#61 Die Sache vor vier Jahren

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Namjoon

Namjoons Gedanken hatten sich in ein Karussell verwandelt. Ihm ging das Gespräch mit Yoongi nicht aus dem Kopf. König des Verlustes hatte er sich genannt. Doch er war nicht der Einzige, der Verluste hatte einstecken müssen, so viel wusste Namjoon, denn schließlich waren auch die Eltern von seiner Mate bereits nicht mehr bei ihnen.

Jetzt war die Frage: Wo waren alle hin? Irgendwas musste vorgefallen sein und irgendwie sprach darüber niemand.

Namjoon machte sich auf zum Mittagessen. Er erwartete Lilly nicht wirklich im Speisesaal, schließlich hatte sie sich erst vor ein paar Stunden schlafen gelegt. Daher war er umso überraschter, als sie ihm auf den Rücken sprang.

"Machst du Pause?", fragte sie fröhlich und Namjoon nickte. "Du bist schon wach?" Lilly machte keine Anstalten sich von ihm zu lösen, also griff er nach ihren Beinen und nahm sie eben Huckepack. "Ich brauch nicht viel Schlaf", erwiderte seine Freundin, doch ein kleines Gähnen strafte ihre Worte Lügen. Namjoon schmunzelte.
"Du meinst du bist kurz aufgewacht und anstatt weiter zu schlafen hast du beschlossen, dass dir Schlaf zu langweilig ist?", hakte er nach und Lilly bestätigte ihm das mit einem niedlichen Kichern.

Namjoon ging mit Lilly auf dem Rücken zum Buffet. Bei Yoongi im Palast zu wohnen hatte was davon, in einem Hotel zu wohnen, nur dass hier eben keiner Urlaub machte, sondern alle arbeiteten. Auf der einen Seite war es seltsam, doch auf der anderen auch irgendwie angenehm. Immerhin musste man sich nicht um den Abwasch kümmern. Dann ging auch nichts kaputt.

Lilly rutschte nun doch von Namjoons Rücken und nahm sich was zu Essen und zusammen setzten sich sich in ihre Ecke, an den Tisch, an dem sie fast immer saßen. Das wiederum hatte was von Schulkantine.

Kaum hatten sie Platz genommen, spürte Namjoon auch schon den Blick seiner Mate auf sich. "Was ist es?", wollte sie wissen. Namjoon seufzte. Schon seltsam, wie sich gegenseitig in die Köpfe schauten. "Ich habe mit Yoongi gesprochen." "Und?"

Namjoon musterte das hübsche Gesicht seiner Mate. Wollte er das wirklich ansprechen? Nicht, dass er sie unnötig traurig machte. Doch auf der anderen Seite würde sie sich ohnehin Gedanken machen, wenn er nichts sagte und sich sorgen. Außerdem war seine kleinen Grünlilie stärker, als man vielleicht schätzte.

"Er meinte ... euch alle hätte der Verlust zusammen geschweißt", meinte er also. Lilly schwieg einige Sekunden. "Das ist nicht alles... aber ja das auch." Sie seufzte. "Du fragst dich was passiert ist, schätze ich." Namjoon nickte. "Lass uns essen und dann zeig ich dir was, okay?" Namjoon nickte abermals und den Rest den Essen ließ er Lilly ihren Gedanken nachhängen.

Als sie ihr Geschirr losgeworden waren nahm Lilly seine Hand und zog ihn nach draußen in einen etwas abgelegen Garten. Er war riesig und wahrlich wild bepflanzt, doch damit auf seine eigene Art und Weise wunderschön. "Was glaubst du, was das hier ist?", fragte sie und sah sich um. Namjoon folgte ihrem Blick.

"Sicher nicht das wofür ich es halte", vermutete er und sie nickte leicht. "Das ist der Friedhof", offenbarte sie und Namjoon sah sie überrascht an. Das hatte er nun wirklich nicht erwartet.

"Wenn ein Landare stirbt, dann nimmt er die Gestalt seiner Pflanze an und diese wird dann hier her gebracht um gepflegt zu werden", erklärte sie. "Also waren das alles mal Landare?", fragte Namjoon. Das war eine wirklich seltsame Vorstellung. Lilly strich über das Blattwerk eines stattlichen Buchbaumes. "Ja. Die Betonung liegt auf waren. Das alles sind, wenn du es so willst, eigentlich nur ganz normale Pflanzen, nur dass sie eben von Landaren zurückgelassen wurden. Sie sind so etwas wie ein Vermächtnis." Sie  lächelte leise und deutete auf den prächtigen Busch. "Das ist von meinen Vater." Namjoon musterte den Buchsbaum. "Was ist passiert?"

Lilly seufzte und Trauer zog sich über ihr Gesicht. "Die Sache vor 4 Jahren", meinte sie leise. Sie nahm Namjoon wieder an der Hand und zog ihn zu einem kleinen Gewächshaus. "Vor vier Jahren wurden wir angegriffen. Wir hatten einen Verräter in den eigenen Reihen... vorbei ich bis heute nicht wirklich glaube, dass das alles seine Richtigkeit hatte. Irgendwas an der Sache faul war. Aber das mal ganz beiseite. Es gab einen Angriff gegen Aturos, Yoongis Vater. Der Verräter, sein Name war Kahnyun, hatte eine halbe Armee angriffswütiger Butterflys reingelassen, die uns mehr oder weniger in Schlaf überfielen. Ein Kampf entbrannte, der sich über Stunden hinzog und uns eine Menge gekostet hatte. Unter den den Opfern waren unter anderen Taehyung und meine Mutter." Sie blieb vor einer hübschen rosa Orchidee stehen. 

Namjoon betrachtete die Pflanze. "Sie ist im Westturm erschossen worden", hörte er Lilly erzählen. Er registrierte, wie Lilly zurück zur Tür ging und einen Blick zum Buchsbaum warf. "Als wäre der Verlust von einem nicht schlimm genug fordert die Matebindung in der Regel im Nachgang ihren Tribut. Das ganze nennt sich Loss Intoxication. Wenn du deinen Mate verlierst, dann rafft dich diese dahin. Manche schnell, manche langsam. Papa hat noch zehn Monate ohne Mama ausgehalten, doch dann folgte er hier. Das ist eher die Ausnahme." 

Namjoon schloss zu seiner Freundin auf und nahm sie in den Arm. Sie lehnte sich mit einen leicht traurigen Lächeln an ihn. "Siehst du da vorne die Nadelbäume. Die Fichte hinterließ Thannams Vater. Auch er starb bei dem Angriff. Die Tanne daneben ist von seiner Frau. Sie hat keinen halben Tag durchgehalten." Sie warf einen Blick zurück in das Gewächshaus, dass voller Zimmerpflanzen war. Sie löste sich von Namjoon und ging zu einem Weihnachtsstern. "Calisto." Sie drehte den Topf ein wenig und schenkte der Pflanze ein liebevolles Lächeln. 

"Wer war sie?", wollte Namjoon wissen. "Was glaubst du?", fragte Lilly gegen und Namjoon fiel es wie schuppen von den Augen. "Yoongis Mate." Lilly nickte. Namjoon seufzte. Er wusste nicht was er gedacht hatte, aber auch ihm war nicht entgangen,  wie schlecht Yoongis Zustand an einigen Tagen war. Er hatte gedacht, Yoongi sei krank. War er im Grunde auch aber jetzt hatte das Kind einen Namen. "Wie hält er das durch?", fragte Namjoon und Lilly kratzte sich am Kopf. "Manchmal glaube ich er ist einfach zu stur zum sterben", meinte sie trocken. Sie löste sich um ging nach draußen. 

"Ganz der Vater. Es war fast schon Sarkasmus den Schicksals. Seine Frau war sehr krank und starb vor 8 Jahren. Und er hält vier Jahre der Loss Intoxication stand nur um bei diesem dämlichen Angriff zu sterben." Sie verzog enttäuscht das Gesicht. Offensichtlich hatte sie ihn gemocht.  Lilly nickte nach vorne und Namjoons Blick viel aus einen kleinen See. "Die Trauerweide. Sie ist von ihm." Sie lief schnellen Schrittes rüber. "Delilah, unser Königin, war eine Seerose. Ich freu mich für die zwei, dass sie so schon nah bei einander sind." Namjoon nickte verstehend. Es hatte irgendwie etwas Tröstendes an sich.

"Das waren Butterflys?",hakte er nach und fragte sich insgeheim ein bisschen, was die kleine Estelle dann hier machte. "Ja. Aber die Butterfly Queen konnte uns beweisen, dass sie damit nichts zu tun hatte und es wäre auch nicht Landare-Art ewig drauf herumzureiten, obwohl es natürlich nicht unbedingt dafür gesorgt hat, dass die Stimmung zwischen uns und den Butterflys besser wurde." 

Sie kuschelte sich wieder an ihn und Namjoon gab ihr einen Kuss auf den Haaransatz. "Hör zu Namjoon. Das ist Vergangenheit. Viel wichtiger ist das hier und jetzt. Es bringt uns nichts uns zu sehr nach den Toten zu sehen, wir müssen uns um die kümmern, die hier sind." Namjoon verstand was sie meinte. Und er hatte das Gefühl, dass dieses Prinzip keiner besser verkörperte, als Yoongi. Er nickte. "Du hast Recht." Lilly fuhr ihm mit der Hand in die Haare. "Ich habe ein ungutes Bauchgefühl. Irgendwas stimmt nicht, irgendwas kommt auf uns zu. Alles ist ein großes, dunkles Puzzle. Wir müssen besser aufpassen den je." 

Namjoon musterte sie verwirrt. Gut, im Norden braute sich ja bekanntlich was zusammen, doch hatten damit nicht viel mehr die Butterflys zu kämpfen? Allerdings war da auch dieser seltsame Titan. Namjoon wollte Lilly ihr Bauchgefühl nicht absprechen. Also nickte er nur wieder und gab ihr einen kurzen aber liebevollen Kuss. "Mach dir keine Sorgen, Lilly. Ich pass auf dich auf. Und du auf mich. Wir schaffen das. Uns wird nichts passieren, ich schwöre es." Lilly lächelte und schlang die Arme seinen Nacken. Sie nickte. 

"Solange wir das hinbekommen wird alles gut."


Vicarli in einer halben Stunde, ich hoffe wir sehen uns auch da :)

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt