(50) Erinnerungsfoto

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Auf der Rückfahrt schneide ich jetzt endlich das Thema Phil an: "Sag mal, läuft da was bei euch? Also bei dir und Phil?" Susi weitet etwas die Augen und wirft mir einen fragenden Blick zu: "Ähm, wie kommst du jetzt da drauf?"

Kein JA, aber auch kein NEIN!

"Naja... ihr seid euch so ziemlich auf die Pelle gerückt und ich weiß ja, dass du auf ihn abfährst!" "Wir haben wirklich oft, also sehr oft telefoniert und es kommt mir vor, wie wenn ich ihn schon ewig kenne. Aber das bringt nichts, mit dieser Entfernung, verstehst du?" Ihr gequälter Gesichtsausdruck zeigt, dass da wohl doch schon mehr Gefühle im Spiel sind, als sie zugibt. "Du tust gerade so, als wenn uns acht Stunden trennen würden! Probiert es doch mal aus. Wenn es schief geht, dann ist es eben so!", ich sehe kein großes Problem daran, es nicht wenigstens zu versuchen. "Wenn es aber nicht klappt, ist das jedesmal blöd wenn ich dich besuche und ich Phil dann über den Weg laufe....", sie seufzt laut auf und starrt aus dem Fenster. "Du denkst jetzt schon über das Ende nach, obwohl ihr noch nicht mal wirklich was miteinander gehabt habt? Ihr seid doch beides erwachsene Menschen und wenn das nicht klappen sollte, könntet ihr euch bestimmt irgendwie arrangieren. Lass es doch einfach auf dich zukommen. Vielleicht passt es ja auch so oder so nicht, weil er nicht küssen kann oder was weiß ich!" "Meinst du?", ihr Blick richtet sich wieder auf mich. "Keine Ahnung. Ich hab ihn bisher nicht geküsst, um sein Können zu testen!" "Das meine ich doch gar nicht, du doofe Kuh. Hahahaha. Ich meine das mit dem 'auf mich zukommen lassen'", sie schüttelt augenverdrehend den Kopf, worauf ich mir denke, dass mir das hätte klar sein können. "Sorry, ich muss mich nebenher noch auf die Straße konzentrieren, da funktioniert mein Kopf eben nicht immer richtig! Ja, das meine ich. Probiere es doch, wenn ihr das beide wollt. Du kannst dich ja heute Nacht in seinem Bett suhlen und dir die volle Dröhnung Phil-Geruch reinziehen. Hahaha", der Schlag gegen meine Schulter deutet mir, dass sie das nicht machen wird. "Kommt ja gar nicht komisch... Außerdem denken Tom und Stephan dann auch, dass ich total bekloppt bin!" "Macht das einen großen Unterschied zu jetzt? Hahaha", ich grinse ihr ins Gesicht und sehe erst im letzten Augenblick, dass die Ampel vor mir Rot ist.

Der Blitzer macht ein wunderschönes Foto von unserem langersehnten Treffen und ich ärgere mich grün und blau, da ich mich nicht mal mehr mit einer Vollbremsung hätte retten können. "Ups!" Susi's Kommentar drückt nicht ansatzweise das aus, was ich gerade am liebsten durchs Auto schreien würde. "Oh Mann. Wetten, ich hab den Lappen für mindestens vier Wochen weg?!" "Joa... bei deinem Glück schon!" Die restliche Fahrt über schweigen wir uns an.

Zuhause angekommen, laden wir den Süßkram und zwei der sechs Sektflaschen aus. Wir bringen alles in die Küche und stopfen den Sekt in den Kühlschrank. "Was habt ihr denn vor? Habt ihr der restlichen Menschheit wenigstens noch etwas Süßkram übrig gelassen?", auf Tom's Belustigung gehe ich jetzt mal nicht ein, da ich mich immer noch über mich selbst ärgere. "Das ist doch nur zur Auswahl. Wir werden das nicht alles essen, vielleicht so achtzig Prozent hahaha", wenigstens hat Susi ihren Humor nicht verloren und unterhält sich mit Tom, damit ich in Ruhe bockig sein kann.

"Wann müsst ihr los, Tom?", ich setze mich, genauso wie Susi, an den Tisch zu Tom und Stephan. "Um achtzehn Uhr ist Schichtbeginn. Kannst du es nicht erwarten, uns loszuwerden?" "Ich wollte es nur wissen, da wir dann ja zusammen Mittagessen können. Nicht mehr und nicht weniger!", mein scharfer Blick zieht an ihm vorbei und ich stütze meinen Kopf mit meiner Hand ab. "Was ist denn los? Ist irgendwas passiert?" Tom legt seinen Kopf leicht schief und mustert mich mit zusammengezogenen Augenbrauen.
"Nich so wichtig”, da ich momentan nicht noch eine Predigt zu meinem Selbsthass gebrauchen kann, will ich das Thema eigentlich umgehen. "Wenn du so bockig bist, dann bestimmt...Jetzt sag schon!" Auch Stephan ist jetzt neugierig geworden. "Ich bekomme bald ein wundervolles Foto zugeschickt. Reicht das?", mein fragender Blick fällt auf die beiden Männer, denen das anscheinend nicht zu reichen scheint: "Bist du zu schnell gefahren?" "Vermutlich auch. Weiß nicht genau", ich will eigentlich aus dieser Situation flüchten, werde aber von Tom am Arm festgehalten: "Jetzt renn doch nicht gleich wieder weg! Erzähl schon." Resignierend lasse ich mich wieder auf den Stuhl fallen und kratze mit verschämt im Nacken herum: "Ich bin über eine rote Ampel drüber gebrettert, okay?!" "Och neeee. Josi! Warum das denn?" Toms Reaktion war mir sowas von klar, daher will ich ihn einfach ein bisschen ärgern: "Na, ich wollte mal ausprobieren, wie sich das anfühlt. Der Adrenalinspiegel steigt da wirklich schnell an!" "Das ist nicht witzig! Da hätte sonst etwas passieren können!", diesmal scheint Stephan etwas angesäuert zu sein, was ich ihm nicht wirklich verübeln kann. "Sorry. Ich habe gerade mit Susi geredet und nicht auf die Straße geachtet. Als ich wieder nach vorne geschaut habe, hat es nicht mal mehr für eine Vollbremsung gereicht!" "Jetzt ist es schon passiert und man kann es nicht mehr ändern. Ihr könnt euch doch nochmal aufregen, wenn die Post die Hiobsbotschaft bringt!" Susi setzt den Diskussionen damit vorerst ein Ende, aber ich weiß ganz genau, dass zumindest einer der Polizisten nochmal darauf rumhacken wird!

"Komm, wir bringen deinen Koffer hoch!", mit einem auffordernden Blick animiere ich Susi, mir zu folgen. Während wir zu zweit den Koffer hochschleppen, frage ich mich wirklich, für wie lange sie gepackt hat.
"Schläfst du bei mir oder willst du ins Gästezimmer?" "Na wenn ich darf, komme ich zu dir!", ihr breites Grinsen zaubert mir ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen. "Sonst hätte ich doch nicht gefragt!" Wir steuern auf mein Zimmer zu und knallen ihren Koffer in die Ecke. Eigentlich würde ich schon gerne in Alex' Bett schlafen, aber vielleicht hilft es, wenn ich mir sein Kopfkissen ausleihe.

"Hältst du dich hier eigentlich auch auf?" Susi fällt bestimmt auf, dass dieses Zimmer für meine Verhältnisse viel zu ordentlich ist. "Ne... Eigentlich gar nicht mehr. Ich bin immer bei Alex drüben!", schulterzuckend setze ich mich auf mein Bett und deute Susi sich neben mich zu setzen. "Susi, es tut mir wirklich leid, wie das alles gelaufen ist! Ich weis, ich wiederhole mich... aber... Ich kann es selbst kaum fassen, dass ich unsere Freundschaft aufs Spiel gesetzt habe. Wenn ich daran denke, das ich dich fast für immer verloren hätte...", mir steigen wieder Tränen in die Augen, während ich kurz innehalten muss, da ich kein Wort mehr über die Lippen bekomme. "Josi, verdammt hör auf! Ich hab dir schonmal gesagt, dass das Thema erledigt ist. Du konntest doch nichts dafür! Mensch, dieser Typ hat dich vollkommen eingeschüchtert und wenn man sieht, was er alles durchgezogen hat, hätte ich bestimmt nicht anders reagiert! Hör endlich auf, dir deswegen Gedanken zu machen. Das Wichtigste ist, dass es dir wieder gut geht und wir wieder vereint sind, okay?" Susi zieht mich in eine Umarmung, die ich sofort erwidere. Nichtsdestotrotz kann ich nicht aufhören zu heulen.

Dass sich das alles so stark in meinem Unterbewusstsein verankert hat, habe ich gar nicht bemerkt. Umso besser geht es mir jetzt, das alles rauszulassen und mit Susi darüber zu reden.

"Willst du mir noch ein bisschen davon erzählen? So aus deiner Sicht? Ich kenne ja nur Phil's Version.." Susi ist wirklich interessiert und deshalb erzähle ich ihr das Geschehene aus meiner Sicht, damit sie vielleicht alles ein bisschen besser versteht.

Mir tut es ebenfalls gut, alles richtig loszuwerden. Mit wem habe ich großartig darüber gesprochen? Ich habe nur die Aussage bei der Polizei gemacht, aber nie über meine damit verbundenen Gefühle und die entstandenen Ängste geredet. Ich hätte genug Menschen um mich herum gehabt, die ein offenes Ohr haben. Jetzt mit Susi fühlt sich das aber verdammt richtig und mehr als befreiend an. Sie versteht mich. Sie kann meine Gefühle nachvollziehen, da sie mich bis ins kleinste Detail kennt. Was hätte ich nur ohne sie gemacht?

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt