(106) Melissa

1.5K 67 21
                                    

“Nichts schlimmes! Jetzt komm schon, ich will gehen!", ich strecke ihm meine Hand entgegen, die er annimmt, mich aber schwungvoll neben sich auf die Matratze zieht. "Sag mir bitte, was dir die Ernährungsberatung erzählt hat!" Sein Blick ist Ernst und scheint keine Widerrede gelten zu lassen. "Na, dass ich halt viel Fisch und Gemüse essen soll und mit dem Zucker aufpassen muss. Sport sollte ich auch ein bisschen machen!" Ich erzähle ihm einen Teil von dem, was sie mehr oder weniger wortwörtlich von sich gegeben hat. Er glaubt mir nicht ganz. Das kann ich in seinem Blick ablesen. "Lass dich bitte nicht verrückt machen! Denk daran, dass du eh schon zu wenig Gewicht hast und du auch gleich zwei Kinder im Bauch versorgen musst. Mit Sport solltest du es jetzt auch nicht übertreiben, da du vorher auch kaum etwas gemacht hast. Josi, wirklich, die Frau redet nur von Beispielen und welche Faktoren da genau eingewirkt haben, weiß kein Mensch. Mach dir nicht so viele Gedanken, okay?" Er dreht mein Kinn zu sich und gibt mir einen Kuss.

"Okay!", ich nicke ihm zu, jedoch schwirren mit tausend Gedanken um das zurückliegende Gespräch durch den Kopf. Alex unterbricht meine Gedanken und zeigt mit dem Finger auf das Bettlaken: "Was ist hier eigentlich passiert?" Mein Blick folgt seinem Finger, der ein paar Krümel der Brezeln, der Laugenstange, des Schokohörnchen und der Erdnussflips im Kreis herum schiebt. "Pffffff. Weiß auch nicht so genau!" Ich versuche einen unwissenden Blick aufzulegen, doch als Alex' Mundwinkel zucken, muss ich mein Gesicht wegdrehen, da meine Gesichtszüge sich nicht wirklich in einem neutralen Zustand halten können. "Soweit ich weiß, hat Frau Mayer nur Suppe, Joghurt und Tee bekommen!" Alex schiebt sein Mund direkt vor mein Ohr, damit ich auf jeden Fall verstehe, was er sagt. "Tja, Stephan war gestern noch hier und der hat eben noch was gegessen, da er direkt vom Dienst kam!" "Und du willst mir jetzt sagen, dass er ALLEINE, neben einer hungernden Frau, lauter Backwaren vernichtet hat?" Er dreht meinen Kopf, mit seinen Finger an meinem Kinn, zu sich, damit ich ihm direkt in die Augen schauen muss. "N-Natürlich. Stephan ist doch nicht so verantwortungslos und würde sich ärztlichen Anweisungen widersetzen!"
"Warum liegen die Krümel dann direkt in deinem Bett?" Der Typ lässt einfach nicht locker. "Er saß ja neben mir im Bett, weil er so müde war und ich gesagt habe, dass er sich ein bisschen hinlegen kann. So hat er dann die ganzen Krümel verteilt." Ich bin mit meiner Erklärung mehr als zufrieden und Alex scheint es vorerst auch so hinzunehmen. "Also gut, dann lass uns endlich abhauen!" Er schnappt sich meine Hand und zieht mich hinaus auf den Flur. Händchenhaltend laufen wir durch die Flure, bis wir am Empfang ankommen und ich meine Entlassungspapiere noch unterschreiben muss.

"Hey Alex! Schön, dass ich dich treffe. Mein herzliches Beileid, wegen der Schwangeren, haha. Die hat dich ja ganz schön auf Trab gehalten!" Eine Ärztin, ungefähr in Alex' Alter, steht nur einige Zentimeter vor der Nase meines Freundes. Bei ihren Worten wird mir auf einmal ganz anders und ich frage mich, ob die jetzt über mich reden oder über eine Patientin. "Danke. Ja, das hat mich einige Nerven gekostet. Aber was bleibt mir anderes übrig? Da muss ich durch!" Alex stützt sich locker mit seinem Ellenbogen auf dem Tresen ab, während mir fast die Augen aus dem Kopf fallen. Die, leider ziemlich attraktive Ärztin, streicht Alex über den Oberarm: "Ich finde, wir sollten mal was essen gehen und uns ein bisschen austauschen. Wir können auch noch ein paar Kollegen mitnehmen, dann wird es spaßiger".

Der Kugelschreiber in meiner Hand, muss leider unter dem starken Druck meines Daumens leiden und bricht nach einigen Sekunden an der Schraubstelle auseinander. "Ups, sorry... der ist wohl hinüber", ich werfe einen entschuldigenden Blick auf die Dame hinter den Tresen, worauf diese nur abwinkt: "Ach, das sind solche Billig Dinger. Die brechen doch schon beim alleinigen Anblick auseinander. Das ist nicht schlimm!" Der Kugelschreiber landet mit einem dumpfen Geklacker im Mülleimer unter dem Tisch.

"Ja klar. Wird bestimmt lustig. Du hast ja meine Nummer, dann melde dich einfach, wenn es dir und dem Rest passt." Alex’ breites Grinsen ist fast nicht zu übersehen.

Soso, sie hat also deine Nummer. Ist ja interessant!

Ich nehme die blöde Tussi genau unter die Lupe:
Punkt 1: Ärztin.
Punkt 2: blonde lange Haare, die zu einer aufwändigen Frisur drapiert wurden. Wahrscheinlich hat die Gute zu viel Zeit.
Punkt 3: Titten so groß wie Melonen.
Punkt 4: schlanker Körper.
Punkt 5: genau so groß wie Alex.
Punkt 6: freudige, offene Ausstrahlung.
Punkt 7: volle Lippen, lange Wimpern, makellose Haut, mandelförmige Augen.

Ganz andere Liga, Josi. Dagegen bist du ein Bauerntrampel der Extraklasse.

Ich will jetzt nicht sagen, dass ich eifersüchtig bin… Allerdings hätte ich nichts dagegen, wenn sie morgen ihren Job kündigt und ins Ausland zieht.

"SCHATZ, wir sollten los, deine KINDER haben Hunger!", mit einem übertrieben freundlichen Lächeln stelle ich mich an die Seite meines Freundes und ergreife seine Hand. Die Frau Ärztin mustert mich von oben bis unten, wirft mir ein kurzes Lächeln zu und wendet sich dann an Alex: "Seit wann hast du Kinder?" "Bis jetzt sind sie noch da drin, dauert noch ein bisschen!" Alex streicht mir über den Bauch und ich kann es mir nur mit größter Mühe verkneifen, der ollen Tussi die Zunge rauszustrecken. Sie zieht nur eine Augenbraue nach oben und folgt Alex' Hand. "Achso, Melissa, das ist Josi, meine Freundin. Josi, das ist Melissa, eine ziemlich engagierte Kollegin".

Engagiert in Männer anbaggern oder was?

Gezwungenermaßen strecke ich ihr die Hand entgegen, die sie anscheinend nur ungern entgegennimmt: "Freut mich!" "Ebenfalls. Naja, die Pflicht ruft. Alex, ich melde mich bei dir! Tschüss!"

Bäm! Faustschlag mitten ins Gesicht.

Mit wehendem Kittel zieht sie ab und sorgt dafür, dass die Worte der Ernährungsberaterin in meinem Kopf wieder präsent werden.

Super. Jetzt musst du dich ins Zeug legen und dafür sorgen, dass die Tussi dir deinen Freund nicht ausspannt. Sport und gesunde Ernährung stehen jetzt ganz oben auf deiner Liste! Kann ich Melissa überhaupt das Wasser reichen?

Eine fuchtelnde Hand vor meinen Augen, reißt mich aus meinen Gedanken: "Alles okay bei dir?" "Ja, sicher doch. Gehen wir nach Hause!", ich atme schwer auf und ziehe Alex hinter mir her, bis wir vor seinem Auto stehen. "Wo sollen wir was essen gehen?" Alex setzt sich schon ins Auto, während ich irgendwie mit meinen Gefühlen klarkommen muss und versuche, die Wut über Melissa runter zu schlucken. Ich öffne die Autotüre und setz mich neben ihn:
"Eigentlich habe ich gerade gar keinen Hunger mehr!" Ein kritischer Blick wird mir zugeworfen. "Übelkeit bahnt sich an!", winke ich ihm ab und lehne meinen Kopf gegen die Autoscheibe.
"Okay, das sollten wir vielleicht nicht herausfordern. Dann fahren wir jetzt heim und du legst dich ein bisschen hin!" Alex startet den Motor und fährt uns direkt nach Hause.

In der WG angekommen, sind fast alle versammelt, was mich prompt die Augen verdrehen lässt. "Muss kurz ins Bad!" "Wirklich alles okay?" Alex' Blicken nach zu urteilen, sollte ich versuchen, meine schlechte Laune besser zu verstecken. "Jaha. Muss nur pinkeln!", mürrisch ziehe ich ab und verschanze mich im Badezimmer.

Mach dir doch jetzt nicht so einen Kopf! Alex wird dich und die Kinder niemals verlassen. Nicht für so eine attraktive, gutaussehende Ärztin, die ihren Körper konstant auf Modelmaße halten kann.

Ich gleite rückwärts an der Tür herunter und lasse mich auf meinen Hintern fallen. Mein Hinterkopf schlägt gegen das Holz der Türe und ich frage mich, ob das alles wirklich Wahr sein kann.

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt