#24 Paranoia

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Jungkook 

Der schwarzhaarige, junge Mann konnte spontan nicht sagen, was ihn geweckt hatte. Alles was er wusste war, dass sein Herz wie wild klopfte. Er war nicht müde, er brauchte keine Sekunde, um sich zu orientieren, er war sofort hellwach. Irgendwas stimmte nicht. Er tastete den kleinen Tisch neben sich ab, bis seine Hand seine Brille zu fassen bekam. Er setzte sie schnell auf und sah sich um. 

Jungkooks Blick fiel auf die Lampe neben ihm und er schob sie ein wenig zur Seite ... Hatte sie schon da gestanden, als er eingeschlafen war? Warum war der Schirm nicht ganz gerade? Seine dunkelbraunen Augen wanderten durch die Dunkelheit des Raumes. 

Beruhig dich. Ganz ruhig. Du bildest dir das ein. Deine Praranoia ist zurück...

Er versuchte sich selbst gut zuzureden. Das war nicht echt, ganz bestimmt nicht. Er wusste nicht was schlimmer wäre, wenn er einen Eindringling hätte oder wenn er die Paranoia erneut in den Griff bekommen musste. 

Er hatte gedacht, dass er zumindest das hinter sich gelassen hatte, es war schließlich Jahre her, dass er sich das letzte Mal eingebildet hatte, nicht allein zu sein. Noch ein paar Sekunden saß er auf dem Sofa und versuchte sich davon zu überzeugen, dass er keine Angst haben musste, doch Jungkook wusste es besser. 

Unsicher fischte der junge Mann nach seinem Handy, ehe er die Beine anzog, um weniger verwundbar zu sein. Zumindest war es eine Sache, die man sich gut einbilden konnte. Er legte sich das Handy gegen die Lippen und dachte nach. Die schlanken Finger der anderen Hand ließ er durch das schwarze Haar fahren. Er überlegte fieberhaft. Sollte er ihn anrufen? Jin war der Einzige, der ihm jetzt helfen konnte. Lautlos kamen ihm ein paar Flüche über die Lippen, dann entsperrte er den Bildschirm seines Smartphones. 

Das bläuliche Licht brannte in den Augen und blendete ihn. Blinzelnd drückte er auf die Kontakte und wählte die Nummer seines ältesten Freundes an. Jin war eigentlich ein Freund von Jungkooks älterem Bruder gewesen, doch er hatte sich schon immer mit um dessen kleine Nervensäge gekümmert und irgendwann verloren sie ihn...  und dann gab es eine Weile nur noch Jungkook und Jin. 

Jungkook schaltete die Lampe ein. Das warmweiße Licht erhellte den Raum nur spärlich. Es reichte nicht, um das Gefühl zu vertreiben, dass er nicht so allein war, wie er sein sollte. Ungeduldig lautschte dem Ton, wie sein Telefon wählte und tippte dabei nervös mit den Fingern auf sein Knie, während er unsicher immer wieder kurze Blicke in den Raum warf.

Er bekam ein Freizeichen und schon nach dem dritten Klingeln nahm Jin ab. Erleichterung durchströmte Jungkook. "Kleiner?" "Hyung..." Jungkook verfluchte den zerbrechlichen Ton seiner Stimme selber. "Warum flüsterst du? Alles okay?" Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf, auch wenn er wusste, dass das am Telefon keinen Sinn machte. "Ich dreh durch Hyung. Hier ist jemand."

"Durchatmen, Kleiner.... Jemand...? Du meinst...?" "Nein, Jin... nicht Jonghun", murmelte Jungkook.

Es war nicht wie damals. Das hier war anders. Es war schlimmer. Das Letzte mal hatte er sich noch eingebildet, dass sein toter Bruder derjenige war, der bei ihm war.... das war Jahre her. Das hier war nicht sein Bruder. Das war wer Fremdes. Jemand, der hier nicht sein sollte.

"Woran machst du das fest?", fragte die Stimme am anderen Ende sanft und ein Rascheln verriet Jungkook, dass er aufgestanden war. Er würde herkommen. Gott sei Dank, er würde zu ihm kommen. Jungkook war froh, dass er ihn nicht darum bitten musste, denn wahrscheinlich hätte er die Worte eh nicht über die Lippen bekommen. Wieder ließ er den Blick durch den Raum wandern. "Meine Lampe stand nicht da, wo sie stand, als ich eingeschlafen bin...", vorsichtig stand er auf und bewegte sich in den nächsten Raum. 

"Ein Geruch hängt in der Luft...", wisperte er und sein Blick blieb im Dunkeln an der Pinnwand hängen. Der blasse Schein der kleinen Wohnzimmerlampe reichte nicht bis in die Küche und der junge Mann hätte sich selbst am liebsten geohrfeigt, dafür dass er keine weiteren Lichtquellen besaß, weil er Simpel zu faul war, die Deckenlampen anzuschließen. "Ein Geruch?" "Flieder." Er trat an die Pinnwand. Langsam bekam er echt Panik. "Hyung, meine Postkarten hängen anders, das Foto fehlt, was soll ich nur machen, jemand ist hier, ich schwöre es dir...", die Worte kamen schnell und undeutlich über Jungkooks Lippen, da er sich immer noch Mühe gab, leise zu sein, auch wenn er dazu fast zu aufgewühlt war. "Shhhhhhh... vielleicht ist es nur runter gefallen. Beruhige dich, ich bin gleich bei dir."

Jungkook biss sich auf die Lippe. Dann drehte er sich um seine eigene Achse. Konnte er sich das wirklich derart einbilden? Spielte seine Fantasie ihm einen Streich? Wo war das Foto? Hatte er es am Ende selbst abgenommen und erinnerte sich nur nicht? "Okay, Jin..." Jungkook hörte, wie am anderen Ende der Leitung eine Tür ins Schloss fiel. "Setz dich aufs Sofa und behalte die Tür im Auge, in ein paar Minuten bin ich da." 

Der Jüngere brummte leise zur Zustimmung, doch er konnte das so nicht. Er musste sich davon überzeugen, dass er nur spann. Das wäre noch das Beste, oder? Warum kam er sich nur so beobachtet vor? Er trat einen Schritt zurück. Noch mal warf er einen prüfenden Blick auf die Pinnwand. Warum zur Hölle sollte jemand gerade das Foto nehmen? Er wollte nachsehen, ob es vielleicht auf dem Boden lag, doch er tat es nicht, aus Angst, dass er es dort nicht vorfinden könnte. Stattdessen ging er durch den kleinen Flur zurück ins Wohnzimmer. Alle Räume gingen von diesem kleinen Flur ab. 

Noch immer hatte er den Geruch von Flieder in der Nase. Das war das Schlimmste und zugleich das am wenigsten Schlimmste. Eigentlich sollte er sich fragen, wo der Geruch herkam... doch irgendwie wirkte der Flieder seltsam beruhigend auf ihn. Erneut suchte er den Raum mit den Augen ab. Dann entschloss er sich dazu, auch das Bad zu checken. 

Mit leisen Schritten machte er sich also auf den Weg in das kleine Bad. Er drehte wirklich durch. "Kleiner, was machst du?" "Er ist immer hinter mir, Hyung...", sagte Jungkook wieder nur leise. Denn das war genau das, wonach es sich anfühlte, während er durch die Wohnung ging. Er schloss die Badtür hinter sich, in der Hoffnung das Empfinden dann los zu werden. Er lauschte, doch er hörte absolut nichts. 

Kurz legte er das Handy an die Seite und wusch sich das Gesicht mit etwas kaltem Wasser. Von der Gang wusste keiner, wo er inzwischen wohnte. Das war auch gut so. Es war nicht so, dass sie ihn nicht finden würden, wenn sie ihn wirklich finden wollten, doch so hatte er bisher wenigstens halbwegs seine Ruhe, solange er eben 'brav' war. Ein leises abfälliges Lachen kam über seine Lippen und er schloss gestresst die Augen. 

Erneut fuhr er sich durch die Haare, dann nahm der das Telefon wieder auf. Wenn es jemand von der Gang wäre, der ihm einen Besuch abstattete, weil er irgendwas flasch gemacht hätte, wären sie niemals so subtil vorgegangen. Das war nicht ihr Stil. Sie waren grob und laut und sie ließen dich wissen, wenn sie dich auf dem Kieker hatten, oder sie erschossen dich einfach gleich. 

Außerdem gab es keinen Grund, er hatte erst gestern wieder eine Bank gehakt, damit sie rein kamen. Sie brauchten ihn. Leider. Jungkook hasste sein Leben. Er wollte raus aus der Gang, doch es gab kein Raus. Es gab nur bleiben, gezwungen werden zu bleiben, wie in seinem Fall, denn sie wussten genau über wem die das Fadenkreuz schweben lassen mussten, damit Jungkook ihnen sein Potentenzial zur Verfügung stellte... und als letztes gab es den Tod, dann ist man auf jeden Fall raus.

Jungkook ging zurück in den Flur. 

Ein Luftzug war deutlich spürbar und der kalte Novenberwind drang scharf an seine nackten Oberarme. Er fröstelte. Irgendwo war ein Fenster auf. Ach was ein Fenster. Das Wehen seiner schneeweißen Gardiene verriet ihm: Die scheiß Balkontür stand einen kleinen Spalt offen. So viel zur Einbildung. 

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt