#67 Die Pfanne kommt mit

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Jin

Wie viele Stunden war er jetzt schon wieder hier? Allmählich hatte er das alles echt satt. Jin war gerne Koch und als ihm eine Stelle in einem 5-Sterne Hotel angeboten worden war hatte er gedacht das große Los gezogen zu haben. 

Wie hatte er sich getäuscht. Das Motto der Anlage war offensichtlich: Außen hui, innen pfui. Und vor allem für die Belegschaft schien das zu gelten. Jin hatte noch nie so schlimme Arbeitszeiten, Gäste und Kollegen gehabt. Manchmal zog er zwei Wochen durch ohne einen freien Tag zu bekommen und das oft 12 Stunden am Tag. Irgendwo war das nichts ungewöhnliches gewesen, als Koch hatte man immer zu tun, doch er hatte immer seinen Ausgleich bekommen. 

Nicht so hier. 

Es brachte Jin an den Rande seiner Grenze und er hatte simpel keinen Bock mehr. Die Gäste ließen Essen zurückgehen, weil ihnen das mit Sirup auf dem Teller gezeichnete Muster zu weit am Rand war, die Kollegen warfen einen Steine in den Weg, wenn sie merkten, dass man besser war, als sie und erst grade hatte sein vorgesetzter Jins Sauce in den Abfluss gegossen, weil sie ihm nicht salzig genug war. Okay? Wie wäre es dann mit einer Priese Salz? Allmählich hatte Jin das Gefühl von Vollidioten umgeben zu sein. 

Er warf das Tuch was er in der Hand hatte beiseite und machte sich auf den Weg nach hinten. Wahrscheinlich würde er auch heute wieder nicht dazu kommen eine Pause zu machen, aber ihm langte es grade und wenn er nicht fünf Minuten diese verdammte Küche verließ würde er wahrscheinlich die teuren Designer-Messer auf Personen werfen. 

Er ging an seinen Spind und checkte als erstes seine Finanz-App, nur um frustriert festzustellen, dass immer noch die Hälfte seines letzten Lohnes fehlte. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Er seufzte und schloss die App und bemerkte, dass er eine Nachricht von Jungkook hatte. Unter all den Sachen, die dieser Job von ihm abverlangte, war das das Schlimmste: Er bekam Jungkook  kaum noch zu Gesicht, dabei brauchte der sensible, junge Mann ihn doch so sehr, gerade jetzt, wo Namjoon verschwunden war. 

Jin öffnet die Nachricht und überflog sie, doch anstatt das übliche 'Ich mache dies und jenes, ich hoffe wir sehen uns bald' bekam er einen anderen Text zu lesen. 

Es gibt Probleme. Verhalte dich, wie abgesprochen.

Jin musste den Satz dreimal lesen, bevor er sich eingestand, dass er tatsächlich da stand. Bekommen hatte er die Nachricht irgendwann gegen 14 Uhr, jetzt war es mittlerweile nach 18:30 Uhr. Verdammt. Er konnte froh sein, dass, wenn etwas mit Jungkooks Leuten nicht Stimmen sollte, sie ihn nicht schon längst 'abgeholt' hatten. 

Jin wusste eins: Er musste hier ganz dringend weg. Also packte er seine Sachen zusammen. Er war eh schon wieder viel zu lange hier und außerdem hatte er es eh satt. Wenn Jungkook und er vielleicht jetzt so massive Probleme hatte, dass sie Seoul verlassen mussten, dann war es ohnehin völlig egal, ob sie Jin nun kündigten oder nicht. Doch auf seinen halben Lohn wollte er nicht verzichten. 

Also ging er zurück in die Küche und nahm sich aus einen der unteren Schränke eine Pfanne raus. Immerhin wurde hier nur mit Hochwertigen Arbeitsuntensilen gekocht. Mit anderen Worten bedeutete das, dass die Pfanne mit dem Geld was Jin noch fehlte hinkommen sollte. Wenn er die jetzt einfach mitnahm, dann ging er wenigstens nicht ganz leer aus. 

"Was machst du da?" Jin seufzte, richtete sich auf und schulterte die Bratpfannen. "Ich gehe", grollte er und sah seinen Chef böse an. Dieser stand hinter ihm, die Arme verschränkt und einen missbilligenden Blick auf den Zügen. "Wie du gehst? Du bist noch nicht fertig für heute. Und wenn du gehen willst, warum nimmst du dann die verdammte Pfanne aus dem Schrank?" 

"Ich bin seit 8 Uhr da, das ist lang genug." Jin hob die Pfanne hoch und winkte kurz mit ihr. "Und mit fehlt noch Geld. Nach wie vor." "Wenn du gehst brauchst du auch nicht wiederkommen", zischte der untersetzte Kerl vor ihm und Jin schnaubte abfällig. Er würde wo anderes etwas finden, aber hier war das Maß voll. Er hatte ohnehin größere Probleme, als diesen Typen. "Perfekt, dann sind wir uns ja einig." Jin wandte sich zu gehen und der Mann wollte nach ihm greifen, doch Jin wirbelte herum und hielt ihm drohend die Pfanne unters Kinn.

"Ich warne dich. Fass mich nicht an. Ich schwöre ich verprügel dich mit meiner neuen Pfanne!" Der Mann schenkte ihm einen unentschlossenen Blick. "Hiermit sind wir dann quitt. Auf nimmer Wiedersehen, du Armleuchter", zischte Jin und ließ ihn stehen. 

Kaum auf der Straße, erfasste Jin eine ganz andere Art von Nervosität. Er hatte nur seine normalen Sachen, seine Arbeitsklamotten, die er wohl oder übel jetzt mit geklaut hatte, seine Tasche und eine teure Pfanne. Doch das Risiko in seine Wohnung zurück zugehen wollte er nicht eingehen. Nicht jetzt. Nicht, wenn ihm Jungkooks Kollegen vielleicht schon auf den Fersen waren. 

Also machte er sich gleich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt, ohne noch mal in seine Wohnung zurückzukehren. Wenn man bedachte, dass Jungkook ihm die Nachricht schon vor Stunden geschrieben hatte, war die Wahrscheinlichkeit sogar recht groß, dass Jungkook schon da war und auf ihn wartete. 

Jin hatte ein schlechtes Gewissen. Er hatte sie viel zu sehr von diesem Kack-Job vereinnahmen lassen. Er hätte sich viel besser um ihn kümmern müssen. Jetzt hatte er offensichtlich Probleme und Jin war nicht da gewesen um ihm zu helfen, im Gegenteil er bekam seine Nachricht erst nach Stunden. Jin war ein schlechter großer Bruder. 

Nervös machte sich Jin auf den Weg zu dem besagten Platz, an dem sie sich im Falle eines Notfalls treffen wollten. Es handelte sich um einen verlassen Zug-Waggon, in dem sie alles versteckt hatten, damit an dort ein paar Tage untertauchen konnte. Jin ging dort nicht den direkten Weg hin. Nur zur Sicherheit fuhr er erst wild durch die Straßen und schließlich  lief er noch allerhand wirre Wege, bevor er an seinem Ziel ankam. 

Es war bereits dunkel und allmählich spürte Jin seine Finger nicht mehr, weil es einfach so verdammt kalt war. Mit etwas Mühe stemmte Jin die Tür des Waggons auf. Zu seiner großen besorgt nicht war Jungkook nicht hier. Angst erfasst Jin. Wieso war er nicht hier? Jin schlüpfte nach innen und zog die Tür zu. Seine Fantasie ging mit ihm durch. Was wenn sie ihn getötet hatten? So wie schon seinen Bruder? Jin versuchte seine Panik runter zu kämpfen. Wo war Jungkook?

Mit zitternden Fingern brachte er eine kleine Ölheizung in Gang, die sie hier deponiert hatten, damit es ein wenig wärmer wurde. Er schluckte schwer starte in die Dunkelheit die nur von einem einzelnen Strahl Mondlicht unterbrochen wurde, der durch das doch eher undichte Dach viel, als sie plötzlich durch ein blinkendes Lichte erhellt wurde. Sein Handy. 

Schnell entsperrte Jin es. Eine Nachricht von Jungkook. 

Ich bin okay. Warte auf mich. Kann ein paar Stunden dauern. 

Jin schluchzte erleichtert auf und bemerkte da erst, dass er tatsächlich vor Stress geweint hatte. Er sollte sich zusammen reißen. Es war zu kalt zum heulen und es war auch nicht Jin Tränen zu vergießen. Er war keine Heulsuse. 

Also wischte er sich schnell über die Wangen und drückte das Handy an seine Brust. Er musste nur warten. 

Und Jin wartete. 

Die nächsten 12 Stunden. Den nächsten Tag. Er wartete bis die Sonne wieder unterging. Er wartete, als sein Handyakku den Geist aufgab. Am dritten Tag neigte sich auch das Heizöl dem Ende zu. Essen hatte er vielleicht doch für ein paar Tage, aber Jin wurde klar, dass er wohl spätestens am nächsten Tag mit dem Gedanken auseinander setzten musste die Stadt zu verlassen.

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt