#33 Wer bist du?

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Jungkook

Das Licht der aufgehenden Sonne brach sich in der trüben Fensterscheibe und blendete Jungkook. Vielleicht hätte er noch ein paar Stunden weitergeschlafen, aber so sorgte die Helligkeit dafür, dass er die Augen vorsichtig öffnete und sie sofort wieder zukniff. 

Murrend drehte er sich auf die andere Seite und stieß den Körper, der neben ihm lag kräftig gegen die breiten Schultern. "Jin!" Jungkook räusperte sich, um die Kratzigkeit seiner Morgenstimme etwas in den Griff zu bekommen. "Musst du nicht auf Arbeit?", fragte er und fischte nach seinem Handy, um zu sehen, wie spät es war. Es war bereits hell, also hatten sie wohl ziemlich verschlafen, doch das war auch kein Wunder nach der Nacht.

Erst war er auf dem Sofa eingeschlafen, dann dieser Einbrecher, der wahrscheinlich Spiderman gewesen war. Anders konnte sich Jungkook eine Flucht von einem Balkon im fünften Stock nicht erklären... Es sei denn er wurde langsam aber sicher wirklich irre.  Jin drehte sich zu ihm um und sah ihn gespielt bekümmert an. "Arbeit", sagte er und zog einen Schmollmund. "Ich hab überlegt, ob ich hinschmeiße. Dieses Mal wirklich. Die können mich heute mal, ich hatte schon  15 Tage keinen freien Tag." 

Der Schwarzhaarige war skeptisch. "Du kannst aber auch nicht einfach wegbleiben." "Tu ich nicht, ich hab das bereits gestern angekündigt. Als hätte Hyung gewusst, dass du ihn mitten in der Nacht anrufst, huh?" Er setzte sich auf und fuhr sich durch das zerzauste Haar. Dann sah er auf sein eigenes Handy. "Kurz nach Elf, geht doch noch." Fröhlich kletterte der Ältere über Jungkook hinweg und krabbelte aus dem Bett, ehe er durch die Tür nach draußen verschwand. 

Schon kurze Zeit später konnte der junge Mann, der zurück geblieben war, den Geruch von gebratenem Ei und Kaffee vernehmen. Ein wohliges Seufzen entfuhr ihm. Wenn man Jin da hatte, war es fast, als hätte man eine Mami zu Hause. "Jungkook, beweg deinen Hintern aus dem Bett, das Frühstück ist fast fertig!" Ach, was erzählte er? Es war exakt, als hätte man eine Mami zu Hause. Also eine normale, eine, die sich um einen kümmerte und wenigstens mit einem Sprach. 

Umständlich setzte sich der Schwarzhaarige auf und warf einen Blick durch den Türspalt. Dieser Mann war mehr Mutter für ihn gewesen, als seine eigentliche Mutter es jemals würde sein können. Traurig aber war. Jungkook schlurfte rüber in die Küche und setzte sich an den klein geratenen Tisch, wo Jin bereits saß. Er war fast schon gewillt sich zu entspannen, doch dann fiel sein Blick auf die Pinnwand, an der das Foto fehlte. 

"Warum hat er das Foto gestohlen...?", fragte er, doch es war mehr oder weniger an sich selbst gerichtet. Jin wandte sich zur Pinnwand um. Vielleicht ist es auch nur runter gefallen und hinter den Schrank gerutscht?", gab der braunhaarige sich Mühe, eine andere Erklärung zu finden als 'Ein Typ ist eingebrochen und hat nichts geklaut, außer ein Bild'. Der Ältere war drauf und dran aufzustehen und nachzusehen, doch Jungkook hielt ihn sachte an der Hand fest. 

"Spar es dir, Hyung...", sagte er leise und deutete dann mit dem Blick wieder zur Pinnwand, "der Pin steckt noch in der Pinnwand." Jin stützte die Lippen. Das Bild war mit dem einzigen knallpinken Pin befestigt gewesen, den Jungkook hatte. Jin wusste das, war er doch derjenige gewesen, der das Bild mit diesem Unikum da festgemacht hatte, um sich einen Spaß zu erlauben. Der hochgewachsene Mann schluckte. 

"Denkst du es war einer von deinen..." 

"Hyung, du sollst keine Fragen stellen, das hab ich dir schon oft gesagt", unterbrach Jungkook Jin und sah ihn ernst an. Dieser erwiderte seinen Blick ungerührt. "Ich mache mir nur Sorgen, Kleiner." "Ich mir auch, deswegen stell keine Fragen." Er war fast harsch, doch das musste er auch sein, denn er wollte nicht, dass irgendwer mit hineingezogen wurde. Er und Namjoon, sie mussten nicht mehr wissen als so schon. Es war nicht so, als hätte Jin gar keine Ahnung, schließlich war Jungkooks Bruder schon da reingeraten. Dennoch... je neugieriger er sich gab, desto skeptischer würden sie werden. 

Wenn Fragen erst gar nicht gestellt wurden, konnte niemand behaupten, dass Jungkook sie beantwortet hätte. Ihm war bewusst, dass sie ihn im Auge hatten. Das klang schon wieder paranoid, doch das war es nicht. Es war schlicht die Wahrheit. 

Das machte die ganze Sache in der Nacht zuvor jedoch nur noch angsteinflößender, denn wenn er eines genau wusste, dann das das keiner seiner Gang gewesen war, der ihm einen Besuch abgestattet hatte. So gingen sie nicht vor, dazu waren sie zu grob. Subtil war nicht ihr Ding, wenn sie der Meinung waren, einen dran erinnern zu wollen, wer hier wen in der Hand hatte, dann gaben sie eine auf die Fresse und gut war es. 

Wäre ja nicht das erste Mal. Jungkook stocherte in seinem Ei herum. Er hatte keinen Hunger mehr, doch Jin zu Liebe und auch weil er schon seit zwei Tagen nichts Vernünftiges mehr gehabt hatte, aß der schlanke, junge Mann seine Portion auf. 

Als er fertig war mit essen, räumte er mit Jin gemeinsam die Küche auf und ging dann rüber in sein Wohnzimmer. Der kleine Raum machte eigentlich nicht viel her. Er hatte nur ein Sofa, ein Bett und einen Winzferseher und das auch erst, seit er einfach das Fernsehen beim Nachbarn klaute. Über Wlan. Das war komplizierter. Der Fernseher stand auf einer Kommode und dann hatte er noch ein Bild von Marilyn Monroe an der Wand... um das Loch zu verstecken, was er eines Tages mal in die blöde Leichtbauwand gehauen hatte. Ernsthaft, der ganze Bau war doch Schrott. 

Unter Marilyns immer gleichen Blick ging er hinaus auf den Balkon. Eisige Kälte umfing den Schwarzhaarigen und bibbernd legte er die Arme um seinen Körper. Vorsichtig tapselte er einen Schritt vorwärts, gerade so weit genug, dass er einen Blick über die Brüstung werfen konnte, ohne dass er direkt dran stand.

Schon im nächsten Augenblick wich er zurück. Scheiß Höhenangst. Wie sollte er so eine vernünftige Erklärung für das Verschwinden des Eindringlings finden? Er konnte sich ja noch nicht mal eine Idee bilden, denn an das Geländer stellen und mal eben runter gucken war nicht. Blieb die Frage, warum er überhaupt einen Balkon hatte. 

Die Antwort war simpel: Er war einfach da gewesen. 

Frustriert ging Jungkook zurück nach drinnen. Dieser Typ... oder Frau, man will ja niemanden diskriminieren, auch Einbrecher nicht... er ließ ihn einfach nicht los. Was war der Sinn gewesen? Warum hatte er das Bild mitgenommen? Wie zur Hölle hatte er sich verstecken können, wie ein Geist? Wie war er verschwunden? Wer war er gewesen?

Was hatte es auf sich mit dem Flieder?

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt