(80) Altes "Ich" in die Tonne

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Wie nicht anders zu erwarten war, öffnet Tom die Türe und als er seine beiden Kollegen hinter mir stehen sieht, fallen ihm seine Gesichtszüge mindestens bis in den Keller runter. Dieser "Was hat sie jetzt schon wieder angestellt"-Blick versetzt mir einen kleinen Stich ins Herz. "Hey, Tom. Guck nicht so! Deine Schwester hat nichts angestellt. Sie hat einer Frau bei der Suche ihres Kindes geholfen und anschließend bei der Bekämpfung einer Panikattacke geholfen. Wir wollten sie jetzt nur nicht so alleine nach Hause gehen lassen!" Robin streicht mir aufmunternd über meine Schulter, während er meinem Bruder erläutert, was passiert ist. "Du schaffst es einfach nicht, einen normalen Spaziergang hinzubekommen, oder?", seine Anklage ist schon etwas unfair, da ich ja wirklich nichts für diesen Zufall konnte.

"Wollt ihr was trinken, einen Kaffee oder so?", auf Tom's Einladung verzichten die beiden Polizisten, da sie noch weiter in die KaS müssen. "Danke, Jungs. Man sieht sich. Hoffentlich auch mal im Normalzustand!", ich winke den beiden zu, drücke mich an Tom vorbei und lass mich im Wohnzimmer direkt auf das Sofa fallen. Ich sollte mich vielleicht mehr dem Temperament meines Bruders anpassen. Bei ihm ist immer alles so unkompliziert, er hat nie Ärger oder Streit mit irgendjemanden, viele Bekannte und Freunde.

Okay, Josi.... Nächste Mission: Kick deine Persönlichkeit in die Tonne und werde wie dein Bruder! Muss ja irgendwie möglich sein, durch unsere Adern fließt schließlich dasselbe Blut.

Da ich mich kopf technisch auf meinen neuen Plan einstellen muss, lege ich mich aufs Sofa und simuliere ein kleines Schläfchen. Somit werde ich garantiert in Ruhe gelassen. "Josi, wo bist du denn jetzt schon wieder? Das war eben nicht so gemeint...oh!" Tom scheint bei meinem Anblick zu verstummen und schleicht sich um das Sofa herum.

Was macht er denn jetzt?

Plötzlich hantiert er mir an meinen Füßen herum und zieht mir meine Schuhe, die ich ausversehen angelassen habe, aus. Draußen von der Terrasse kommt eine weitere Person ins Wohnzimmer: "Alles okay bei ihr?"

Aha, Phil.

"Ich hoffe. Sie hat bei der Suche nach einem Kind mitgeholfen und eine Frau durch eine Panikattacke begleitet. Anscheinend hat sie das total platt gemacht!" Tom zieht nebenher eine Decke über meinen Körper und streicht mir kurz über die Wange. "Ihre Gesichtsfarbe lässt auf jeden Fall zu wünschen übrig. Nimm die Decke da wieder weg! Es ist warm genug..." Phil kniet sich neben das Sofa und fühlt nach meinem Puls. "Josi hat sonst immer eine Decke über sich und wenn es dreißig Grad draußen hat!", sein Argument stimmt schon, ich brauche irgendetwas Kuscheliges an mir wenn ich auf dem Sofa liege. "SONST ist sie aber nicht schwanger gewesen. Nachher geht sie uns noch vor lauter Hitze ein. Komm mit raus, wir gönnen ihr die Ruhe!" Phil scheint zufrieden zu sein, denn er lässt mein Handgelenk los und verschwindet mit Tom in den Garten.

So! Was würde Tom jetzt tun? Wie wäre es, wenn du Abendessen machst?

Ich setze meinen Plan in die Tat um und begebe mich in die Küche. Da ich mir noch nicht sicher bin, was ich den Herrschaften auftischen soll, öffne ich den Kühlschrank und krame mich durch die Lebensmittel. Meine Wahl fällt auf Wurstsalat, da das bei dieser Hitze nicht so sehr auf den Magen schlägt.

Was mir allerdings auf den Magen schlägt, ist der Geruch der Wurst. Ich versuche so wenig wie möglich zu atmen, da sich dieser ekelhafte Geruch konstant durch mein Riechorgan frisst. Die Zwiebel lässt mich komischerweise wieder aufatmen und ich überlege mir, ob ich mir nicht eine dieser Stinkbomben vor die Nase binden soll.

Nachdem alles fertig zubereitet ist, stelle ich den Wurstsalat mit Tellern und Besteck auf ein Tablett und schleppe alles nach draußen: "Ich hoffe, ihr habt Hunger!" Die blöden Gesichter verschaffen mir ein gutes Gefühl und während ich belehrt werde, dass ich nicht mehr so schwer tragen sollte, verkneife ich mir meine üblichen Kommentare und antworte ganz lieb und nett: "Tut mir leid, darüber habe ich nicht richtig nachgedacht. Ich gelobe Besserung!"

Sie sind erstaunt über die "neue" Josi… Hoffentlich halte ich das auch bis an mein Lebensende durch!

"Ihr entschuldigt mich.... Ich muss mit meinem Freund ein Gespräch führen!", die Magensäure hängt schon am hinteren Zahnansatz und fordert ihre Freiheit. "Ist Alex schon wieder da?" Tom wirft einen irritierten Blick Richtung Terrassentüre. "Ne, mein Neuer...", weiter komme ich nicht, denn meine Hand muss den vorhersehbaren Unfall unterdrücken. Meine Füße schlagen sofort den Weg Richtung Badezimmer ein, in dem ich ein einseitiges Gespräch mit der Kloschüssel führe. "Josi, ist alles okay?", mein Bruder klopft an der Türe. "Ja, ich kotze nur. Wird schon wieder. Jetzt geh essen und lass es dir schmecken", schon alleine bei dem Gedanken an den Wurstsalat würgt es mich schon wieder.

Nach gut fünfundvierzig Minuten kann ich mich wieder zusammenreißen und schlage den Weg in die Küche ein. Phil steht vor der Spülmaschine und räumt das schmutzige Geschirr ein:
"Na, Gespräch beendet?" "Ja. Sehr ungesprächig der Gute. Hatte nicht viele Worte für mich übrig!", ich mache mir nebenher ein Butterbrot, da das gerade das einzige zu sein scheint, was mich nicht zum Würgen bringt. Phil beobachtet mich etwas verdutzt, als ich mich mit dem Brot an den Tisch setze und es genüsslich esse. "Ich kann die Wurst gerade nicht ab!", schulterzuckend kaue ich weiter auf meinem Brot herum. "Du kannst Wurst nicht ab und machst uns einen Wurstsalat?" "Ja... ihr könnt es doch essen...!", ich lächle ihm gequält entgegen und überlege, was Tom als nächstes tun würde.

Gesellschaft suchen!

Phil beobachtet mich noch etwas und wartet bis ich mit essen fertig bin. Anschließend folge ich ihm nach draußen, worauf ich einen kurzen Stop am Wohnzimmerschrank einlege, um das Spiel Kniffel mit raus zu nehmen. "Wer hat Lust?" Ich platziere mich dicht an Tom und warte auf Antworten.
Letztendlich spielen Stephan, Phil, Tom und ich mehrere Runden hintereinander. Nebenher versuche ich mich in die verschiedenen Gespräche einzuklinken und gebe einfach mein Bestes, mein altes "Ich" zu verdrängen. Dass diese Aktion "werde wie dein Bruder" so anstrengend ist und eigentlich so gar nicht meiner Natur entspricht, hätte mir auch mal vorher bewusst werden können. Nach dem Spiel verräume ich dieses wieder vorbildlich im Wohnzimmer und kehre mit einer Wasserkaraffe und einigen Gläsern zurück zu den Männern. Stephan beäugt mich ziemlich kritisch: "Warst du heute zu lange in der Sonne? Du bist irgendwie nicht du selbst!"

Aha, es zeigt Wirkung!

"Nö, alles prima!" Ich drücke mich an Toms Seite und lege seinen Arm um mich. Tom nimmt das stillschweigend, aber mit einem Lächeln auf den Lippen hin und drückt mich ein bisschen fester an sich. Da ich total erledigt bin, von diesem Persönlichkeitswechsel und vermutlich auch von diesen Hormonschüben, schließe ich meine Augen und döse etwas vor mich hin.

"Hey!", meine Ohren vernehmen Alex' Stimme, leider bin ich gerade viel zu müde, um auf ihn zu reagieren. "War bei Josi noch alles gut? Sie war ziemlich fertig nach der Aktion heute Mittag!" Mein Freund setzt sich neben mich und schnappt sich meine Hand.
"Soweit schon. Allerdings hat sie sich heute wirklich komisch verhalten. Nicht im negativen Sinne, aber sie war nicht sie selbst!" Stephan spricht hier wohl für alle Anwesenden, denn die anderen stimmen ihm zu. "Vielleicht war sie einfach nur geschafft. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus!"

Das glaubst auch nur du, Herr Hetkamp!

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt