(56) Böses Mädchen

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Nach einem kurzen, unruhigen Schlaf öffne ich meine Augen. "Na? Wirklich gut geschlafen hast du ja nicht gerade!" Tom sitzt immer noch neben mir und wirft mir einen kritischen Blick zu. "Geht schon. Fühl mich schon besser als vorher!", als ich mich aufrichten will, hält mich Tom mit seiner Hand zurück: "Du bleibst bitte liegen! Wir rufen jetzt kurz Alex an!" "Warum denn?", ich verstehe die Welt gerade nicht mehr. "Du siehst verdammt schlecht aus. Ich will seine Meinung hören." Tom zückt nebenher sein Handy und wählt Alex' Nummer. "Übertreib doch nicht. Das wird sich schon wieder einpendeln!", mein genervtes Aufbrummen stößt auf kein Verständnis. Herr Hetkamp scheint beschäftigt zu sein, denn auch nach zwei Minuten nimmt er nicht ab.

"Wenn das nicht ein Wink des Schicksals ist. Also, kann ich jetzt aufstehen?", mein erwartungsvoller Blick ist auf Tom gerichtet, jedoch denkt er gar nicht daran seine Hand von meinem Brustbein zu nehmen und mich aufstehen zu lassen. "Ich ruf jetzt kurz bei Phil an!"

"Hi Phil, ich bin's Tom.... ist Alex unterwegs?... Okay... Nein... Ja....Keine Ahnung, sie hat total unruhig geschlafen und jetzt ist sie zwar wach, aber leichenblass .... hmmm. Danke. Bis später!" Tom legt sein Handy weg und denkt immer noch nicht daran, mich aufstehen zu lassen. "Mann, Tom, jetzt werde ich langsam echt sauer! Ich habe keinen Bock mehr! Lass mich jetzt aufstehen", mit aller Kraft, die ich habe, drücke ich seinen Arm auf die Seite und schwinge mich vom Sofa. "Josi, bitte! Ich weiß, dass du keine Lust mehr hast, dauernd rumzuliegen und zwischen Himmel und Hölle zu schweben. Aber du musst dich wirklich ausruhen!" Tom's Stimme hallt mir bis in mein Zimmer nach. Nachdem ich meine Türe zu gepfeffert habe, fange ich an, meinen Rucksack für den See-Ausflug zu packen. Es dauert nicht lange, da kommt Susi ins Zimmer geschlichen:
"Darf ich dir mit deiner miesen Laune Gesellschaft leisten?"

Mit dem Bikini, den ich ihr zuwerfe, scheint es Antwort genug zu sein. "Bist du sicher, dass wir schwimmen gehen sollten?" Susis Stimme ist sehr ruhig, da sie mich wohl nicht noch mehr reizen will. "Todsicher! Pack noch ein, was du brauchst, ich will jetzt so schnell wie möglich hier weg!” Eigentlich kann Tom nichts dafür, aber es macht mich so wütend, dass er mich schon wieder ausbremsen will.

Wir ziehen uns auf schnellstem Wege um, schnappen uns den Rucksack und stampfen die Treppen runter. "Hast du dein Handy dabei? Meins liegt im Wohnzimmer und wenn ich jetzt da reinlaufe, kommen wir garantiert nicht mehr weg!" Susi nickt mir zu und steht schon an der Haustüre, mit einer Hand an der Klinke und bereit zur Flucht.
"WIR SIND DANN WEG. CIAO",
ich warte gar keine Antwort ab und stürme mit Susi aus dem Haus.

"Du weißt, dass sie dich töten werden?" Susi's leicht besorgter Blick liegt auf mir, jedoch kümmert mich das momentan nicht. "Ich werde es erst morgen mit denen aufnehmen müssen, von daher genießen wir jetzt einfach unseren Tag!", fest entschlossen drehe ich das Radio lauter und muss bei dem passenden Song "abcdefu von Gayle" laut auflachen. "Ach nein, wie passend! Hahahaha" Susi scheint sich jetzt auf den Fuck-you-Modus einzulassen und wir singen beide lauthals gröhlend mit.

An unserem Zielort angekommen, breiten wir unsere Handtücher aus, entfernen unsere Klamotten und legen uns erst einmal in die Sonne, um die Wärme in unserem Körper aufzunehmen. Nach nicht allzu langer Zeit klingelt Susis Handy auch schon. "Wow, die haben sich länger Zeit gelassen als gedacht! Wer ist es?", neugierig werfe ich einen Blick auf das Display und sehe, dass es Phil ist. "Ich mach den Lautsprecher rein. Sag aber nichts! Dann musst du auch nicht diskutieren!" Susi nimmt den Anruf an und legt das Handy vor sich auf den Boden:

Susi: "Hi Phil. Na, alles gut bei dir?"
Phil: "Hi Susi. Ja natürlich. Was ist denn bei Josi und Tom schon wieder los? Kannst du mir das mal verraten?"
Susi: "Was bei Tom los ist, weiß ich nicht. Josi planscht gerade da hinten voller Freude im Wasser."
Phil: "Wo seid ihr denn?"
Susi: "An irgendeinem See. Kein Plan wie der nochmal heißt. Was machst du gerade?"
Phil: "Hahaha. Versuchst du gerade vom Thema abzulenken?"
Susi: "Ich? Neee, von was für einem Thema? Wollte doch nur wissen, was du machst!"
Phil: "Ich hole mir kurz was zum Essen, solange es ruhig ist. Bin halb am verhungern. Sollen wir zwei morgen abend irgendwas unternehmen?"
Susi: "Ja, gerne. Was schlägst du vor?"
Phil: "Hmmm... Ich überlege mir was, okay?"
Susi: "Ja, dann lass ich mich überraschen. Ich freue mich schon drauf!"
Phil: "Ich mich auch. Achso, sag mal, hat Josi ihr Handy nicht dabei?"
Susi: "Ne, das haben wir vergessen. Wenn was ist, müsst ihr euch bei mir melden".
Phil: "Da wird nachher einer Laune haben! Pass bitte auf Josi auf, nicht dass sie noch absäuft. Ist sie gerade wirklich nicht in der Nähe?"

Susi schaut mich an und ich schüttle mit dem Kopf.

Susi: "Nein, die ist immer noch im Wasser!"
Phil: "Das Problem, warum gerade alle so durchdrehen, ist, dass Alex bei Josi ein Herzklappenproblem vermutet. Er wird morgen mit ihr reden. Mach dich jetzt nicht verrückt, aber vielleicht verstehst du jetzt die Sorgen von uns allen und warum Tom und Alex so aggro sind, wenn sie sich nicht ausruht!"
Susi: "Ja, aber das muss er ihr doch sagen und kann das nicht so lange vor ihr verheimlichen!"
Phil: "Wir haben darüber erst gestern Abend gesprochen und die Situation heute morgen hat das Erscheinungsbild nicht gerade sonderlich begünstigt!"
Susi: *Atmet stocken aus*
"Aber es kann sein, dass er sich irrt, oder?"
Phil: "Kann schon sein, ja... "
Susi: "Das hätte man doch im Krankenhaus feststellen müssen, verdammt Phil, das kann doch nicht wahr sein!"

Mir laufen nebenher Tränen die Wangen runter, weil ich automatisch weiß was dies bedeuten kann.
▪︎körperliche Anstrengungen meiden
▪︎Einnahme von Medikamenten wie Diuretika (Entwässerung), Blutgerinnungshemmer
▪︎Im schlimmsten Fall Herzklappe austauschen.
Meinen Job könnte ich somit an den Nagel hängen...

"Josi, hör auf zu weinen. Du hast doch gehört, dass er sich irren kann!", versucht mich meine Freundin zu beruhigen.

Phil: "SUSI! SAG JETZT NICHT, DASS SIE ES GEHÖRT HAT!"

Susi ist so perplex, dass sie einfach das Gespräch beendet.

"Scheiße, es tut mir leid. Ich hätte sagen sollen, dass du neben mir sitzt. Shit... komm her!" Susi zieht mich in eine Umarmung und versucht mich zu trösten. Das sie sich jetzt schuldig fühlt, ist für mich viel schlimmer, als die eventuelle Tatsache, die mir bevorsteht. "Scheiß drauf. Wenn es so ist, dann ist es so! Hätte Phil jetzt nichts gesagt, wüsste ich jetzt nichts. Lass uns schwimmen!", damit Susi ohne Widerstand mitkommt, stehe ich auf und laufe zu dem kühlen Nass.
"Josi, mach langsam... nicht das dir dein...", sie unterbricht ihren Satz, worauf ich ihn gekonnt, ironisch lachend ergänze: "... Herz stehen bleibt? Dann ist das halt so!" Mit einem Sprung tauche ich in den wirklich arschkalten See und genieße die erfrischende Abkühlung, während Susi sich Zeh für Zeh voran tastet. "Jetzt komm schon! Du alte Memme!"

Etwas, was ich schon immer gut konnte, ist verdrängen. Verdrängen und glauben, dass die Welt in mir und um mich herum mehr als in Ordnung ist. Niemand kann mich davon abhalten! Absolut niemand! Außer ich werde umarmt, dann kann ich meine Gefühle nicht mehr zurückhalten. Aber ich habe im Laufe meines Lebens gelernt, wie man sich erfolgreich diese Menschen vom Hals hält. Bei Alex und Tom könnte es allerdings sehr schwer werden!

"Mach langsam Josi. Du solltest dich vielleicht nicht zu sehr anstrengen!", dieser Satz von Susi bringt mich schon fast zur Weißglut. "Mann, Susi. Stell dich nicht an! Mir geht es gut! Alex irrt sich bestimmt, er ist auch nur ein Mensch." Das ich ihr die Angst dadurch nicht nehme ist mir klar, aber vielleicht kann ich sie ein klein wenig von ihrem Überwachungs Trip runter bringen.

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt