(28) Abweisungen

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"Tom, das konnte niemand ahnen! Mach dir doch nicht solche Vorwürfe!"
"Doch! Ich schreie sie dauernd an, behandel sie wie ein kleines Kind.... Dabei ist sie stärker als ich dachte! Sie hat das alles in Kauf genommen, sich gequält und von allen Seiten den Druck ausgehalten, nur um uns alle zu schützen!"

Die Gespräche dringen zu mir durch und ich würde Tom gerne in den Arm nehmen und ihm sagen, dass er sich keine Schuld geben soll, aber ich bin viel zu schwach. Seine Hand liegt in meiner Hand, ich spüre es. Ich strenge mich fürchterlich an und bekomme es hin, seine Hand ganz schwach zu drücken. "Sie hat ihre Hand bewegt!" Tom ist aufgeregt. "Vielleicht war es auch nur ein Muskel, der gezuckt hat!"
"Josi, wenn du mich hörst, dann versuch es nochmal!", flüstert Tom zu mir. Diesmal schaffe ich es, meine Finger etwas zu bewegen. "Okay, das hab ich gesehen!" "Ich wusste, dass du es schaffst! Du bist eine Kämpferin! Ich bin so stolz auf dich!" Tom küsst mir auf die Stirn und danach zieht mich der Schlaf wieder in seinen Bann.

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Ich spüre wieder eine Hand in meiner Hand und irgendwas drückt auf meinen Bauch. Langsam öffne ich die Augen. Es ist dunkel draußen und ich drehe meinen Kopf zu der Person. Alex! Er hat einen Arm über meinen Bauch gelegt und sein Kopf liegt auf der Matratze. Ich taste mit meiner Hand nach seinem Arm und streichle ihn sanft.

Sein Kopf hebt sich: "Josi?" "Ja!" "Oh mein Gott, endlich!", er drückt den Arztknopf und lehnt sich über mich drüber, um mich zu umarmen. Kurz darauf wird die Türe aufgerissen und Oli kommt mit einer Schwester hereingesprungen: "Josi, endlich bist du wieder wach! Wie geht's dir?" "Ganz gut eigentlich. Ein bisschen kaputt, aber sonst gehts!" Oli führt ein paar Checks durch und scheint zufrieden. "Wann kann ich heim?", schaue ich Oli fragend an. "Ähm, wir werden jetzt nichts überstürzen! Du bist uns fast unter den Händen weggestorben, wurdest intubiert und lagst dann im kurzzeitigen Koma. Außerdem brauchst du Ruhe und davon nimmst du zuhause ja nicht viel in Anspruch!", mahnt mich Oli. "Ich lag im was?", ich schaue ungläubig zuerst zu Oli und danach zu Alex.

"Zum Glück nur zwei Tage, aber trotzdem... Das ist kein Spaß! Du brauchst Ruhe! Und das wäre auch das Stichwort für dich, Herr Hetkamp! Soweit ich mich erinnere, hast du morgen Schicht und du solltest dafür auch fit sein!" Alex' Blick wirkt unentschlossen und wandert zwischen Oli und mir umher. Oli lacht: "Das war keine Bitte, sondern eine ärztliche Anweisung, Herr Kollege. Die letzten Tage hast Du auch nicht viel Schlaf abbekommen!" Alex seufzt genervt und erhebt sich von seinem Stuhl. Er streicht mir mit seiner Hand über die Wange: "Ich komme wieder, sobald ich kann! Schön ausruhen und schlafen!"
"Dito, Herr Kollege", ein freches Grinsen kann ich mir nicht verkneifen.

Amüsiert kopfschüttelnd verabschiedet er sich und verlässt das Zimmer. Oli steht dümmlich grinsend im Raum. "Warum grinst ihr eigentlich immer alle so blöd?" "Nur so", versucht er es jetzt zu unterdrücken und checkt mich noch kurz durch. Oli ist soweit zufrieden und zieht wieder ab.

Jetzt bin ich wieder allein. Allein mit meinen Gedanken, die mich irgendwann vernichten, wenn es so weiter geht. Tom wird mich löchern.

Ich habe schon viel zu viel verraten... wenn Lukas das herausfindet... Mein Handy... Wo ist mein Handy? Scheiße, wer weiß was der Idiot in den zwei Tagen ausgeheckt hat.....Jetzt muss ich warten, bis jemand kommt, den ich beauftragen kann, mir das nächste Mal mein Handy mitzubringen.... hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät...

Seufzend ziehe ich mir die Decke bis zum Kinn hoch und schlafe ein paar Stunden.

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Die Sonnenstrahlen erhellen meine Augenlider und ich öffne meine Augen. Neben mir sitzt eine Person und ich erschrecke mich zu Tode. "Hey, ganz ruhig! Ich bins!", fasst Tom nach meiner Hand und redet beruhigend auf mich ein. "Boah, Tom! Was machst du so früh hier?" "Sorry, ich wollte vor Dienstbeginn nochmal vorbeikommen und dich sehen! Alex hat erzählt, dass du wach bist..." "Kein Ding...Ich freu mich, dass du da bist!", ich drück seine Hand und lächle ihn an. "Josi, es tut mir so leid.. Ich wusste ja nicht..." "Tom! Alles gut. Du konntest es doch nicht wissen! Ich will nur das du weißt, dass ich keinesfalls Stur oder sonstwas bin...Mann, ich lieb dich doch, du bist mein Bruder und ich will nicht, dass dir etwas passiert!"

Er sieht mich mit einem komischen Blick an. Unsicher frage ich ihn, was los ist. "Weißt du.... das ist das erste Mal seit langem, dass ich so schöne Worte von dir höre!" Toms Augen glänzen und er lächelt mich an. "Es tut mir so leid. Ich kann nicht aus meiner Haut... Ich bin nunmal so...und wenn ich wütend bin oder mir alles zu viel ist, dann schält mein Kopf einfach aus und..." "Ich weis. Aber du warst nicht immer so. In den sechs Jahren scheint viel passiert zu sein. Zu viel! Du hast dich abgekapselt und wehrst alles ab. Das bist nicht du!", er scheint traurig zu sein. "Doch, Tom, das bin ich! Genauso wie ich mich die letzten Tage verhalten habe, so bin ich nunmal!"

Warum kann er das nicht einfach verstehen? Sechs Jahre sind einfach lang....

"Weist du, Alex hat mir erzählt wie entspannt und locker…" Langsam bekomme ich das Gefühl, dass die den auf mich angesetzt haben. Macht er das alles nur um meine Seele auszuspionieren oder damit einer einen guten Draht zu mir hat? Super...Ich dachte.... Ja Josi, was dachtest du wieder? ZUVIEL, wie immer!

"Hörst du mir überhaupt noch zu?" fragt Tom. "Musst du nicht mal langsam zum Dienst?", ich muss mich tierisch zusammenreißen, nicht zu heulen oder auszuflippen. "Doch. Ich muss los. Aber was ist denn jetzt? Siehst du, das meine ich... Welcher Schalter hat sich denn jetzt wieder umgelegt?", man sieht, dass er fassungslos ist. "Ich brauche mein Handy so schnell wie möglich. Wenn du es irgendwann einrichten kannst", rede ich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. "Sobald wie möglich. Bin weg. Bis dann", mit einem tiefen Seufzer, verlässt er den Raum.

Ich bin so blöd! Wie konnte ich auch nur annähernd daran denken, dass..

Meine Gedanken werden von dem anrollenden Frühstück unterbrochen. "Guten Morgen!" Schwester Clara kommt gefühlt mit ganz viel Glitzer und Glamour in den Raum gefegt und schiebt mir das Essenstablett direkt unter die Nase. "Ich weis nicht, was an diesem Morgen gut sein soll", grummel ich ihr entgegen und drehe mich mit dem Rücken zu ihr. "Haben wir heute morgen schon so schlechte Laune?", trällert Sie vor sich hin. "Naja, sie anscheinend nicht...." "Jetzt essen wir erst einmal und dann sieht die Welt schon wieder besser aus!" Auch wieder so ein gut gelaunter Morgenmensch. Zum kotzen. "Guten Appetit. Ich hab keinen Hunger!" Auch Sie verlässt seufzend den Raum.

Hab ich mich wirklich so in Alex getäuscht? Verdammt, es hat sich so gut angefühlt neben ihm zu liegen, seinen Herzschlag zu spüren, seinen Atem zu hören.. JOSI hör auf jetzt!

Tränen kullern mir die Wange runter und ich hasse mich gerade selbst dafür. Die Wut steigt in mir auf und ich könnte aus meiner Haut fahren. Die Tür wird geöffnet und ich werde aus meinen Gedanken gerissen. "Guten Morgen, Frau Mayer. Es freut mich dass wir Sie wieder in einem wachen Zustand begrüßen dürfen! Wie geht es Ihnen?"

Ach, die Visite steht schon an und der Arzt hält es nicht für nötig, sich vorzustellen.

"Gut", ich mach mir nicht die Mühe, mich umzudrehen. "Ja, die Werte sehen sehr zufriedenstellend aus. Wenn sie vielleicht kurz ihre Aufmerksamkeit auf uns lenken würden..." "Kein Interesse", ich schließe meine Augen und blende einfach alles um mich herum aus. Das halte ich ungefähr den ganzen Tag so. Egal ob Mittagessen, Pauls Besuch, Florians Besuch oder Abendessen. Ich lass alle abblitzen. Der schwierigste Akt wird Alex' Besuch. Ich höre schon, dass er es ist, ohne meinen Blick in seine Richtung zu werfen. Er läuft auf den Stuhl neben meinem Bett zu und setzt sich. Sein Blick verrät mir, dass die Anderen ihn schon über meine beschissene Laune informiert haben. Zumindest habe ich Hoffnung auf Erlösung, da er in Dienstkleidung neben mir sitzt. "Was ist los mit dir?" Eigentlich würde ich jetzt gerne hysterisch loslachen. Ich verkneife es mir dezent. "Nichts, was soll sein?"
"Ich seh es dir schon ohne Worte an, dass etwas nicht stimmt!"

Ooooh, der Herr kann Gedanken lesen!

"Nein, alles prima", gebe ich gequält von mir. "Hey, du kannst mit mir über alles reden! Ich bin für dich da!"

Genau. Damit die Anderen und vor allem Tom über alles Bescheid wissen....

"Ich brauch niemanden, weil es auch nichts gibt, worüber es sich zu reden lohnt!" Die Stille überwiegt in diesem Raum, jedoch fühle ich mich ungewollt besser, seitdem er da ist, obwohl ich das absolut nicht will. "Ich leg dir dein Handy hierhin, Phil hat es mir vorhin mitgebracht. Iss bitte was und melde dich, wenn's dir danach ist", das sind seine letzten Worte, bevor ich die Türe wieder ins Schloss fallen höre.

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt