#92 Schlaf

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Jungkook

Diese Matebindung war scheiße.

Das war alles totale scheiße. All diese Gefühle in seinem Inneren machten den jungen Schwarzhaarigen komplett Banane in der Birne. Was für ein Wortwitz. Jin Hyung wäre stolz.

Jungkook nesselte unbehaglich an den Strippen seines Kaputzenpullis herum und versuchte sich zu beruhigen, was aber eher so semi funktionierte. Er nahm die Brille ab und putzte die Gläser mit dem Ärmel seines Sweatshirts. Gestresst fuhr er sich durch die Haare.

Er hasste warten. Er hasste es, dass er sich um jemanden Gedanken machte, den er nicht kannte. Nach ihm die Sinnflut. Das war doch sonst sein Motto... oder zumindest nach ihm und seinen beiden Hyungs. Noch mehr Leute in diesen Kreis aufzunehmen war kompliziert. Es schürte einfach einen Großteil seiner Phobien.

Jungkook gab ein abfälliges Geräusch von sich. Es galt ihm selbst. Was war er doch für ein missratenes Expemplar an Mensch. Er zog damit Lillys Aufmerksamkeit auf sich, die ihm gegenüber mit auf dem Bett lag, auf dem auch Tae ruhte.

Der Schwarzhaarige warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. Sie sollte nicht glauben, dass seine geringschätzigen Gedanken ihr galten. Dann setzte er sich ins Fensterbrett. Er zog ein Bein an und stützte die Arme darauf ab. Seit einer Viertelstunde waren sie nun hier und Lilly hatte noch kein Wort gesagt. Sie war einfach sofort mit auf Taes Bett gekrabbelt, hatte sich an ihn gekuschelt und jetzt lag sie da bei ihm.

Wenn sie Glück hatten würde Tae, wenn man Bob glaubte, von seiner Bewusstlosigkeit in einen normalen Schlaf übergehen und morgen hoffentlich aufwachen. 

Wenn das jedoch nicht passierte, dann wurde es wohl oder übel ernst und Tae musste an die Maschinen. Wie es dann weiter gehen würde, wusste keiner.

Jungkook lehnte den Rücken an. Er musterte die Beiden. Taehyung sah aus, als würde er nur schlafen. Er atmete allein. Das war doch gut oder? Oder nicht? Was wusste er schon über diese Welt? Was wüsste er über Koma bei Blumen?

Der junge Mann schwieg beharrlich und er sagte auch nichts, als er  Lillys Blick auf sich spürte. "Jungkook", sprach sie ihn an. "Du kannst ruhig rüber kommen..." Er schüttelte einfach den Kopf und lehnte sich wieder in den Fensterrahmen. "Weißt du, du musst keine Angst haben", begann sie und begegnete seinem Blick ruhig. 

Er setzte seine Brille wieder auf und warf ihr einen fragenden Blick zu. "Ich weiß, dass du Angst hast", müde strich sie sich über die Augen, "diese Bindung muss dir ziemlich auf den Wecker gehen. Ich kann das verstehen. Es ist nicht einfach, wenn man so tickt, wie du."

Wow. Wie viel hatte er ihr erzählt? Er hatte gedacht, dass niemand ihm zuhörte. Doch sie war aufmerksam gewesen. Soll noch mal jemand sagen Grünlilien seien harmlos. 

Sein immer noch andauerndes Schweigen ließ sie nicht etwa verstummen, es ermutigte sie nur weiter zu reden. Sie wusste, dass er ihr genau zuhörte. "Versuche dir klar zu machen, dass die Matebindung immer Sinn macht. Mindestens einer von beiden braucht den anderen. Es braucht Taes Ruhe, um den Sturm in deinem Inneren in schönes Wetter zu verwandeln."

Er hätte jedem anderen widersprochen. Jedem anderen außer  Lilly. Sie wusste, dass sie recht hatte und er wusste, dass sie wusste, dass er wusste, dass sie Recht hatte.

Also nickte er schwach.

"Aber das macht keinen Sinn, Lilly. Ich will das nicht", entfuhr es ihm gestresst. Sie lächelte nur gutmütig und legte ihren Kopf wieder an Taes Schulter ab. Warum sagte sie nichts dazu? Jungkook ließ ein Schnauben hören. Er wusste schon, was sie ihm mit ihrem Schweigen mitteilen wollte.

Die Zeit verging.

Irgendwann schlief sie ein. Sie musste erschöpft sein. Der Trip nach Korea hinterließ auch bei einem Energiebündel wie ihr seine Spuren. Wann hatte sie das letzte mal verschnaufen können? Das müsste insgesamt Tage her sein.

Die Geschwister sahen schon süß aus, wie sie da lagen. Leider bewegte sich Taehyung aber nicht. Das bedeutete dass er, im Gegensatz zu Lilly, immer noch nicht schlief. Das war kein normaler Schlaf. Es war immer noch das Koma. Oder zumindest sowas in der Art und Jungkook fragte sich, was wohl der Grund dafür war.

Nachdem noch mehr Zeit verstrichen war, bewegte sich die Klinke der Tür nach unten und Namjoon streckte seinen Kopf zur Tür rein. "Hyung?", fragte Jungkook leise und blickte auf.

"Ich hole Lilly", flüsterte dieser leise zurück. Er ging zu dem Bett und trich seiner Freundin übers Haar, um sie zu wecken. Sie schlief jedoch stur weiter.

"Du solltest auch versuchen zu schlafen, ich könnte...", begann er sanft, doch Jungkook unterbrach ihn.

"Ich bleibe bei ihm...", meinte der Jüngere entschlossen. Namjoon nickte das ab. Jungkook wusste selber nicht, was ihn dazu trieb. Hier zu sein war schrecklich für ihn, doch noch schlimmer war der Gedanke Taehyung zu verlassen. Das war doch bekloppt.

Namjoon schob seine Arme unter Lillys Kniekehlen und ihren Rücken und hob sie einfach an. Er griff noch einmal etwas nach, damit die Schlafende an seiner Brust ruhte. Sie waren schon süß.  Selbst Jungkook kam nicht drum herum die beiden süß zu finden.

"Ruh dich wenigstens irgendwie ein bisschen aus, Kleiner", forderte Namjoon sanft. Dann ging er zur Tür, öffnete diese fast schon etwas umständlich. "Gute Nacht", flüsterte er und balancierte seine Frau nach draußen.

Jungkook überlegte.
Er überlegte sogar relativ lang.

Doch dann stand er aus dem Fenster auf und nahm, nach kurzem, erneutem Zögern, Lillys Platz ein.

Er legte sich zu ihm und drehte sich in seine Richtung. "Komm zurück, Taehyung. Ich wollte nicht, dass du verletzt wirst... Das war nicht meine Absicht und es tut mir Leid." Sanft stricher ein paar der violetten Strähnen aus der Stirn des Flieders. "Ich bin kein guter Mate, bitte verzeih mir. Ich versuche mich zusammen zu reißen, aber ich kann nicht versprechen, dass ich nicht durchdrehen werde, denn das ist es, was ich für gewöhnlich tue..."
Er verstummte.

Was tat er hier eigentlich?
Jungkook wusste es nicht. Er wusste nur, dass er plötzlich unendlich müde war. So war es keine Überraschung, dass er in einigem Abstand zu Taehyung mit auf dessen Bett einschlief.

Die Überraschung folgte, als er vielleicht drei Stunden später wieder zu sich kam.

Es war warm.

Aus irgendeinen Grund war es warm.
Jungkook brauchte einen Moment, bis ihm klar würde, dass das an zwei Armen lag, die sich um geschlungen hatten. Taehyung schlief.

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt