(4) Kein Entkommen

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"Wir müssen eh gehen, dann leg ich mich Zuhause hin und dann ist alles gut!", versuche ich einen weiteren Fluchtversuch, der allerdings nicht gelingen will, denn die Notärzte schütteln energisch ihre Köpfe. Hilfesuchend schaue ich Susi an, sie ist aber auch ratlos und weiß nicht, was sie machen soll.

Wir werden an den Tisch gezogen und auf zwei Stühle gedrückt. "So, das sind Stephan, Paul, Tom, Franco und Florian", zeigt Phil auf die jeweiligen Personen und zieht damit einiges an Aufmerksamkeit auf uns. Tom ist gerade zum Glück mit Reden beschäftigt und sieht nicht zu uns her. Die Restlichen mustern uns neugierig. "Das sind Susi und Josi und das Mädel hier, braucht anscheinend eine dringende Pause vom Alkohol und hat eigentlich gar keine Lust auf uns!", grinst Phil in die Runde

Wenn Tom jetzt nur einmal zu uns schaut, sieht er mir direkt ins Gesicht.

Mir läuft ein Schauer über den Rücken und mich schüttelt es gewaltig. Alex legt mir einen Pullover über die Schultern, während ich meinen Kopf mit meinen Händen abstütze und meine Finger ins Gesicht schiebe.

Der Pulli riecht verdammt gut!

"Schau mich mal bitte an, Josi", fordert mich Phil auf und genau in dem Moment, als ich hoch schaue, sieht mir Tom ins Gesicht. Kurz darauf dreht er sich weg und ich denke, er hat mich nicht erkannt. Pustekuchen. Schneller als ich gucken kann, dreht er seinen Kopf wieder zu mir und starrt mich ungläubig an. Mir rollen schon die ersten Tränen das Gesicht runter und ich werfe schnell den Pulli weg, um schnell los zu sprigen. Raus durch die Türe, raus aus der Bar und schwankend in irgendeine Richtung.

Die Rechnung hab ich allerdings ohne den restlichen Tisch gemacht, denn die sind relativ bei Sinnen und Tom vor allem schnell. Er ist der erste, der mich am Handgelenk zu fassen bekommt und somit meiner Flucht ein Ende setzt. Kurz vor seiner Nase komme ich zum Stillstand. "Josi?", er sieht mich ungläubig an. Mir laufen noch mehr Tränen die Wangen hinunter und er zieht mich in seine Arme. Als die restliche Truppe bei uns eintrifft, scheinen alle etwas verwirrt zu sein.
"Tom, kennst du sie?", will Phil wissen und bekommt darauf von meinem Bruder eine knappe Bestätigung: "Ja!" Er erdrückt mich fast in seiner Umarmung. "Wer ist das?", kommt jetzt die vorsichtige Frage von Alex. "Meine kleine Schwester...", flüstert Tom vor sich hin und versetzt die Männer damit in einen leicht geschockten Zustand: "Deine was?"

Ich fange an zu zittern, ob vor Kälte oder Angst, kann ich nicht genau sagen. Außerdem merke ich die Cocktails! Die beamen an der frischen Luft erst so richtig.

"Tom, lass uns reingehen! Deine Schwester zittert vor Kälte", merkt einer der Herren an und bringt Bewegung ins Spiel. Tom schiebt mich zurück in die Bar an ihren Tisch, an dem Susi sich gerade mit diesem Paul und Stephan unterhält. Ich bekomme wieder den Pullover um die Schultern gelegt und Tom drückt mich neben sich. "Was machst du hier?", er starrt mich verwirrt und ungläubig an.

Was sag ich denn jetzt? Das ich hier versuche mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen und ich hierher ziehe?

Eine Hand fuchtelt vor meinen Augen herum. Langsam komme ich von meinen Gedanken frei und schaue auf den Boden, weil ich jetzt eine Lüge raushaue und Tom dabei nicht ins Gesicht schauen möchte. "Urlaub?", stelle ich eher eine Frage. "Aha, seit wann bist du hier?", forscht mein Bruder nach. "Erst heute angekommen!" Meine Hände gleichen einem Eisblock und nachdem Tom mir mein Gesicht zu ihm gedreht hat, fragt er mich nochmal: "Was machst du in Wirklichkeit hier?" "Wie gesagt, Urlaub!"

Ich hasse es, wie ich von allen am Tisch angestarrt werde.

"Wir müssen auch wieder los, ich melde mich bei dir", ich versuche mich aus dieser unangenehmen Situation zu flüchten und will gerade aufstehen, als Tom mich an der Hand festhält. Erschrocken sieht er mich an: "Du bist eiskalt!" "Halb so wild, jetzt lass mich los... Ich kann schon selbst auf mich aufpassen!" In mir steigt langsam wieder die Wut auf, die ich schon immer verspürt habe, wenn Tom meint, meinen Aufpasser spielen zu wollen. Der Alkohol spielt vielleicht auch eine wesentliche Rolle. "Ja, das sieht man!", giftet er mich an. "Oh nein, wie konnte ich nur die letzten Jahre ohne dich überleben?", mir steigen langsam die Wuttränen in meine Augen und ich versuche, seine Hand abzuschütteln. Wie gesagt, versuche… "Du bleibst da! Renn doch nicht immer weg!"

Langsam ist mir wirklich nicht mehr gut und ich setze mich wieder auf den Stuhl, um tief durchzuatmen. "Alles okay bei dir? Du siehst nicht gerade berauschend aus", fragt Alex.

Mann, das verursacht nur wieder Chaos in meinem Kopf! Links mein giftiger Bruder, rechts dieser besorgte heiße Typ, ich mit drehender Welt in der Mitte.

Susi versucht die Lage zu retten: "Vielleicht sollten wir wirklich gehen! Wir hatten eventuell ein paar Cocktails zu viel und Josi kann echt anstrengend werden, wenn der Alkohol wirkt!" Entsetzt starre ich sie an und frage mich, ob das jetzt ihr ernst ist. Sie setzt einen entschuldigenden Blick auf und zuckt mit den Schultern. Als ich dann zu schnell aufstehe, bekomme ich sofort die Quittung und kann mich gerade noch an Alex' Schulter festklammern, um nicht auf den Boden zu segeln. "Mach langsam! Setz dich wieder hin! Also ihr werdet definitiv nicht alleine da draußen rumlaufen, du kannst dich ja kaum auf den Beinen halten!", motzt mich Alex an und schiebt mich auf den Stuhl zurück. "Bin nur zu schnell hoch! Kein Grund zur Panik und unser Hotel ist gleich um die Ecke!" "In welchem seid ihr denn?", will mein Bruder wissen.

Überlegend starre ich Susi an und hoffe, sie weiß wie das Hotel heißt.
"Hahahahaha, vergiss es! Ich bin froh, wenn ich meinen eigenen Namen nicht vergesse!" Susi bringt natürlich wieder alle zum Lachen. Außer Tom, der frisst mich gerade gedanklich auf. "Keine Ahnung, wie das heißt. Aber das ist da die Straße runter und dann links...", versuche ich zu erklären und dabei ist es mir völlig egal, ob die Beschreibung jetzt richtig ist oder nicht. "Ne, Josi, das ist die entgegengesetzte Straße, die wir lang müssen. Und dann links und dann..."  will mich Susi korrigieren. Ich halte meinen Kopf fest, da ich langsam Kopfschmerzen bekomme. "Nein, wir sind von da drüben gekommen und dann müssen wir da auch wieder zurück!" "Ich glaub du bist betrunken! Wir..." Susi und ich liefern uns eine heiße Diskussion, bis Tom das ganze unterbricht: "Ihr kommt mit uns mit!" Da das so ganz und gar nicht meinen Vorstellungen entspricht, nehme ich ihm sofort den Wind aus den Segeln: “Neee, wir gehen ins Hotel zurück! Schließlich habe ich da auch meine ganzen Sachen!"

Franco seufzt: "Dein Bruder hat recht! Erstens wisst ihr nicht mal den Namen des Hotels, zweitens habt ihr keine Ahnung, in welche Richtung ihr gehen müsst und drittens, gefällst du uns momentan echt gar nicht!" "Warum wollt ihr mich dann mitnehmen, wenn ich euch nicht gefalle?", grinse ich ihn an und Susi bricht in Gelächter aus. Tom verdreht die Augen und schüttelt mit dem Kopf: "Genau wie früher...Keine Widerrede, ihr kommt mit!" Ich lege einen bösen Blick auf, da mich Toms Worte schon wieder auf die Palme bringen: "Wie du vielleicht bemerkt hast, bin ich vierundzwanzig Jahre alt und kann selbst entscheiden, wo ich hingehe. Ihr seid alle außer Dienst und habt gar keine Befugnis, mir irgendetwas anzuordnen!" "Ich bin nebenher auch noch dein Bruder!", merkt Tom an. "Bruder, genau! Nicht Vater.... Der hätte aber auch wirklich nichts mehr zu sagen!", meckere ich weiter und ernte von allen Seiten böse Blicke.

"Jetzt fährst du vielleicht mal ein bisschen runter!" Alex fasst an mein Handgelenk und schaut mich skeptisch an. Ist ja nicht so, dass er meinen Pulsschlag zusätzlich in die Höhe schnellen lässt. "Das wird ja immer schlimmer, anstatt besser!", stellt er fest. "Vielleicht solltest du da mal deine Finger weglassen und jemand anderen den Puls tasten lassen!", lacht Susi wie verrückt. Wenn Blicke töten könnten, läge sie jetzt einen Meter achtzig tiefer. Irritiert lässt Alex los und Florian schiebt sich lachend über den Tisch: "Gibt mal deine Hand her. Ich überprüfe das!" Ich strecke ihm meine Hand entgegen und lasse meinen bösen Blick nicht von Susi weichen. "Geht doch! Alex halt dich bitte von ihr fern", lacht Flo zu ihm rüber.

Erdboden tu dich auf, ich möchte in dir versinken.

Mein Bruder findet das wohl nicht so lustig und wechselt das Thema: "Ich bin vorübergehend in der WG der Jungs und dahin werden wir uns jetzt auch begeben!" Susi lacht mich schon wieder so bescheuert an und ich kann mich dann auch nicht mehr zurückhalten: "Dann kannst Du ja gleich Phil fragen, ob er noch ein Platz in seinem Bett frei hat!" Susis Lachen verstummt darauf und sie starrt mich entsetzt an. "Das reicht jetzt, ihr zwei!", mischt sich Tom jetzt wieder ein.

Stephan gibt Susi seine Jacke und Tom reicht mir seine. "Brauch ich nicht! Den Pulli auch nicht, ist gar nicht so kalt da draußen!", wehre ich Toms Jacke ab und schmeiß Alex seinen Pulli an den Kopf. "Die ist aber ganz schön stur!", meckert Florian. Grinsend erkläre ich ihm, dass ich den zwei Herren keine Männergrippe zumuten kann und ich sowas mit Würde wegstecke. Das lassen sie aber auch nicht auf sich sitzen und somit zieht mir Alex seinen Pulli gleich über den Kopf und Tom legt mir seine Jacke an. "Alles klar...", murmel ich vor mich hin.

Scheiße riecht der Pulli gut!

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt