#120 Klavierklänge

1.1K 186 113
                                    

Estelle

Mit einem erschöpften Seufzen lehnte sich die junge Prinzessin auf dem kleinen Hocker zurück. Sie wusste nicht, warum ihr Weg sie in dieses Zimmer geführt hatte. Es war nachts und der Palast lag in gespenstischer Stille. Doch Estelle konnte wieder nicht schlafen. Es war einfach zu warm.

So langsam gewöhnte sie sich an die Hitze, doch das bedeutete nicht, dass sie sie gut aushielt, nur, dass ihr Kreislauf nicht mehr alle vier Schritte nachgab. 

Doch woran sie sich wohl nie gewöhnen würde war das Heimweh. Die Einsamkeit. Sie fühlte sich wie ein Alien zwischen den Landaren, das war sie wahrscheinlich auch. Dabei fiel sie auf den ersten Blick nicht mal auf. Sie war aber schon vom Grundprinzip her anders gestrickt. Sie sah sich um, nur der fahle Schein einer Kerze erleuchtete das Zimmer und wieder war sie fasziniert davon, wie viele Instrumente in einen Raum passen konnten. 

Estelle saß jetzt schon zum vierten Mal an dem Klavier, doch bisher hatte sie sich nie getraut darauf zu spielen, den was wusste sie denn, wer was dagegen haben könnte. Doch es war Nacht. Niemand würde sie sehen oder hören und wenn sie sich vielleicht ein paar Minuten der Musik hingab, konnte sie sich entspannen und sich vorstellen, sie sei zu Hause, auch wenn es da niemals so warm war.

Vorsichtig klappte sie das Verdeck nach oben und legte ihre schlanken Finger auf die Tasten. Sie war zwar mit ihren ungefähr 1,55 sehr klein, wie Butterflyfrauen nunmal waren, doch sie hatte dennoch musikalische Hände, so hatte das zumindest einer ihre Väter immer gesagt. 

Lange, schlanke Finger, perfekt um Instrumente zu greifen. Ein anderer ihrer Väter meinte, dass sie auch einfach Frauenärztin werden könnte. Ihja, da waren ihr Instrumente lieber gewesen. Sie zögerte noch kurz, dann begann sie eines der Lieder zu spielen, dass sie schon in ihrer Kindheit gelernt hatte und das bei ihr einfach schon seit vielen Jahren saß. Sie war erstaunt, denn das Klavier war perfekt gestimmt. Irgendwie hatte sie damit gar nicht gerechnet. Das bedeutete ja, dass jemand regelmäßig darauf spielte?

Sie vertiefte sich in die Noten und ließ die Finger über de Tasten gleiten, zumindest, bis sie bemerkte, dass jemand den Raum betreten hatte. Sie stoppte abrupt und begegnete dem  neutralen Blick des Königs. Einen Moment wusste sie gar nicht, was sie sagen sollte, also schluckte sie nur trocken. 

"Was machst du hier im Dunkeln?", frage er, doch es klang nicht so angriffslustig wie sonst. Estelle senkte kurz den Blick, dann räusperte sie sich, ehe sie ihn wieder ansah. "Ich konnte nicht schlafen", sagte sie und sah ihm dabei zu, wie er eine der Öllampe entfachte. Das warme Licht, dass auf sein Gesicht fiel, ließ es noch weicher wirken. Böse Zungen nannten es wohl Weiberfresse, aber Estelle fand es eigentlich nur schön, wenn sie mal eine Sekunde objektiv war. Er hatte ein schönes Gesicht.

"Ich habe dich spielen hören...", begann er und kam die paar Schritte zu ihr rüber. Er löschte die Kerze, die sie auf dem Tisch abgestellt hatte mit den Fingern und setzte sich dann einfach mit auf den Klavierhocker. "Ich wusste gar nicht, dass du das kannst." 

Estelle lächelte verhalten und zuckte mit den Schultern. "Du weißt ja auch gar nichts über mich", antwortete sie leichthin und er neigte grüblerisch den Kopf. "Du hast Recht, ich sollte dich einsperren lassen, wer weiß, was du vor hast." Sie ließ es sich nicht nehmen ihm in die Rippen zu stoßen. "Idiot", schimpfte sie, aber sie meinte es nicht ernst. 

Er nickte zu dem Klavier und grinste nur herausfordernd. "Na los." Sie lege ihre Finger wieder auf den Tasten ab und beobachtete, wie er dasselbe Tat für die tieferen Töne. "Was soll ich spielen?", fragte sie und er zuckte mit den Schultern. "Was immer dir einfällt. Wahrscheinlich kenne ich es." Estelle stellte das nicht mal in Frage. Er war kein Angeber in dem Sinne. Wenn er es sagte, dann konnte er es wohl einfach. 

Sie spielte also etwas, dass sie ebenfalls als Kind sehr gemocht hatte. Eine Melodie, die sie als Spieluhr geschenkt bekommen hatte. Sie hatte den Namen des Liedes nie erfahren, auch nicht, wer es geschrieben hat, doch sie liebe es. Zu ihrem Erstaunen stieg er tatsächlich bald drauf ein. "Kennt du das Lied?", fragte die Violetthaarige und warf ihm einen Blick zu. Er schloss kurz die Augen und spielte blind weiter, ehe er nickte, als wüsste er, dann sie zu ihm rüber sah. 

Estelle konzentrierte sich wieder auf die Tasten vor ihr, auch wenn das ein wenig schwieriger geworden war, seit sich sich Yoongis Präsenz neben sich bewusste geworden war. Er strahlte Wärme ab, ihre Knie berührten sich leicht, wenn sie sich bewegten und er griff zwischendurch unter ihrem Arm durch, um eine Taste ihrer Ebene zu erwischen. 

Verdammtes Musikgenie. Sie lächelte leise. Wenn er sie beeindrucken wollte, dann hatte er es geschafft. Sie hatte nie jemand spielen sehen wie ihn. Irgendwann legte sie einfach die Hände in den Schoß und hörte ihm fasziniert zu, doch er quittierte das nach ein paar Takten schon mit einem Lachen.

"Nicht aufhören, Estelle", forderte er, "sei nicht so faul, Prinzessin."

Sie ließ ihre Hände einmal durch die langen violetten Locken wandern, ehe sie wieder einstieg und einfach was anderes spielte, was jedoch taktmäßig zu dem passte, was Yoongi machte. Er schien zufrieden, wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie behaupten, er hatte Spaß. Es war schön, mal eine andere Seite von dem Stevia zu sehen.

Sie spielten eine Weile einfach vierhändig, Estelle konnte nicht mal sagen, wie lange, doch sie merkte, wie sie endlich müde wurde. Also stoppte sie und streckte sich. "Ich werde dann noch mal versuchen zu schlafen", kündigte die junge Frau an und lächelte dem König dankbar zu. Das hatte tatsächlich gut getan. 

"Hey Estelle." Die Butterfly war gerade am Aufstehen gewesen, doch jetzt blieb sie doch noch mal sitzen und richtete den Blick ihrer regenbogenfarbenden Augen auf Yoongi. "Hm?" "Ich bin nicht gut in sowas, also mache ich es kurz", begann er und sah sie durchdringend an. "Ich weiß du hast Heimweh und ich weiß das ist alles nicht leicht für dich. Wir hatten einen verdammt schlechten Start und es tut mir ehrlich Leid, ich hoffe wir kommen den Rest der Zeit besser aus. Wenn du was brauchst, dann kannst du auch zu mir kommen, das weißt du?"

Er war gerade so niedlich, dabei machte er nicht mal was. Vielleicht war Estelle auch einfach müde. Sie drückte ihm kurz die Schulter und ließ ihre Hand dann von dieser gleiten, ehe sie ehrlich lächelte. Sie nickte bestätigend.

Irgendwie fühlte sie sich besser. Sie mochte keinen Streit und den mit Yoongi beizulegen war sicherlich das Beste, was sie tun konnte. Hieß nicht, dass es nicht irgendwie Spaß machte, sich mit ihm zu Kabbeln, doch vielleicht ging das auch, ohne wirklich bösartig zu sein. "Danke Yoongi", sagte sie und nahm sich ihre Kerze wieder. Sie entzündete diese wieder an der Öllampe und winkte verlegen, ehe sie sich mit einem leisen "Gute Nacht" auf den Weg zurück in ihr Zimmer machte.

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt