#94 Was wäre wenn

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Taehyung

Taehyung hatte erwartet, dass Jungkook sich jetzt, wo er die Gelegenheit bekam, aus dem Staub machen würde, doch offensichtlich hatte er sich getäuscht denn sein Mate setzte sich nur auf und verweilte auf dem Bett. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Es tut mir leid", äußerte er leise. 

Taehyung warf ihm einen fragenden Blick zu. "Was überhaupt?", wollte er wissen, denn er konnte Jungkook nicht wirklich folgen. "Hilf mir auf die Sprünge." Jungkook schwieg beharrlich für gut eine halbe Minute und Taehyung rechnete schon nicht mehr mit einer Antwort, da ergriff der junge Mann doch das Wort. "Ich bin Schuld daran, dass du verletzt worden bist." 

Taehyungs Augen weiteten sich überrascht. Wie kam Jungkook denn darauf? Gut, es war tatsächlich Jungkooks Verschwinden gewesen, dass ihn abgelenkt hatte, doch woher wusste Jungkook das jetzt? Taehyung hatte sicher nicht vorgehabt es dem Schwarzhaarigen unter die Nase zu reiben und fragte sich, wer es an seiner Stelle getan hatte. 

Jungkook seufzte. "Dieser eine Heiler, der meinte irgendwas hat dich abgelenkt. Er hat es regelrecht betont... wie auch immer es war nicht schwer eins und eins zusammen zu zählen", meinte er. Taehyung musterte seinen Mate aufmerksam und versuchte in seiner Miene zu lesen, doch diese war schier unergründlich.

"Es ist nicht deine Schuld", meinte Taehyung leise. "Wobei ich mir vielleicht schon eine Warnung gewünscht hätte. Aber irgendwo kann ich auch verstehen, dass ihr so schnell wie möglich starten wolltet." Jungkook zischte. "So wie du mich vorgewarnt hast, was das zeitliche Verhältnis von Curare und Korea betrifft?", fragte er spitz und sah ihn an.

Arg. Touché.

"Taehyung, wenn ich das gewusst hätte-" "Dann wärst du gar nicht erst mitgekommen", unterbrach Taehyung Jungkook und erwiderte den Blick seiner dunklen Augen. "Und nach dem, was an nur einen Tag mir dir erlebt habe, will ich dich nicht dort sehen. Meinetwegen, nenn es egoistisch. Aber nur weil ich dich erstmal aus Korea rausschleife heißt, das nicht, dass ich Jin hängen lasse, wenn er doch so wichtig für dich ist."

Jungkook schwieg ein paar Momente, bevor er seufzte. "Dann wäre es vielleicht zu spät gewesen", meinte er dunkel. "Es musste schnell gehen." Taehyung legte sich ein bisschen bequemer hin.  Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und musterte seinen Mate noch mal kurz. "Du musst dich nicht rechtfertigen, Jungkook."

"Scheinbar schon. Schließlich wurdest du noch nie vorher verletzt, hab ich mir sagen lassen", erwiderte Jungkook leise und wich seinem Blick aus. Jap. Er würde Ferrys - es konnte nur Ferrys gewesen sein - sowas von verprügeln, sobald er ihn sah. Wegen Jungkook und auch wegen Jimin, er war ohnehin fällig. Was sollte der Mist alles? Doch jetzt hatte er hier erst einmal Jungkook. 

"Das mag stimmen, aber ... was solls? Ich lebe, ich atme, ich hab besseres zu tun, als mich über Dinge zu streiten, die wir jetzt eh nicht mehr ändern können. Es ist auch nicht so, als hätte ich einen Arm verloren oder so etwas, also Schwamm drüber", meinte Taehyung. Im Grunde war es ja auch genau das. Sie konnten sich jetzt darüber streiten, ob Jungkook sich hätte abmelden müssen, jeder auf ihrem Standpunkt beharren und sich gegenseitig nerven. Oder sie ließen es eben einfach bleiben. 

"Und was wäre, wenn doch was passiert wäre?", hörte Taehyung Jungkook sagen und er lachte leise. "Jungkook~ Denk nie über 'was wäre wenn' nach, okay? Es ist sinnlos und macht einfach soooo unglücklich. Vertrau mir. Es tut nur weh. Schlag dir das bitte sofort aus den Kopf und selbst wenn was passiert wäre, dann hätten wir eben mit den Konsequenzen leben müssen. Oder auch nicht, denn ich wäre dann eben ein toter Landare und du mein Mate." Jungkook zischte unbegeistert. 

Doch dann ließ er sich der Schwarzhaarige zurückfallen und zupfte sich eines der Kissen unter Taehyungs Kopf weg. Taehyung ließ ihn gewähren und bauschte sich das ihm verbliebene Kissen noch mal auf. 

"Welche Frage war es bei dir?", wollteJungkook wissen. "Was meinst du?", fragte Taehyung fast ein bisschen misstrauisch. "Welche 'Was wäre wenn'- Frage?", half Jungkook ihm auf die Sprünge. Taehyung fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Wie Jungkook Talent hatte Fragen zu stellen, die ins Innerste gehen, aber selbst nichts von sich preisgeben wollte. "Du sagst das doch nicht umsonst, oder?" Taehyung schwieg einen Augenblick und Jungkook schien nun selber zu bemerken, dass das wahrscheinlich eine schwierige Frage war. Er wich Taehyungs Blick aus. 

"Also ich meine... du musst natürlich nicht antworten, du... ach vergiss es", stammelte er, doch Taehyung seufzte nur. "Ich habe mich gefragt... 'Was wäre, wenn wir uns andersrum aufgeteilt hätten und ich wäre in den Westturm gegangen und sie in die Haupthalle?'", antwortete er wahrheitsgemäß und Jungkook sah ihn abwartend an. Natürlich konnte er ihm nicht folgen. 

Taehyung drehte sich auf die Seite und sah Jungkook an. "Vor vier Jahren wurden wir angegriffen und wir mussten uns aufteilen, meine Mutter und ich, und ich schickte sie hoch in den Westturm und ich meinte zu ihr ich übernehme die Halle. Ich dachte wirklich da im Turm könnte ihr weniger passieren. Offensichtlich hatte ich mich getäuscht und ich habe mich lange gefragt, was wäre wenn und weißt du, Jungkook, es hat mir nie etwas gebracht. Ich stell mir diese Frage nicht mehr und das ist auch gut so." 

Von Jungkook kamen so einige Gefühle rüber geschwappt, doch hauptsächlich war es wohl Trauer und er hing seinen ganz eigenen Gedanken nach. "Du hast nicht aufgehört damit, dir diese Frage zu stellen", stellte Taehyung fest- Jungkook antwortete nicht, doch Taehyung konnte es fühlen. "Lass es los, Jungkook. Die Vergangenheit kannst du nicht ändern. Also bau lieber an deiner Zukunft und mach das Beste daraus." "Du klingst wie ein alter Mann", beschwerte sich Jungkook und betrachtete einen Punkt an der scheinbar erstaunlich interessanten Wand und Taehyung lachte nur leise. 

"Ich hab sie gesehen", meinte er dann unvermittelt. "Wen?", fragte Jungkook und musterte ihn überrascht. "Meine Eltern. Ich weiß es klingt total bescheuert, aber ich hab sie gesehen. Jetzt. Während es mir schlecht ging. Es war sicher nur ein Traum, aber es war schön sie zu sehen." Er zuckte mit den Schultern. Er wusste selbst nicht, was er davon halten sollte. Es hatte sich so real angefühlt. 

Jungkook zuckte ebenfalls mit der Schulter und lächelte leicht. "Dann stell es nicht in Frage und freu dich einfach darüber?" Taehyung ließ sich das durch den Kopf gehen. "Ja, ich denke du hast Recht."

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt