(104) leichte Panik

1.7K 66 21
                                    

Alex?" ich streiche ihm über sein Gesicht. Ich küsse ihm ein paar Mal auf den Kopf und langsam kommt Bewegung ins Spiel. "Hmmmm?", gähnend richtet er seinen Blick auf mich und lächelt mich leicht an. "Du musst langsam aufwachen. Dein Dienst fängt bald an!" Erschrocken fährt er hoch und wirft verschlafen einen Blick auf die Uhr: "Warum lässt du mich auch so lange schlafen, hmm?" "Tom war vorhin noch da und wir haben gequatscht. Außerdem finde ich es vorteilhafter, wenn ein Notarzt einigermaßen ausgeschlafen ist und laut Tom hast du heute Nacht nicht viel Schlaf abbekommen. Also sei mir lieber Dankbar!" Mein mahnender Zeigefinger drückt gegen seine Brust, worauf sich mein Freund mit den Händen durchs Gesicht fährt. "Du hast ja Recht! Das tat auch verdammt gut. Sowieso mit euch drei an meiner Seite", seine Hand legt sich auf meinem Bauch ab.

Schwester Rita kommt mit dem Abendessen. Ich rümpfe meine Nase, als ich die läpprige Suppe betrachte und schaue Schwester Rita fragend an: "Soll ich wirklich verhungern?"
"Nein, aber den Magen schonen. Ab morgen gibt es wieder ein bisschen mehr!", lächelnd verschwindet die nette Frau wieder in den Flur und lässt mich seufzend zurück. "Wenn du mir morgen nichts gescheites zum Essen mitbringst, töte ich sie alle!" Ich lege mich in meine Matratze zurück und schaue Alex flehend an. "Du kannst sie nicht alle töten! Leider solltest du dich an den Ernährungsplan halten, da sonst dein Magen wieder rebelliert. Ich bring dir aber morgen deine neue Folsäure mir, ok?" "Das muntert mich doch gleich wieder auf!" Wie auf Knopfdruck beginnt mein Magen zu knurren: "Hörst du? Der findet das auch nicht witzig. Unsere armen Kinder verhungern, weil der Papa der Mama nichts zum Essen bringt!" Alex verdreht belustigt die Augen: "Ich schau mal, was sich machen lässt, okay?" Ich nicke ihm zufrieden zu und muss Alex kurz darauf leider schon verabschieden, da er zum Dienst muss.

Vielleicht hat die Cafeteria noch auf! Gegen eine kleine Brezel wird ja wohl nichts einzuwenden sein!

Meine Füße schwingen sich aus dem Bett und nachdem ich meinen Geldbeutel aus der Tasche gekramt und in meiner Hosentasche verstaut habe, mache ich mich auf den Weg zum Aufzug. Dort angekommen stoße ich zu einer Frau und einem Mann:
"Hallo!" Die Frau antwortet nicht und sieht ziemlich fertig aus. Beim näheren Betrachten fällt mir die riesige Kugel auf, die sie vor sich herschiebt. "Erschrecken Sie nicht! Meine Frau hat Wehen und eventuell....", und schon beginnt sie wie ein Rhinozeros zu schnauben: "Robin! Mach doch irgendwas... Ich halte das kaum aus! Das ist das letzte Kind, das ich aus mir raus presse! Hast du mich verstanden? Aaaaaaaah".

Na danke auch. Da steigt die Vorfreude!

Ich versuche die Frau gekonnt zu ignorieren, aber als ich ein komisches Plopp höre und es sich dann anhört, als wenn sie auf den Boden pinkelt, muss ich natürlich helfen. "Oh,oh. Fruchtblase geplatzt! Wenn wir angekommen sind, hole ich sofort einen Rollstuhl oder einen Arzt, oder beides!", meine leichte Verunsicherung versuche ich zu überspielen, allerdings schreit die Frau den ganzen Aufzug zusammen, was somit immer mehr Gefühlschaos bei mir verursacht.
"Bekommen.Sie.Nie.Kinder! Die Geburt ist die Hölle. Ich bin gespannt, wie zerfetzt ich diesmal bin!" "Schon zu spät. Kinder sind drin und ich befürchte, dass die auch irgendwann raus wollen!", ich kratze mir leicht verlegen am Hinterkopf. "Oh. Auch noch zwei? Hahaha. Viel Spaß, da werden sie wochenlang nicht....." Der Mann bremst seine Frau in ihrem Wehen-Wahn: "Lotte, bitte. Du machst ihr ja Angst! Hören Sie, wenn das Kind erstmal da ist, sind die ganzen Schmerzen vergessen, da die Freude überwiegt!" "HAHAHA. DAS KANNST AUCH NUR DU SAGEN, DA DU NACHHER NICHT AUSSIEHST WIE EIN GEMETZGERTES SCHWEIN!"

Viel zu viele Informationen!

Als sich die Aufzugtüren endlich öffnen, schlittere ich zu den Türen des Kreißsaals und klopfe wie wild dagegen. "Was machen Sie denn für ein Lärm?" Eine empörte Schwester öffnet die Türe und bekommt ihre Antwort in Form einer geballten Ladung Gebrüll, aus Richtung des Aufzugs. "Oh, verstehe! MANU, BRING MAL ROLLSTUHL!" Die blöde Kuh steht zuerst gechillt an der Türe und bewegt sich ein paar Minuten später dann doch irgendwann genervt selbst, da niemand mit einem Rollstuhl kommt. "Ich glaube, es geht los! Oh nein... Robin! Das Kind kommt!"

Neeeee.... Nicht hier! Nicht auf dem Flur und garantiert NICHT in meiner Anwesenheit!

Plötzlich kommt die Schwester mitsamt dem Rollstuhl angerannt, lädt Lotte auf und verschwindet mit ihr hinter die Türen. Robin rennt hinterher und stoppt kurz: "Können Sie uns die Tasche bringen? Ich muss schnell hinterher!"

Total unmotiviert hole ich die Tasche aus dem Aufzug und versuche das Fruchtwasser so gut es geht zu vermeiden. Die Türe ist zum Glück nicht richtig ins Schloss gefallen und somit kann ich den langen Flur betreten, in dem gefühlt aus jedem Zimmer ein Stöhnen, Heulen oder Schreien zu hören ist. "Okay, schnell die Tasche abgeben und dann nichts wie weg!" Ich suche den kompletten Flur nach einer Schwester oder Hebamme ab, aber ich finde niemanden.

Eine hechelnde Frau läuft mir im Watschelgang entgegen und brummt genau neben mir lauthals auf.

Okay, scheiß auf die Tasche. Du musst hier weg, Josi!

Eine gefühlte Zombie-Apokalypse, die eben nur aus Schwangeren, die kurz vor der Geburt stehen, besteht, umzingelt mich und meine Nerven liegen langsam blank.

"Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?" Ein eventueller Arzt steht direkt hinter mir und wirft mir einen fragenden Blick zu. "Hier Tasche. Frau vom Aufzug. Blasensprung. Tschüss. Danke!" Ich drücke ihm die Tasche in die Hand und renne schnell über den Flur, durch die Türe und ins Treppenhaus. Dort begegnen mir noch zwei, drei Schwangere, die durch Treppensteigen ihre Wehentätigkeit anregen und laut vor sich hin schnaufen. Mit voll konzentriertem Einsatz renne ich die Treppe runter, direkt auf meine Station. Als ich in Windeseile in meinem Zimmer eintreffe, laufe ich direkt in Stephan's Arme: "Ajajaj, bist du aber stürmisch. Alles okay? Du bist so blass!" Ich umarme Stephan wie eine Verrückte und klammere mich in seinem Pulli fest. "Josi, was ist denn los?" Er drückt mich ein Stück von sich weg und sieht mich eindringlich an. "Ich kann das nicht!", ich schüttle energisch meinen Kopf und werde mir jetzt erst wirklich richtig bewusst, dass die zwei da wirklich irgendwie aus meinem Körper raus müssen. Die Bilder der schreienden, schnaufenden und stöhnenden Frauen da oben, im vierten Stock, haben nicht wirklich Freude aufkommen lassen. Ein Kaiserschnitt ist genauso schlimm, wenn man mal nur die SPRITZE bedenkt, die man in den Rücken, zwischen die Wirbel gehauen bekommt. Dann bekomme garantiert ICH so einen "Profi" der zwanzig Anläufe braucht, um meine untere Region außer Gefecht zu setzen....
"Hast du einen Geist gesehen?" Meine großen Augen scheinen Stephan zu verwirren.

Nein, meine Zukunft....

Nach einer kurzen Verschnaufpause in einer erneuten Umarmung von Stephan, habe ich mich entschieden:
Ich werde einfach zwei Eier legen und diese dann neun Monate ausbrüten!

Gute Idee! Damit kann ich leben!

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt