#131 Leb wohl.

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Jungkook

Er suchte also seine ganzen Verstecke ab, die er in der Stadt hatte. Geld. Für Notfälle. Er war wie ein Eichhörnchen. Nur vergaß er seine Verstecke nicht. Jedes Einzelne klapperte er ab und sammelte das Geld zusammen, dass er deponiert hatte, sollte er in eine Situation geraten, wenn er es brauchte. Oh du süße Paranoia. 

Das war eigentlich krank, doch gleichermaßen logisch? Du landest irgendwo, ohne jegliche Mittel? Wie gut, dass es bis zu deinem nächsten Geldversteck nie mehr als zwei Kilometer waren. Jungkook hatte das jahrelang so gemacht. Immer gespart, sich nie was gegönnt, was er nicht wirklich brauchte... Er wusste selbst nicht genau, wie viel wohl zusammen gekommen war, doch er wusste, dass es eine Menge Kohle war, die er auch einfach mit durch den Brunnen nehmen konnte. Doch das hatte er nicht vor.

Gleich als erstes kaufte er sich eine Sporttasche, um das Geld zu transportieren. Ein paar Stunden später war diese randvoll mit vielleicht 18 Millionen Won* die er über die Jahre angespart und in der Stadt verteilt hatte, wie der paraniode Zwangsneurotiker, der er war. Es war genug, um ein Auto zu kaufen, oder ein paar Monate lang sorglos zu leben.

Der junge Mann war selbst überrascht, wie viel dabei herumgekommen war. Wow. Er war wirklich krank, aber heey. Was sollte es? Er brauchte es ohnehin nicht mehr. Jungkook stolperte über den Gedanken. Er hatte sich bereits entschieden, sie ein für alle Mal zurück zu lassen, ohne es bewusst zu merken. Doch er war zufrieden damit und das beklemmende Gefühl wurde auch gleich ein bisschen besser, sobald er wusste, dass er bald wieder zurück in Curare sein würde. 24 Stunden? Ha. Wahrscheinlich würde er die nur brauchen, wenn seine Mutter endlich aus ihrer Lethargie aufwachte und sie mal sprechen konnten... sehen konnte, wie es weiter ging, denn er würde sie in dem Fall nicht allein hier lassen können, egal wie scheiße sie zu ihm gewesen war.

Es war wichtig, dass er hier war. Er musste abschließen. Der junge Mann konnte und wollte sich nicht so aus seinem Leben herausreißen lassen. Er wollte das selbst entscheiden, einen ordentlichen Abschluss schaffen. Jungkook wollte sich sagen können, dass er es versucht hatte, dass er alles für sie getan hatte, was in seiner Macht stand. Der Rest lag nicht in seiner Hand. Es war ihr selbst zuzuschreiben, dass sie irgendwann allein sterben würde.

Zwei große Einkaufstüten jonglierend, klingelte er dieses Mal bei wem anderes. "Wer ist da?", kam eine tiefe Stimme aus dem Lautsprecher. Hm... Schwer zu schätzen, ob er da auch auf die einfach-du-sagen-wir-sind-doch-Nachbarn-Schiene durchkam. "Hallo. Könnten Sie mich in den Hausflur lassen, ich hab die Hände voll", antwortete Jungkook also höflich. "Wer sind Sie denn?" "Der Enkel von Frau Choi. Ich war für sie einkaufen." "Hab ihr doch gesagt, sie muss nur mal fragen, dann machst du das bestimmt. Als würde man Oma hängen lassen." Den Worten folgte ein warmes Lachen. Oh, Glück gehabt, dass Frau Choi wirklich ein betagtes Alter und einen Enkel hatte.

"Würde ich nie. Soll ich sie grüßen?" "Ja gern." Der Summer ertönte und der Schwarzhaarige lehnte sich gegen die Tür, um sie zu öffnen. "Mach ich, danke."

Wieder ging er hoch, öffnete die Wohnung, stellte die Sachen ab, schmiss die Tasche mit dem Geld auf den Tisch, machte erst mal überall die Heizung ein wenig an und räumte die Einkäufe weg, nachdem er sich die beschlagene Brille geputzt hatte. Kaltes Wetter war doch wohl nervig. Noch eine Sache, die er in Curare nicht vermissen würde: Uncooles Verhalten seiner Brille. In Curare war es immer warm. Es war immer sonnig. Keine Kälte, kein Regen. Brille Tragen konnte so unkompliziert sein.

Jungkook beschloss schnell noch was zu kochen, damit sie was zwischen die Zähne bekam und dann... würde er verschwinden. Er machte eine schnelle Gemüsepfanne, aß selbst was davon und machte dann einen Teller fertig, den er ins Wohnzimmer trug. Er stellte ihn vor seiner Mutter ab und legte Besteck dazu.

"Mom..."

Keine Reaktion. Er konnte schon gar nicht mehr traurig darüber sein. Inzwischen war er nur noch resigniert. Jetzt hatte er sogar mehr als zwei Leute, die sich um ihn scherten. Er brauchte sie nicht...

Er hockte sich zu ihr vors Sofa und nahm ihre Hand. Sie fühlte sich kalt und fremd in seiner an. Es wurde Zeit.... es wurde wirklich Zeit. "Ich habe nie verstanden, warum du das machst und tue es auch jetzt nicht", begann er zu sprechen. Sie hörte ihn, natürlich, sie war ja nicht taub, "Aber ich hab mein bestes gegeben und wenn du je vorhattest, doch noch mal mit mir zu reden, dann tu es jetzt, denn wenn ich das nächste Mal durch diese Tür gehe, dann werde ich nicht wieder kommen. Nie mehr, hörst du? Vielleicht ist es das, was du willst. Das was du dir wünscht, auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann."

Er unterbrach ich kurz und sah zu ihr auf. "Ich bin es. Jungkook. Dein Kleinster. Ich bin groß inzwischen, auch wenn du es wohl kaum gesehen haben solltest, denn du schaust mich nie an. Ich hätte dich gebraucht, weißt du... Aber es ist nicht mehr schlimme, ich habe gefunden wonach ich gesucht habe, auch wenn ich es nicht gesucht habe, vielleicht hat es mich gefunden, ich bin nicht sicher. Wie gesagt... es ist nicht schlimm. Schlimm ist nur, dass du mich noch viel mehr brauchst, als ich dich je brauchte, oder zumindest das, was ich vorbei bringe."

Er hielt ihre Hand noch immer fest, kramte mit seiner freien jedoch in seiner Hosentasche. "In der Küche ist Geld. Mehr hab ich nicht. Teile es dir ein." Er klang wie ein Vater. Teile es dir ein... Wow. "Ich war einkaufen. Das sollte für diese Woche reichen. I-Ich werde jetzt verschwinden." Er bekam seine Dietriche, mit denen er jedes Mal wieder die Wohnung aufgeschlossen hatte, in den Griff und das war es auch, was er haben wollte. Er zog sie hervor und legte sie seiner Mutter in die Hand, denn er würde sie nicht mehr brauchen. "Leb wohl."

Ein letztes Mal stand er auf. Er zögerte nicht. Er wartete nicht, ob sie sich im letzten Moment umentschied. Diese Blöße wollte er sich nicht geben, denn er war es Leid zu warten. Er war es Leid, dass sie so tat, als sei er nicht hier. Ihr würde es gut gehen, zumindest eine Zeit lang. Irgendwie würde sie überleben und wenn nicht, dann konnte er sich keinen Vorwurf machen, denn er hatte ein eigenes Leben um das er sich kümmern musste und sie würde nicht mehr dazu gehören. Er verließ die Wohnung und ließ sich keine Zeit dabei. Es war Zeit zu gehen.

Nur... wie sollte er ohne Dietriche ein Auto knacken. Das war dann doch zu viel Melodramatik gewesen, huh? Also hieß es, schnell welche stehlen - er wusste auch schon wo - ein Auto kurz schließen und so schnell wie möglich zurück nach Curare. Zurück zu Taehyung.


*Etwa 14 000 Euro

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt