#27 Seelischer Bankrott

1.3K 211 265
                                    

Hoseok

Jimin zu lieben war nicht einfach. Im Gegenteil, im Moment war es eher eine Tortur.

Hoseok fragte sich was nur bitte mit Jimin los war. Warum war er so furchtbar gemein zu ihm? Grade jetzt? Was hatte er falsch gemacht?

Genau genommen hatte er tatsächlich einen Fehler gemacht. Aber warum sollte der Jimin dermaßen verärgern? In Grunde dürfte es den Lotus nicht mal auffallen.

Oder doch?
Er ist Tracker. Pathfinder. Ihm fielen so einige Sachen auf die andere ganz schnell übersahen. Doch selbst wenn... warum sollte es ihn dazu bringen, dass er ihn wie den letzten Schuhputzlappen behandelte?

Hoseok hatte seine Gründe Jimin nicht auf die Nase zu binden, dass er tatsächlich Recht gehabt hatte, was ihre Beziehung betraf, denn er trug seinen Mate Block nicht umsonst. Und auch Priest war er nicht umsonst.

Als Energizer war man nicht wirklich beziehungsfähig.

Das lag nicht daran, dass man sich als Energizer nicht genauso emotional an eine Person hängen konnte, wie jeder andere auch, nein, es war viel mehr eine körperliche Sachen... wenn man denn das stetige Produzieren von Energie als eine körperliche Eigenschaft bezeichnen wollte.

Was es auch war, es machte alles kaputt, denn Hoseok hatte darüber keine Kontrolle. Und die würde er auch nie haben. Zumindest nicht  wirklich. Er wusste maximal, wie er mehr geben konnte. Mehr ging immer. Doch nichts geben? Um den Partner vor der berauschenden Wirkung der Energie zu schützen? Das konnte er nicht. Das konnte kein Energizer, egal was der ein oder andere behaupteten mochte.

Hoseok war das bewusst. Seit Jahren schon. Darum war ihm der Mateblock nur gelegen gekommen. Solange sich niemand an ihn band würde er auch niemanden in eine Beziehung ziehen, in der alle, die darin involviert waren, vor die Hunde gehen würde. Es war ja nicht so, als hätte Hoseok das nicht alles schon hinter sich.

Das mehr geben, als man kann.
Das Ausbrennen unter den Forderungen des anderen.
Das Aufbauen von Kapazitäten, die man nicht haben sollte.
Das Verdrängen der eigenen Bedürfnisse für den anderen.
Das sich-selbst-aus-den-Augen-verlieren.

Hoseok wäre schon einmal fast zu Grunde gegangen und hatte im letzten Moment seine sieben Sinne zusammengerissen und war geflohen, bevor er endgültig  unterging. Doch wie sollte er das schaffen, wenn sein Energiepartner auch noch sein Mate war? Und wenn die Beziehung eine gewisse ... sexuelle Komponente bekam?

Würde er sich darauf einlassen, würde er Jimin zerstören, genauso wie Jimin ihn zerstören würde.

Denn Energie fühlte sich gut an. Sie machte süchtig. Früher oder später jeden, egal für wie standhaft man sich halten mochte. Wie jede gute Drogen machte auch Energie schnell abhängig und mit der Zeit brauchte man immer mehr. Spätestens an dem Punkt, an dem der Energizer nicht mehr genug geben konnte, um den Partner zu befriedigen und dem das aber scheißegal wurde und er sich was er brauchte im schlimmsten Fall mit Gewalt nahm, ging alles, was mal gut gewesen, war in die Brüche.

Die meisten Energizer ließen sich selbst das gefallen. Nicht nur, dass es sich schwierig gestaltete einen mit Energie vollgepumpten Partner, der genug Energie gespeichert hatte um mit einem Spell einen Wald von 10km² in ein paar Sekunden niederzubrennen, die Stirn zu bieten, so waren Energizer von sanftem Wesen. Es war fast wie eine Sicherheitsmaßnahme der Natur. 

Vielleicht war es auch Sarkasmus. 

Nimm die sanftmütigsten Wesen und verpasse ihnen fast maßlose Macht. 

Ja, doch. Es war sicher Sarkasmus. Mutter Natur machte sich ihr Popcorn und genoss die Show, die daraus bestand, dass es vielleicht unter 1000 Energizer einer einen Spell wirkte, um sich gegen das zu wehren, was ihm widerfuhr, während die meisten Energizerpartner die neugewonnene Macht in der Regel genauso genossen, wie den Rausch, wenn sie die Energie bekamen. 

Wer sollte dazu schon nein sagen?

Die Alternative wäre eine Beziehung durch eine mentale Glasscheibe zu führen. Nicht mal Händchen halten wäre erlaubt. Wem wollte Hoseok so etwas anbieten? Sicherlich keinem körperlichen Landaren, wie Jimin einer war, der ihn schon jetzt entgegen jeder Regel berührt hatte und ihm damit das Gefühl gegeben hatte weniger Außenseiter zu sein. Jimin hatte ihm den Hauch Normalität gegeben, den Hoseok so sehr schätzte.

Nicht selten wünschte sich Hoseok, er wäre ein ganz normaler Landare. Und wenn er nur eine Scheißhausblume wäre, es wäre ihm völlig egal. Hauptsache er wäre normal. Doch eventuell wäre er dann auch längst tot, wäre vielleicht nicht mal 20 geworden, wie viele, die in den Slums der Großstädte geboren wurden - in den dunklen Ecken, die niemand im Griff hatte, weil eine perfekte Gesellschaft nicht existierte.

Hoseok verdrängte die Gedanken an seine Vergangenheit. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Er stützte sich auf dem Rand des Waschbeckens ab. Er vermied es einen Blick in den Spiegel zu werfen. Er wusste, wie beschissen er zur Zeit aussah. Er sah müde aus. 

Er, als Energizer, der so wenig Energie los wurde, dass er das letzte mal vor sieben oder acht Jahren geschlafen hatte. Wozu schlafen, wenn der Energievorrat unerschöpflich war? Ab und zu setzte er sich eine Runde hin und meditierte eine Runde, um dem Gehirn ein bisschen Ruhe zu bieten und die Sache war geritzt. Müde auszusehen war also tatsächlich nicht grade normal für ihn. 

Aber die einseitige Matebindung zu Jimin machte ihn fertig. 

Hoseok hatte das nicht erwartet, als er die Perle aus seinem Mateblock gelöst hatte. Es war weniger Rebellion, als Neugier gewesen, zumindest wollte sich das Hoseok einreden, auch wenn ihm selbst klar war, dass seine Andersartigkeit ihn irgendwie traurig machte, je älter er wurde. Je mehr Landare in seiner Umgebung ihren Mate fanden, desto mehr hatte er sich gewünscht, dass er zumindest wissen dürfte, wer für ihn in Frage kam. 

Desto mehr wünschte er sich, dass auch er lieben durfte.
Er hatte wissen wollen, wie es sich anfühlt. 

Was sollte schon schief gehen? Er würde wissen, wer sein Mate ist, würde genauso nett sein, wie vorher auch und würde ihn oder sie nicht weiter damit belästigen. Sein Mate würde es ja nicht mal merken, er konnte sich daran erfreuen seinen Mate zu lieben, solange der happy war und solange der zweite Strang intakt war konnte sein Mate noch immer einen anderen passenden Partner finden und mit einem ordentlichen Mate glücklich werden, der ihn auch wirklich zufrieden stellen konnte, ohne ihn in Gefahr zu bringen. 

Der Plan war so einfach gewesen. Aber dumm. 

Hoseok hatte Gefühle völlig unterschätzt. Sie waren bei weiten nicht so leicht zu kontrollieren, wie er gedacht hatte. Nicht ansatzweise. Sein Bedürfnis Jimin anzufassen war vorher schon manchmal irritierend gewesen, doch jetzt war es einfach allgegenwärtig. Er wollte Jimin antatschen und das pausenlos. Und grade jetzt, wo er Jimins Nähe mehr denn je brauchte, zog dieser sich von ihm aus irgendeinen ihm unbegreiflichen Grund zurück. Und das tat verdammt weh. Warum zur Hölle war Liebe so schmerzhaft? Sollte sie nicht etwas Schönes sein?

Doch jede weitere Abweisung, die Hoseok durch Jimin erfuhr, zerriss ihn ein Stück mehr. 

Jeder weitere Tag füllte ihn mit Trauer. Und Wut. 

Hoseok hatte es immer für abwegig gehalten, dass ein Energizer tatsächlich derartiges "lernen" können. Er hatte davon gelesen. Doch er hatte es sich nicht vorstellen können. Landare konnten nicht hassen. Und Energizer wurden nicht mal wütend. Da war auch Hoseok keine Ausnahme gewesen.  Wut und Ärger waren ihm völlig fremd. Doch nun hatte er Jimin. Man sagte, dass Energizer es durch Mate lernen konnten Wut und Ärger zu empfinden. Sie bedienten sich bei ihrem Mate. Vielleicht sollte das einen Energizer wenigstens ein bisschen helfen sich gegen ihren Mate zu behaupten? Hoseok wusste es nicht. 

Er wusste nur sein Mate war wütend. Und allmählich war er es entgegen seiner eigenen Natur ebenfalls. 

Curare Teil IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt