(127) Lieferservice

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Total matschig und müde betrete ich die Leitstelle. "Hey Josi, na du siehst heute aber nicht so frisch aus. Geht's dir nicht gut?" Pit mustert mich besorgt, als ich mich neben ihm auf dem Stuhl niederlasse. "Ging schon mal besser. Wird aber schon wieder werden! Dann wollen wir mal!" Ich werfe mir mein Headset über den Kopf und versuche mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.

Der Hunger schleicht sich langsam aber sicher in mein Bewusstsein und ich verfluche mich selbst, dass ich vergessen habe, mir was zu essen mitzunehmen. Das Grummeln meines Magens nimmt stetig zu, was auch meinem Sitznachbarn aufzufallen scheint: "Hast du heute noch nichts gegessen? Dein Magen geht voll ab!" "Ne, ich kam noch nicht wirklich dazu. Die Kinder finden das anscheinend nicht so prickelnd", meine Finger wandern an meinen Hosenbund, um ihn ein bisschen zurecht zu zupfen. Diese Hose schnürt sich beim Sitzen, nach einiger Zeit unangenehm in meinen Bauch. Dem Anschein nach sollte ich keine allzu engen Hosen mehr anziehen.

"Kinder?" Pit zieht die Augenbrauen zusammen und wirft mir einen fragenden Blick zu. "Ja. Ich bin schwanger mit Zwillingen! Die fordern mehr, als das die Mama isst..." Ich lächle dem entsetzten Mann entgegen, der jetzt meinen Bauch mustert. "Du bist schwanger und sitzt hier die ganze Zeit ohne Essen rum? Meine Frau wäre schon längst gestorben. Die war nur mit einem Kind schwanger, hatte aber Hunger, als hätte sie eine halbe Fußballmannschaft in ihrem Bauch sitzen. Egal wann man sie angetroffen hat, sie hatte eigentlich immer etwas zu essen in der Hand!" Pit nimmt jetzt den Bildschirm ins Visier und grinst nach ein paar Sekunden dreckig vor sich hin. Nebenbei fragt er mich, ob Alex der Vater ist und schickt eine Meldung an zwei Piepser raus. "Ja, das ist der dazugehörige Papa!" Während ich Pit eine Antwort gebe, versuche ich herauszufinden, was der Mann neben mir im Schilde führt.

Die Notrufleitung ist heute verdächtig still und ich verstehe nicht, für was er eine Meldung rausschickt.

Ich sehe die Info aufleuchten, dass 4/NEF-4 einen Sprechwunsch äußert, den Pit sofort entgegennimmt:

Pit: "4/NEF-4 für Leitstelle kommen"
Nef: "Was ist bei euch los?"
Pit: "Ist Hetkamp an Bord?"
Nef: "Ja. Warum?"
Pit: "Gib mal!"
Nef: "Pit, was gibt's?"
Pit: "Josi braucht dringend Versorgung!"
Nef: "Was ist passiert? Ich komme sofort!"
Pit: "Komm nicht ohne Essen!"
Nef: "Wie, nicht ohne Essen?"
Pit: "Josi's Magen lässt mich bald taub werden. Sie braucht Nahrungsmitteltechnische Versorgung!"
Nef: "Hahahaha. Ernsthaft?"
Pit: "Es geht hier um eine Versorgung einer schwangeren Frau. Glaubst du ich mach da Witze?"
Nef: "Hahhaa. Nein. Wunderbarer Einsatz. Hahaha. Ende"
Pit: "Ende!"

Kaum haben die beiden fertig gesprochen, begibt sich das Nef in Status 3 (Einsatzauftrag übernommen und ausgerückt).

"Pit, du kannst doch nicht einfach Alex als Essenslieferant einspannen!" Mir ist die Situation echt unangenehm.
"Doch kann ich, hast du doch gehört, oder?" Der ältere Mann neben mir lacht herzhaft auf. "Aber die sind doch im Dienst!", fast schon ungläubig schüttel ich meinen Kopf, muss dann aber auch anfangen zu lachen. "Das ist ein kleiner Spaß und wo doch heute eh kaum was los ist, geht das auch in Ordnung. Im schlimmsten Fall ziehe ich die Beiden wieder von unserem Einsatz ab und du bekommst eben erst später was zu essen!" Er zuckt mit den Schultern und nimmt anschließend den eintreffenden Notruf an.

Das Nef stellt sich auf Status 7 um (Patient aufgenommen).

Ich lache kopfschüttelnd vor mich hin, bin aber insgeheim über das baldig eintreffende Essen sehr dankbar. Nachdem ich mir fast eine komplette Flasche Wasser reingezogen habe, ich will mein Versprechen gegenüber Oli nicht brechen, fühle ich mich gleich ein bisschen besser. Die Müdigkeit weicht ein wenig der Vorfreude, Alex gleich zu sehen.

Der heutige Morgen war Balsam für meine Seele und ich wünschte mir, wir könnten immer zusammen so sorglos und verliebt aufwachen und in den Tag starten. Manchmal verstehe ich gar nicht, wie ich auf diesen Mann sauer sein kann. Ich muss mir eingestehen, dass ich keine Sekunde mehr ohne ihn sein will. Sobald ich ihn sehe, will ich ihn in meine Arme schließen und nie wieder irgendwo hingehen lassen. So sehr er mich manchmal auch nervlich an den Rand des Wahnsinns treibt, so sehr brauche ich ihn auch, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Meine Gedanken verstricken sich immer weiter in meine hormonelle Gefühlsduselei und ich bekomme weder die Tränen, die mir die Wange runter laufen, noch das Eintreffen von Nick und Alex mit. Erst nachdem mein Stuhl gedreht wird und Alex' Gesicht in Augenhöhe vor mir erscheint, nehme ich meine Umgebung wieder wahr. Seine Handfläche wischt mir über die nassen Wangen, während er mich mit seinem Fachmännischen Blick einmal abcheckt: "Hast du Schmerzen oder ist dir nicht gut? Du bist total blass..!" Ohne ein Wort zu sagen, schlinge ich einfach meine Arme um seinen Hals und ziehe ihn zu mir. Das seine Hände schon in Einmalhandschuhen stecken, entgeht mir nicht und lässt mich leise vor mich hin lachen. "Was ist mit dir Schatz? Hast du Kreislaufprobleme? Flüssigkeitsmangel? Ich messe kurz deinen Blutzucker, nicht dass du uns hier noch vom Stuhl kippst!" Alex drückt mich leicht von sich weg, worauf ich ihn wieder zu mir herziehe:
"Ich liebe dich!" "Ich dich auch!" Seine angespannte Haltung lockert sich etwas und ein sanfter Kuss trifft meinen Hals.

"Herr Notarzt, vielleicht geben Sie Ihrer Freundin jetzt erst einmal etwas zu essen und dann wird sich der körperliche Zustand mit Sicherheit bessern!" Nick lacht leise vor sich hin, während er vollbeladen durch die Türe, in den angrenzenden Aufenthaltsraum läuft. "Josi, hast du heute schon etwas gegessen?" Alex löst sich von mir und auf meine verneinende Aussage hin, seufzt er nur laut auf. "Mir war das vorhin im Krankenhaus alles zu viel und dann musste ich mich vor lauter Aufregung wieder übergeben und dann hatte ich keinen Hunger mehr und...." Alex' Zeigefinger legt sich auf meine Lippen:
"Langsam. Wir gehen jetzt rüber, dann isst du was und solange es die Zeit zulässt, erzählst du, was passiert ist".
Nach meinem stummen nicken folge ich ihm in den Aufenthaltsraum und setz mich neben Nick an den Tisch.
Mein Magen schreit wieder lauthals auf, als Alex mir die extrem gut duftende Gemüselasagne vor die Nase stellt. "Wo hast du das denn jetzt so schnell hergezaubert?" "Verrate ich dir nicht. Mein Geheimnis. Lass es dir schmecken!" Alex lässt für Nick und sich einen Kaffee aus dem Automaten heraus und setzt sich anschließend zu uns an den Tisch. Bevor er seinen Kaffee in die Hand nimmt, zieht er endlich die Einmalhandschuhe aus.

Während dem essen, das nebenbei bemerkt,  wirklich göttlich schmeckt, erzähle ich ihm von Jennifer und Melissa. "Das darf jetzt wirklich nicht wahr sein! Der arme Flo... Ich bin gespannt, was Tom erzählen wird. Hoffentlich gibt Sie jetzt Ruhe. Vielleicht muss ich sie mir auch nochmal persönlich vorknöpfen und ihr abermals verdeutlichen, dass sie in hundert Jahren keine Chance mehr bei mir hat!" Seine Hand legt sich über meinen Handrücken, während er mit seinem Daumen über meine Finger streicht. "Ach, wart mal ab. Meine Frau geht morgen Abend zu einem Frauenabend. Die ist ganz dicke mit Annelie, der Frau vom Ärztebeiratsvorsitzenden und wenn die beiden zu tief ins Glas gucken, dann geht die Post ab. Frag nicht nach Sonnenschein..Die zwei sind schlimmer als jede Klatschpresse. Ich lasse meiner Frau einfach morgen mal ein paar Info's zukommen und die werden zu hundert Prozent weitergeleitet. Soviel ich weiß, haben die Herrschaften nächste Woche eine Sitzung und dann werden da lauter Steinchen ins Rollen kommen, glaub mir!" Nick grinst gehässig und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.

"Alex, Nick! Sorry, aber ich brauch euch dringend. Verkehrsunfall Nähe des Tierparks. Drei RTW und 2 Nef sind vor Ort. Die haben aber nochmal Unterstützung angefordert. Christopher ist auch unterwegs." Pit rattert seine Auftragslage herunter und muss auch gar nicht lange warten, bis die beiden Herren sich vom Stuhl erheben. "Ich muss. Bis später!" Alex küsst mich schnell auf die Stirn und eilt anschließend mit Nick durch die Räume der Leitstelle.

Ich hingegen esse die Reste der Lasagne und schwebe im siebten Himmel.

Mit einem gefühlt kugelrunden Bauch, treffe ich wieder bei Pit ein, der nebenher an einem Muffin herum knabbert, den er von Alex bekommen hat: "Das könnten wir öfter machen, hahahaha. Das ist ein toller Service!"

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt