(68) Annäherung

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Als Alex' Finger sich meiner Hand entziehen, wird mir plötzlich wieder fürchterlich kalt. Mich überfällt eine kurze Panik, dass er einfach aus dem RTW rausläuft und nach Hause geht, darum drehe ich hastig meinen Kopf in alle Richtungen, um zu sehen, wohin er verschwunden ist. Alex macht glücklicherweise keine Anstalten abzuhauen, sondern hilft Oli lediglich mit der Trage.

Die beiden schieben mich in einen Behandlungsraum und lagern mich gemeinsam um. Das Gerüttel erweckt in meinem Körper den Anschein einer Seekrankheit, worauf ich gleich wieder anfange zu Würgen. Die Ärztin, namens Charlotte, zieht in Windeseile eine Nierenschale aus einem der Schränke und pfeffert mir das kühle Metall unter mein Kinn. "Keine Panik. Josi hat sich schon ausgekotzt, da kann nichts mehr kommen! Also, hör mal zu...." Oli berichtet Charlotte die bisherige Lage und teilt ihr auch die Verdachtsdiagnosen von Alex mit, während eine Schwester Sonja Klebe Patches auf meinem Brustkorb verteilt. "Sonja, Zwölf-Kanal EKG! Danach auch bitte gleich Blut abnehmen!" Charlotte wirft die Worte kurz Sonja zu und widmet sich dann wieder Oli und Alex.

Alex steht seitlich zu mir gewand und verzieht angestrengt sein Gesicht. Zwischen ständigem Nicken kommt auch ab und zu ein Kopfschütteln dazu. Seine Haare stehen immer noch ziemlich wirr vom Kopf ab, was ihn um einiges jünger erscheinen lässt. Als er zu grinsen anfängt, versuche ich die Ursache in Olis Gesicht zu finden, doch dessen Ausdruck ist unverändert neutral. Als ich mich wieder Alex zuwende, treffen sich unsere Blicke und ich weiß sofort, dass er mich beim Starren erwischt hat. Wir grinsen uns an wie verschüchterte Teenager und wenden kurz darauf beide unsere Aufmerksamkeit wieder auf die jeweiligen Personen vor uns zu.

"Also gut. Dann bin ich mal wieder weg. Josi, alles Gute. Wir sehen uns!" Oli winkt mir noch kurz zu und verschwindet kurz darauf mit seiner Trage. Alex stellt sich neben mich auf Höhe meines Kopfes und betrachtet nebenher das EKG-Gerät. "So, jetzt mal ganz offiziell. Ich bin Charlotte, kannst ruhig Du zu mir sagen", die Ärztin reicht mir kurz die Hand, worauf ich erwidere und mich ebenfalls mit meinen Namen vorstelle und ihr das Du anbiete. "Ist es für dich okay, wenn Alex hier bleibt?" Alex wirft Charlotte einen verwirrten Blick zu: "Ich bitte dich, ich bin ihr Freund!"

Er hat mich anscheinend noch nicht ganz abgeschrieben!

"Nur weil du Arzt und ihr Freund bist, heißt das nicht automatisch, dass du deine Nase überall reinstecken darfst!", mit hochgezogenen Augenbrauen wendet sie sich wieder mir zu. "Das ist ok. Ich möchte, dass er bleibt!", meine Stimme ist ein heiseres Flüstern geworden. Die Magensäure hat gute Arbeit geleistet.

Da das EKG unauffällig, der Blutdruck etwas niedrig, aber im Rahmen, das Blut abgezapft und alles andere auch erledigt ist, verlasse ich Charlottes Aufgabengebiet. "Gut, ich gebe als erstes in der Kardiologie Bescheid. Damit fangen wir jetzt an. Hast du irgendwelche Allergien oder besteht eine Schwangerschaft?", mit dem Telefon in der Hand wartet sie meine Antwort ab, die aus einem "Nicht das ich wüsste!" besteht.

Alex schiebt mich kurz darauf in einem Rollstuhl zur Kardiologie, während ich mich immer noch bemühe, wach zu bleiben. Mir schmerzt langsam der Magen vor lauter Hunger und am liebsten würde ich mir wieder eine ganze Tüte Erdnussflips reinhauen.

Nein! Die werden nicht mehr gegessen!

Auf der kardiologischen Station werde ich mit Fragen durchlöchert, körperlich untersucht und einem Herzultraschall unterzogen. "Also, Frau Mayer, einen Herzfehler kann ich soweit ausschließen. Weder das EKG noch der Ultraschall geben mir einen Grund zur Besorgnis." Alex und ich atmen erleichtert auf und total unerwartet drückt er mir einen Kuss auf die Lippen. Mir bleibt fast mein Herz stehen, da ich jetzt wirklich mit viel gerechnet habe, aber nicht damit. In meinen Augen steigen wieder die Tränen auf und so langsam begreife ich eventuell, warum Alex so abweisend war.

"Jetzt fahren wir auf Station und dann kannst du dich endlich ein bisschen ausruhen!", er streicht mir über die Haare und verabschiedet sich von dem Arzt, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe. Während er mich den Flur entlang schiebt, erklärt er mir, dass morgen ein Zuckertest gemacht wird und ich acht Stunden vorher nichts mehr essen darf. "Ich hab aber soooo Hunger!", ich lehne meinen Kopf in den Nacken und schaue ihn mit großen Augen an. "Du darfst jetzt auch gleich was essen. Die machen den Test morgen früh und über Nacht schläfst du eh, da isst du dann nichts und das reicht von der Zeit!", er scheint sich zu freuen, dass ich wieder Hunger verspüre und beeilt sich gleich umso mehr, mich auf mein Zimmer zu bekommen.

Als wir mein Zimmer betreten, steht schon die Tasche, die Alex mir gepackt hat, auf dem Bett bereit. "Jetzt ziehen wir dich erst um und dann organisiere ich dir was zum Essen, ok?" Ich nicke ihm dankbar zu, während er den Rollstuhl neben dem Bett parkt und die Bremse reinhaut. Da er, ebenfalls wie ich, davon ausgeht, dass ich noch ziemlich wackelig auf den Beinen bin, zieht er mich vorsichtig an den Händen aus dem Rollstuhl. Als ich vor ihm stehe, lässt er meine Hände los und packt mich kurz an der Hüfte, um die Bremse von dem Gefährt mit dem Fuß zu lösen und es wegzustoßen. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und schlinge langsam meine Hände um seinen Nacken und ziehe somit seinen Körper etwas näher an mich ran. Alex fackelt nicht lange und legt seine Arme ebenfalls um meinen Körper und atmet erleichtert auf. "Es tut mir leid, Alex!", ich flüstere ihm die Worte entgegen, meine es aber todernst. "Wir reden zuhause in Ruhe darüber, okay? Jetzt müssen wir erst herausfinden, was dich so krank macht", seine Hand fährt meinen Nacken entlang und stoppt in meinen Haaren, um meinen Kopf etwas fester an sich zu drücken.

Nach ein paar Minuten schreit mein Magen so derbe laut nach Essen, dass Alex von mir ablässt und mich angrinst: "Ich glaube, wir sollten uns beeilen. Dein Magen schreit mich schon an!" Er setzt mich auf dem Bett ab und zieht einen Hoodie von sich und eine Jogginghose aus der Tasche.
Meine Augen leuchten auf. Obwohl er heute morgen noch nicht so gut auf mich zu sprechen war, hat er mir trotz allem einen Hoodie von sich eingepackt. Er bemerkt sofort meinen Blick und grinst schelmisch: "Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier in deinen eigenen Klamotten liegen lasse! Vielleicht beruhigt das etwas die Nerven". Da ich fast im Sitzen einschlafe, zieht mir Alex mein Oberteil aus und stülpt mir seinen Hoodie über den Kopf, worauf ich zufrieden aufbrumme. Nachdem ich auch die frische Jogginghose an meinen Beinen trage, muss ich mich beherrschen, mich nicht hinzulegen, sonst würde ich direkt ins Koma fallen. "Nicht einschlafen! Ich hole dir jetzt was zum Essen", in Windeseile rennt er aus dem Zimmer raus und lässt mich alleine zurück.

Hoffentlich bringt er Erdnussflips!

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt