' auswürfelten", fügte sie scherzhaft hinzu. Sie zupfte an dem Pulli und betrachtete sich in dem lebensgroßen Spiegel am Kleiderschrank. "Ich hab gar nichts zum drunter ziehen", stellte sie belustigt fest, "es sei den du hast noch einen heimlichen Vorrat an Ex-Unterwäsche von dem ich nichts weiß." Namjoon lachte leise. "Selbst wenn... da würdest du auch nicht reinpassen", meinte er und seine Gedanken wanderten kurz zu Jin. Es war schon seltsam, wie das Leben so spielte. 

Doch dann betrachtete er wieder Lilly und seine Gedanken wanderten in ganz andere Richtungen, als er seinen Blick über ihre schlanken Beine gleiten ließ. Sie hat nichts drunter. So nichts nichts. Ja, Entschuldigung er war auch nur ein Mann. Er wandte den Blick besser ab und versuchte an Grünlilien zu denken. Also richtige Grünlilien. Im Topf. Das war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt. Zumal auch Taehyung den Weg zu ihnen fand. Er hatte eine Tüte in der Hand und gesellte sich zu Namjoon in den Türrahmen. 

"Was trägst du da, Chora?", wollte er wissen und sie lächelte stolz. "Das ist von Namjoon." Ne, ach? Taehyung zog nur eine Augenbraue hoch und setzte ein gespieltes AHA!-Face auf bevor er Lilly die Tüte zuwarf. "Wie wäre es mit eigenen Klamotten?" Lillys Miene hellte sich auf, als sie die Tüte fing. "Ihr denkt aber auch wirklich an alles." Taehyung quittierte das Lob mit einem Matrosengruß und verschwand wieder. "Wo haben sie die denn jetzt her?", fragte Namjoon mehr sich selbst und sah dem schlanken, jungen Mann nach, der wieder in die Küche ging, wo er leise mit Jimin redete. 

"Ich denke sie sind mit dem Auto da und da haben sie auch die Tüte her." Namjoon wandte sich wieder seiner Freundin zu. Sie hatte nun eine Hose an, doch das Oberteil hatte sie unbeachtet gelassen und trug weiter mit Stolz den geklauten Pulli von Namjoon, was Namjoon schmunzeln ließ. Doch dann wurde er ernster. "Was passiert jetzt, Lilly?" 

Lilly strich sich die Haare zurück und sah ihn bedeutungsvoll an. "Ich hatte befürchtet, dass du das fragst." Namjoons Herzschlag beschleunigte sich auf gefühlte 280 Schläge in der Minute. Wieso sagte sie das so bedrückt? Sie kam zu ihm rüber und schlag ihre Arme um seine Mitte, bevor sie ihr Gesicht an seiner Brust versteckte. "Ich kann nicht hier bleiben", hörte er gedämpft und spürte einen Stich im Herzen, so stark, dass er zusammenzuckte. Was sollte das heißen, sie konnte nicht hier bleiben? "Wieso?", fragte er leise und versuchte den Klos in seinem Hals runter zu schlucken. 

"Wenn ich hier bleibe, dann werde ich sterben."


Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt