(115) Heimweg

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"Hier, nehmt mein Auto. Ihr passt zwar nicht alle rein, aber wenigstens könnt ihr den versoffenen Vogel anständig nach Hause bringen. Mit dem zu Laufen, würde bestimmt eine halbe Weltreise darstellen." Oli drückt mir seinen Schlüssel in die Hand und klopft mir aufmunternd auf die Schulter. "Danke, Oli. Hast was Gut!", ich grinse ihm leicht entgegen, worauf dieser nur mit dem Kopf schüttelt: "Das mache ich dann mit dem Herrn Hetkamp aus, das ist ja schließlich auf seinem Mist gewachsen. Jetzt bringt ihn heim, sonst tobt der noch irgendwann richtig, wenn er dich nicht bald in seine Arme schließen kann!"

Seufzend laufe ich zu Alex, der da in der Mitte von Tom und Stephan steht und fast schon wieder schläft. "Hey Schatz. Wir fahren jetzt nach Hause und dann kannst du schlafen, okay?", meine Hand gleitet durch seine Haare, worauf er seinen Kopf etwas anhebt und mir einen traurigen Blick zuwirft:
"Ich will zu dir!" "Gleich, Alex. Ich kann dich nicht rausschleppen, sonst kippen wir nur wieder um. Denk an deine Kinder, das tut ihnen nicht gut!", ich drücke ihm einen kleinen Kuss auf und will mich gerade umdrehen um loszulaufen, da fängt der Herr an, im Überfluss zu reden: "Wo sind die Kinder? Sind die schon im Bett? Wir müssen nach Hause. Die dürfen nicht alleine sein...Wenn da was passiert und wir sind nicht da..."

Ich schüttel einfach nur mit meinem Kopf und winke den Rest von uns hinter mir her.

Herr Mayer und Herr Sindera ziehen Alex mehr über den Boden, als dass er läuft. Das einzige, was sich nonstop bewegt, ist sein Mund und da kommt ausschließlich nur Müll dabei raus.

Vor Oli's Auto angekommen, überlegen wir, wie wir uns aufteilen.
Da Alex nonstop rumjammert, dass er endlich zu mir will, gebe ich kund, dass ich mit ihm auf die Rückbank sitze, was Tom nicht in den Kram passt, da Alex seine Kräfte gerade nicht einschätzen kann. "Tom, wenn ich nicht neben ihm sitze, dann dreht er nur durch. Also, nehmen wir etwas Gas raus und ich sitze mit ihm hinten!", auf meine Worte hin nickt Alex wie ein Verrückter, worauf ich kurz lachen muss. Der Rest beschließt, dass Tom fährt, Susi auf dem Beifahrersitz Platz nimmt und Paul zusammen mit Stephan zurückläuft.

Nachdem ich auf der Rückbank sitze, springt Alex schon fast von alleine quer über die Sitzbank und drückt mich in eine feste Umarmung, die mir fast die Luft nimmt: "Alex, bitte nicht so fest!" Stephan öffnet die Türe neben mir und lehnt sich etwas zu Alex: "Alex! Lass deiner Freundin Luft zum atmen. Du machst sie sonst kaputt!"
Alex murmelt irgendetwas Unverständliches vor sich hin und lässt sich mit dem Oberkörper auf meine Oberschenkel fallen, allerdings ohne seinen Griff zu lockern. "Tom, fahr jetzt einfach. Ich werde das schon überleben. Sind ja gleich zuhause!", ich scheuche Stephan mit einer Handbewegung zurück und ziehe die Autotüre zu. Tom und Susi sitzen ebenfalls auf ihren Plätzen bereit und das Auto wird gestartet.

Alex hört endlich auf meinen Brustkorb zu zerquetschen und nimmt sich mein Becken vor. Nebenher murmelt er immer wieder irgendetwas vor sich hin, was mich fast schon zum Lachen bringt. Meine Hand streicht ihm immer wieder durch die Haare und stockt erst, als er etwas deutlicher redet:
"Ich war heute mit Melissa essen, Josi... weißt du das? Ja, das weißt du.... Die wollte sich an mich ranmachen. Aber auch wenn die total hübsch ist, ist die doch eh nur zu einem zu gebrauchen... Ich hab früher mal..." "ALEX! Es reicht!" Tom lässt einen Brüller durch das Auto fahren und sorgt dafür, dass Alex seinen Mund hält.

Soso, die ist also hübsch...
Josi, du findest sie auch hübsch! Aber sowas sagt man seiner Freundin nicht ins Gesicht… Er ist betrunken, du doofe Nuss. Was hat er früher mal?
Herrgott, warum muss Tom ihn denn auch unterbrechen?

Im Auto herrscht Totenstille, während mein Inneres im lautesten Sturm der Gefühle ertrinkt.

"Josi, ich muss dir jetzt was sagen! Ganz dringend. Du darfst nicht böse sein, aber.... das.. weißt du...Ich...", der Herr Notarzt schläft während dem Reden ein und sorgt für noch mehr Verwirrung in meinem Kopf. Am liebsten würde ich ihn schütteln und anschreien, das er mir sagen muss, weswegen ich nicht böse sein soll.

Josi, komm runter! Alex ist betrunken und weiß nicht, was er redet. Vielleicht wollte er sagen, dass du nicht böse sein sollst, da er betrunken ist.

Ich nicke mir selbst zu und versuche mich an dem Gedanken festzuhalten.
Wenn ich aber so darüber nachdenke, dann hat er den Satz, dass ich nicht böse sein soll, mit Melissa in Verbindung gebracht.

Ist in der Zeit, in der Susi und ich nicht aufmerksam waren, irgendetwas passiert? Scheiße, warum hab ich nicht besser aufgepasst! Klar, Alex hat nichts gemacht, sonst wäre er nicht so abgedampft… Aber was hat Sie gemacht?

Mein Kopf dröhnt in allen Schmerzgraden und ich weiß nicht, ob das vom Nachdenken oder von dem Sturz vorhin kommt.

Als wir vor der WG ankommen, springt Susi gleich aus dem Auto um Franco und Phil mobil zu machen. Zu unserem Glück sind beide auf Zack und kommen mit Susi zum Auto gelaufen. "Hey, alles okay?" Franco hat die Autotüre auf Alex' Seite geöffnet und wirft einen fragenden Blick zu mir. Da mein Kopf gegen die Autoscheibe gelehnt ist und ich leicht meine Stirn massiere, könnte es den Eindruck erwecken, dass es mir momentan nicht so gut geht. Bis auf die Kopfschmerzen und das Gefühlschaos geht es mir allerdings super. Ich winke Franco ab und bekomme einen halben Herzinfarkt, als meine Autotüre aufgerissen wird.
Zum Glück hält mich Alex immer noch in seinem penetranten Klammergriff, sonst würde ich vermutlich auf dem Gehweg liegen. "Komm Josi, steig aus!" Phil streckt mir seine Hand entgegen, worauf ich nur mit dem Kopf schüttle: "Geht nicht. Ich bekomme Alex' Griff nicht gelockert!" Tom, der in der Zwischenzeit ausgestiegen ist, schiebt Phil auf die Seite und befreit mich aus dieser misslichen Lage. Ich atme erst einmal erleichtert auf, da der Dauerdruck der Umarmung wirklich unangenehm war. Mein Beuder begibt sich nun auf die andere Seite und zieht Alex an den Füßen aus dem Auto raus. Er ist dabei keinesfalls zimperlich, aber das würde auch nicht wirklich etwas bringen.

Tom und Phil schleppen jetzt gemeinsam den Herrn Doktor ins Haus und ich lasse mich von Franco aus dem Auto ziehen. "Was ist los? Alles klar?" "Ich habe solche Kopfschmerzen... Aber geht schon. Muss jetzt nach Alex schauen", meine Füße tragen mich schnell ins Haus, wo die beiden Männer gerade mit unserem Suffkopf die Treppe erklimmen. Ich schiebe von hinten einfach ein bisschen mit, was sich zum Glück positiv auswirkt und wir alle schneller vom Fleck kommen. Bevor die Männer ihn ins Bett legen, zieh ich Alex noch das Poloshirt aus, damit der Kneipengeruch etwas dezenter ausfällt. Als der Herr dann im Bett liegt, schäle ich noch seine Hose unter größter Anstrengung von seinem Körper. Alex liegt da und bewegt sich kein Stück mehr, nur sein Brustkorb hebt und senkt sich im gleichmäßigen Takt.

"Phil, kannst du mal Josi durchchecken? Alex hat sie vorhin mit voller Wucht umgenietet und sie ist auf den Boden geknallt. Mit Alex' Gewicht obendrauf!" Tom scheint sich immer noch Sorgen zu machen, worauf ich ihn eigentlich beruhigen möchte, Phil mir aber zuvor kommt: "Tom hat schon Recht. Lass mich mal schauen, das kann nicht schaden. Komm mit!" Als Phil mich leicht am Oberarm packt, zische ich kurz auf, da er genau an die Stelle hingefasst hat, in die sich Alex festgeklammert hatte. "Sorry!" Phil nimmt seine Hand von meinem Arm und legt sie mir auf den Rücken, was aber auch nicht wirklich besser ist.
Jetzt, wo langsam etwas Ruhe einkehrt, merke ich erst, dass mir alles weh tut. Wirklich alles.

Phil schiebt mich ins Badezimmer, in dem ich mein Oberteil ausziehe, damit er meinen Rücken kontrollieren kann.
Tom lehnt derweil im Türrahmen und wacht mit Adleraugen über uns. An meinem Oberarmen zeichnen sich langsam kleine blaue Flecken ab, was mich aber nicht weiterhin stört. Als Herr Funke meinen Nacken und Kopf abtastet, kneife ich meine Augen zusammen, da der pochende Schmerz durch sein rumgefummel zunimmt. "Ist dir schwindelig oder schlecht?" "Nein. Alles gut soweit. Mir tut nur alles weh und mein Kopf explodiert gleich", meine Hand wandert wieder demonstrativ an meine Stirn. "Am besten gehst du dich jetzt hinlegen. Wenn die Kopfschmerzen schlimmer werden oder irgendwelche anderen Symptome hinzukommen, dann kommst du mich bitte holen, okay?!"
"Mach ich, danke Phil. Gute Nacht!", ich kämpfe mich an den zwei Männern vorbei, werfe dem Rest noch ein "Gute Nacht!" durch den Raum und treffe bei meinem Murmeltier in unserem Zimmer ein.

Als ich mich ausgezogen und ein Shirt von Alex übergeworfen habe, klettere ich neben den komatösen Arzt und kuschel mich nah an ihn dran. Nachdem ich seinen Kopf etwas zur Seite gedreht habe, da mich bestimmt alleine sein Atem besoffen werden lassen würde, kraule ich ihm noch etwas durch die Haare. Ich bin gespannt, ob er morgen noch irgendetwas über das Treffen rauslässt. Hoffentlich kann er sich noch daran erinnern, was ihm leid tut und sagt mir das dann auch. Allerdings werden wir morgen wohl beide sterben: Alex an seinem Kater und ich vor Schmerzen, da ich mich jetzt schon fühle, als hätte mich eine Dampfwalze überrollt.

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt