#82 Erzähl's doch der Grünlilie

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Lilly

Die Fahrt nach Korea verlief relativ ruhig, was nicht zuletzt daran lag, dass Lilly Jungkook ausgeknockt hatte. Sie wusste von seiner Angst und sie war nicht so zimperlich wie Taehyung, aber doch irgendwie humaner. Dennoch hatten sie Stunden gebraucht, denn mit drei Leuten in einer Kapsel flog nicht mal Lilly, wie sie es sonst tat. Doch zurück zu Jungkook.

Der Junge brauchte ohnehin Schlaf.

Lilly hätte ihren Hintern drauf verwettet, dass Jungkook schon seit mehr als 24 Stunden wach gewesen war, denn sie kannte ihn, auch wenn man das nicht glauben würde. Nach Namjoon war er der Erste gewesen, der auch einfach mit ihr geredet hatte, denn scheinbar hatte er wohl einfach den Bedarf, mal Dinge los zu werden, sie er seinen Hyungs nicht erzählen konnte, aus Angst, sie in Dinge mit hineinzuziehen, die er nicht unter Kontrollen hatte.

Sorgen im Alltag?  - Erzähl's doch der Grünlilie!
Probleme im Job? - Qualitytime mit einer Grünlilie!

Mehrere sinnlose und besorgniserregende Phobien? -  Ach komm setz dich ins Fensterbrett.

Wie dem auch sei, sie kannte seine nervösen Ticks und diese kamen erst richtig zur Geltung, wenn er übermüdet war. Ein Nickerchen tat ihm also gut. Lilly saß mit auf der Rückbank und strich dem Jüngeren, den sie dort abgelegt hatten durch, die Haare. Solange er schlief ließ er sich das auch gefallen. Als er jedoch wach zu werden schien, stoppte sie ihr Tun und zog ihre Hand zurück. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ihm das sonst nur peinlich werden würde.

Mit einem leisen Murren kam er zu sich und setzte sich auf. Der Blick seiner dunkelbraunen Augen wanderte im Auto umher und er seufzte leise. "Wo sind wir?", fragte er und seine Stimme klang rau. Unschlüssig schaute er nun zu der Grünlilie zu seiner Rechten. "Wir sind fast da", antwortete sie sanft und schenkte ihm ein Lächeln.

Jungkook riss die Augen auf und versuchte sich aufzusetzen, wodurch die Decke, die Lilly über ihm ausgebreitet hatte, von seinen Schultern rutschte. "Wie bitte?! Was ist passiert?! Wo zur Hölle war ich?" Lilly konnte sehen, wie er leicht fröstelte. "Ich habe dich schlafen gelegt", gestand sie leise. "Ich nehm keine Kekse mehr von dir!", antwortete der junge Schwarzhaarige aufgebracht. Lilly lachte leise. "Du, mein Lieber, hast Angst vor Wasser und Platzangst. Du solltest mir dankbar sein. Schließlich wollen wir alle auf dem schnellstmöglichen Weg zu Jin, oder?", wandte sie ein und beobachtete, wie er ungläubig den Kopf schüttelte.

"Ich kann dir nicht mal wirklich böse sein...", murmelte er leise und kletterte dann über die Mittelkonsole nach vorn. "Wie konntest du das denn zulassen?", fragte er Namjoon, der fuhr. Jungkook versuchte beleidigt zu klingen, klang aber eher ergeben. Namjoon grinste nur und zeigte dabei seine Grübchen. "Sie hat mich nicht gefragt. Ich bestrafe sie, wenn wir wieder zu Hause sind", meinte er nur und gab noch ein bisschen mehr Gas. "Ich will es gar nicht wissen", nuschelte er vor sich hin, schien sich aber ein halb belustigtes Schnauben nicht verkneifen zu können.

"Ihr habt mein Handy liegen lassen", stellte er dann jedoch unzufrieden fest, "wie sollen wir Jin so erreichen? Ich war viel zu lange weg! Wie lange habe ich geschlafen?" Namjoon warf einen  kurzen Blick auf die Uhr, die im Auto verbaut war. "Etwa zehn Stunden", antwortete er leise und Jungkook ließ ein Zischen vernehmen. "Also ist Jin etwa drei Tage allein gewesen?", hakte er nach.

Namjoon bestätigte ihm das mit einem Nicken. Dann Bog er in eine Seitenstraße ein und fuhr wieder Stadtauswärts. Natürlich wusste auch er, wo das Versteck lag, zu dem sie gehen sollten, sobald Jungkook es ihnen sagte. Der junge Mann steckte nun mal in Schwierigkeiten, doch er hatte vorgesorgt.

Lilly rutschte von dem Platz rechts außen in die Mitte, um die beiden Männer besser im Auge behalten zu können. Sie schwiegen und schienen aber dem selben Gedanken nachzuhängen. "Denkst du er ist schon weg?", fragte Namjoon tonlos. Das war nicht gut. So war er, wenn er versuchte sich zusammenzureißen, aber eigentlich gern durchdrehen würde. Die Verzweiflung und die Angst schwappten förmlich zu Lilly herüber, weswegen sie nach vor griff, um seine Schulter zu streicheln. Das entspannte ihn zumindest ein wenig.

"Ich hoffe nicht..." Jungkooks Worte waren kaum hörbar.

"Natürlich nicht!", fuhr Lilly optimistisch dazwischen, "Und wenn doch, dann hat er auf jeden Fall einen Hinweis hinterlassen, wo man ihn finden kann. Jetzt seit doch nicht jetzt schon depri, wenn er noch nicht mal verloren gegangen ist. In nicht mal einer Stunde könnt ihr ihn wieder in die Arme schließen, küssen und knuddeln wie ihr wollt, also hört auf zu Flennen. Heulsusen."

Sie grinste fröhlich und legte ihre andere Hand bei Jungkook auf die Schulter, einfach nur um zu sehen, wie er reagierte, denn sie wusste, dass er es eigentlich nicht mochte angefasst zu werden, doch er verspannte sich nicht. Er schien es nicht im geringsten, als störend zu empfinden. Er wandte sich einfach nur um und musterte sie kurz. "Vielleicht hast du Recht", meinte er leise und lehnte sich ein wenig im Sitz zurück, ohne ihre Hand abzustreifen.

Die junge Frau fragte sich willkürlich, ob ihm selbst eigentlich klar war, wie viel er ihr erzählt hatte, oder ob dieses Vertrauen aus seinem Unterbewusstsein kam. Er blieb ruhig sitzen, dann drehte er sich noch mal um, ehe er einen Blick zu Namjoon warf, der gerade auf einem kleinen, von Pflanzen überwucherten Parkplatz fuhr. "Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie echt ist", offenbarte er halblaut und sah dann wieder zu Lilly. Namjoon parkte, dann wandte er sich auf seinem Sitz um, um nach hinten zu greifen und Lilly sanft über die Wange zu streichen, was diese ein wenig erröten lies. "Ich auch nicht", antwortete er und grinste dann glücklich.

Lilly schnaubte verlegen. "Jungs", meinte sie gespielt abfällig und stieg aus. Sie waren also da. Nordöstlich. Etwa zwei Meilen. Durch den Wald. Das war machbar. Lilly streckte sich. "Überlasst das mir Jungs, ich bin Voyager." "Ja und?", fragte Jungkook und runzelte die Stirn. "Das bedeutet, ich habe Nachtsicht und außerdem habe ich die Stahllunge einer Grünlilie. Ihr wartet einfach hier, bis ich mit Jin wieder komme, vertraut mir."

Sie zwinkerte, dann drückte sie Jungkook schnell ein kleines Küsschen auf die Wange, ehe sie ihre Arme um Namjoons Nacken schlang, sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn kurz aber liebevoll küsste. "Bis später Juuungs~", damit rannte sie los, direkt in den Wald.

'Lauf weg mit mir', das war die Bedeutung der Grünlilie in der Blumensprache. Ziemlich ironisch, wenn man bedachte, wie weit sie gelaufen war, um ihren Mate zu finden. Sie aktivierte den Spell, der ihr die Nachtsicht ermöglichte. Sie hatte vorgesorgt und genug Energiephilolen dabei, ihr würde nicht das gleich passieren, wie das letzte mal. 

Doch zurück zu ihrer Pflanze. Wie schnell sie wirklich rennen konnte und wie ausdauernd, dass hatte sie erst spät festgestellt, denn sie hatte es für normal gehalten, fast nie aus der Puste zu kommen. Obendrauf war unebenes Gelände, ein Wald zum Bespiel, kein Problem für sie und sie hatte eine super Orientierung, fast als hätte sie einen inneren Kompass, der sie leiten konnte.

Wenn sie also nach Nordosten gehen wollte, dann ging sie auch nach Nordosten.

Sie rannte also locker los und schon nach kurzer Zeit hatte sie den kleinen Waggon, in dem sich Jin verstecken sollte, gefunden. Es war ein alter, fast durchgerosteter Waggon eines Güterzuges, relativ groß mit einer Schiebetür an einer seine. Efeu überwucherte bereits das meiste, doch auch das immergrüne Rankengewächs konnte ein wichtiges Detail nicht versteckt halten.

Es brannte Licht.





Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt