(87) Herzlich Willkommen

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Während auf Alex' Gesicht ein breites Lächeln auftaucht, könnte ich im Dreischlag neben ihm Kotzen. Die Anspannung schnürt mir fast die Luft zum Atmen ab, was Alex mit einem besorgten Blick zur Kenntnis nimmt:
"Du kippt mir jetzt aber nicht gleich aus den Latschen, oder?" Mit einem aufgesetzten Lächeln versuche ich ihn zu beruhigen: "Nein, mach dir keine Sorgen. Ich versuche, Standhaft zu bleiben!"

Der Weg zu Alex' Eltern zieht sich leider nicht so lange wie ich es gerne hätte und ich versuche mich dezent hinter seinem Rücken zu verstecken.
Während ich meine schweißnassen Hände an meiner Jeans Short abwische, werfe ich einen Blick auf Alex' Mutter. Diese erhebt sich und wirft einen liebevollen Blick zu ihrem Sohn, der einen direkt neidisch werden lassen könnte. Sie trägt ihre ebenfalls dunklen, jedoch graumelierten Haare hochgesteckt und ist dezent geschminkt. Ihre grüne kurzärmelige Bluse hängt locker über dem schwarzen Bleistiftrock und schmeichelt ihrer zarten Statur. Ihre blaugrauen Augen werden von kleinen Fältchen umrandet, während sie ein herzliches Lächeln auf ihre Lippen legt. Christopher trägt eine schwarze Hose, mit einem weißen kurzärmeligen Hemd.

Mein Drang zur Flucht wächst mit jeder Sekunde, in der auch das Zittern meines Körpers immer stärker wird. Für einen kurzen Moment hoffe ich, dass die Herrschaften mich einfach vergessen und Alex den restlichen Mittag vor mir stehen bleibt. "Jetzt verdeck doch nicht deine bezaubernde Begleitung!" Christopher schiebt Alex auf die Seite und streckt mir seine Hand entgegen, die ich zitternd entgegen nehme. Als er meine Hand zu fassen bekommt, zieht er mich schwungvoll in eine Umarmung und streicht mir ein paar Mal über den Rücken: "Hab ich dir nicht gestern gesagt, dass du dich mehr entspannen sollst? Du bist eiskalt, was ist denn los? Geht es dir nicht gut?" Total überfordert stammle ich ihm irgendetwas entgegen: "Ja, doch, alles gut. Ähm...". "Christopher! Du sollst doch nicht immer gleich mit der Tür ins Haus fallen. Lass die Arme doch zuerst einmal richtig ankommen!" Alex' Mutter schiebt Christopher auf die Seite und stellt sich vor mich: "Hallo. Ich bin Anne. Freut mich, dass du Christopher's Einladung gefolgt bist. Ich hoffe, er hat sich gestern benommen und war nicht zu aufdringlich!" Sie zieht die Augenbrauen nach oben und wirft ihrem Mann einen schmunzelnden Blick zu. "Wer? Ich? Anne, ich bitte dich.." Er lacht herzhaft auf, worauf sich Anne wieder mir zuwendet. "Hi. Ich bin Josi. Freut mich! Nein, es war sehr nett und vor allem war ihr Mann wirklich hilfreich". Ich kann meine Stimme kaum kontrollieren und ich hoffe einfach, dass den beiden der komische, krächzende Unterton nicht auffällt. "Bitte! Sag "Du" zu mir. Ich fühle mich jedesmal wie uraltes Gestein, wenn mich jemand " Siezt", ich nicke ihr lächeln zu, worauf uns Christopher bittet, Platz zu nehmen.

Auf dem Stuhl fühle ich mich schon etwas wohler, da ich so nicht ungebremst auf den Boden falle, wenn mein Wackelpudding in den Beinen sich nicht mehr verfestigen sollte. Alex fasst kurz nach meiner Hand und bekommt große Augen: "Soll ich dir deine Jacke aus dem Auto holen? Du bist wirklich eiskalt!"

Neeeeeeeeein! Ich will hier keine Sekunde alleine mit deinen Eltern sitzen!

"Nein, das geht schon. Lieb von dir, danke!", ich winke ihm ab und weiß gar nicht, wohin ich genau schauen soll, da ich Christopher's Blick auf mir spüre. "Dann bestellen wir doch zuerst eine Runde Getränke. Wollt ihr beiden auch einen Prosecco?" Anne schaut abwechselnd zu Alex und mir, worauf ich leicht mit dem Kopf schüttle: "Nein, danke. Ich muss Medikamente nehmen und sollte auf Alkohol verzichten. Ein Wasser würde vollkommen ausreichen, danke!" Christopher senkt schmunzelnd seinen Blick, was ich momentan überhaupt nicht nachvollziehen kann.

"Wie lief dein Termin, Alexander?" Christopher legt seinen Kopf leicht schief und mustert seinen Sohn fragend. "War nur eine Dienstplanbesprechung, da wir gerade so viel Ausfall haben. Hat alles gut funktioniert!" Lügen kann der Herr Hetkamp Junior auch auf Knopfdruck sehr interessant. Sein Vater nickt zufrieden und winkt schnell den Kellner zu uns: "Wir hätten gerne zwei Prosecco, ein Mineralwasser, einen Ingwertee und...", sein fragender Blick trifft auf Alex, der die Bestellung ergänzt: "Einen Kaffee, bitte!" Der Kellner nickt uns zufrieden zu und reicht uns anschließend die Speisekarten.

"Josi, was arbeitest du denn? Ich hoffe, ich darf so neugierig sein?" Christopher visiert mich genau an. "Natürlich. Ich bin Rettungsanitäterin!" Ich grinse ihm entgegen, worauf er uns beide anschaut: "Arbeitet ihr zusammen?" "Naja, bisher konnte ich leider nur einen Tag an meinem neuen Arbeitsplatz antreten, danach wurde ich krankgeschrieben. Aber an diesem einen Tag hatten wir einen gemeinsamen Einsatz!"

An dem mich dein Sohn zusammengeschissen hat und mir verboten hat, weiter zu arbeiten...

"Oh. Na gut, aber es wird ja sicherlich irgendwann weitergehen. Schöne Berufswahl. Jetzt suchen wir mal was zum Essen raus!" Christopher hängt seine Nase in die Karte, was ich ihm gleichtue. Sobald ich nur das Wort Fleisch lese, bekomme ich schon eine Gänsehaut über dem ganzen Körper.
Die halbe Speisekarte besteht aus Fleisch oder Fischgerichten, was mich schwer schlucken lässt.

Alex lehnt sich leicht zu mir rüber und blättert meine Speisekarte auf Seite neunzehn, "vegetarische Gerichte".
Ich lächle ihm dankbar zu, worauf er sich wieder seiner eigenen Speisekarte widmet. Ich wähle die Süßkartoffel-Gnocchi mit Mangold, während Anne irgendein Gericht mit Lachs und die Männer jeweils ein Fleischgericht wählen.

Hoffentlich kotze ich nachher nicht über den Tisch, wenn das Fleisch gebracht wird.

Während der Kellner uns die Getränke vor die Nase stellt, wird Alex etwas zappeliger, was auch seinen Eltern auffällt. Allerdings kommt in dieser Richtung kein Kommentar. "Der Tee ist für die bezaubernde junge Dame da drüben!" Alex' Vater zwinkert mir zu und widmet sich wieder seiner Frau, die gerade ansetzt, etwas zu sagen. "Oh, Alexander, bevor ich es vergesse. In zwei Monaten findet wieder mein Spendenabend statt, ich würde dir den Termin zukommen lassen. Wenn du Zeit findest und es mit deinem Dienstplan passt, würde ich mich freuen, wenn du kommst. Ich würde die Karte dann wieder hinterlegen!" Anne richtet ihre Aufmerksamkeit erwartungsvoll auf ihren Sohn. "Das lässt sich sicherlich einrichten, wenn ich es ja schon so früh weiß. Allerdings solltest du zwei Karten zurücklegen lassen, ich würde gerne in Begleitung meiner Freundin kommen!" Alex dreht sich zu mir und drückt mir ganz unerwartet einen Kuss auf die Lippen.
Während mir mein Herz in die Hose rutscht, grinst Alex sich einen ab und wendet sich erwartungsvoll zu seinen Eltern. "Na endlich. Ich hab mich schon gefragt, wie lange du brauchst, um uns das endlich mitzuteilen!" Christopher verdreht belustigt die Augen. Ich sinke ein kleines Stück weiter in meinen Stuhl und schaue zwischen Anne und Christopher hin und her. "Das hat gestern schon ein Blinder mit Krückstock gesehen!" Alex' Vater lacht seine Frau an, die darauf ebenfalls lacht: "Heute auch, meine Lieben. Das freut mich! Herzlich willkommen in der Familie, Josi!"
"Danke!" Während die erste Anspannung langsam von mir abfällt, rollt schon das Essen an und lenkt somit zum Glück von dieser unangenehmen Situation ab.

Der Geruch des Fleisch lässt mich unweigerlich erschaudern und ich versuche, ganz konzentriert meine Übelkeit wegzuatmen. Die drei Herrschaften unterhalten sich über irgendwelche Dinge, denen ich im Moment nicht folgen kann. Jedes Mal, wenn ich meinen Mund öffne, fällt es mir schwer, nicht lauthals aufzustöhnen und den Fleischessern ins Gesicht zu schreien, dass sie ihr scheiß Fleisch gefälligst schneller essen sollen. Nach der Hälfte meiner Portion kann ich mich einfach nicht mehr überwinden, meinen Mund zu öffnen und gebe somit auf. Alex schiebt sich gefühlt im Stundentakt ein Stück Fleisch nach dem anderen in den Mund und ich frage mich, seit wann er so langsam essen kann.

Mir wird es immer unwohler, was mich zu dem kalten Ingwertee greifen lässt, den ich in einem Zug leere. Eine Besserung tritt dadurch leider nicht ein, wahrscheinlich habe ich einfach zu lange gewartet. Christopher ist als erstes fertig mit essen und steht abrupt von seinem Platz auf: "Esst in Ruhe weiter und entschuldigt uns kurz." Er winkt mich zu sich, worauf ich Alex einen verdutzten Blick zuwerfe. "Geh schon, er wird dich schon nicht fressen!" Auf diesen Kommentar hin, würde ich ihm gerne einen fiesen Spruch drücken, aber ich kann mich gerade noch so beherrschen.

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt