(58) Kurz vor dem Ziel

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Die Musik dröhnt durch das mit stickiger Luft versetzte Auto. Während Susi lauthals den Song mitgröhlt, toben in mir die verschiedensten Gefühle: Ich ahne, dass die Begeisterung der Männer sich in Grenzen halten könnte, wenn wir so unangemeldet auftauchen. Alex wird nicht sonderlich begeistert sein, da Ausruhen anders aussieht. Tom wird auch keine Freudensprünge machen, wenn er erfährt, dass wir zwei Stunden in der Gegend rumgurken und gerade die labile Schwester hinter dem Steuer sitzt. Zu allem Übel wird mein Körper ganz zittrig und kaltschweißig, da das nicht vorhandensein irgendwelcher Nahrung sich negativ auf meinen Körper auswirkt. Oder die Belastung vom Schwimmen. Oder beides.

"Wir sollten bald irgendetwas zum Essen auftreiben. Ich befürchte, dass mein Zuckerhaushalt wieder total im Keller hängt”, mein kurzer Blick trifft auf Susi, die kurz darauf die Augen zusammenkneift: "Ja! Du siehst echt scheiße aus! Sag mal, frierst du, während du schwitzt?" "Kann man so sagen. Allerdings ist das kalter Schweiß... Nicht gut... Meinst du, ich schaffe die halbe Stunde noch?" "Na, ich weiß nicht so recht. Wenn es dir plötzlich die Lichter ausknipst, macht sich das schlecht auf der Autobahn. Fahr zum nächsten Rastplatz. Wir kaufen dir dann was zum Essen und dann fahre ich weiter!"

Wie das Schicksal es so will, ist unsere nächste Möglichkeit nur eine kleine Parkbucht mit Toilette. Laut Googlemaps kommt der nächste Rasthof erst, wenn wir schon längst wieder von der Autobahn runter sind.

Großartig! Da will ich mir wirklich mal selbst helfen und dann gibt es weit und breit nichts zu essen!

Als ich das Auto in dieser kleinen Bucht parke, habe ich echt Mühe aus dem Auto zu kommen: "Das war wirklich eine beschissene Idee, Susi!" "Ich merke es! Komm, ich helfe dir!", mit beiden Händen zieht sie mich aus dem Auto raus und muss mich fast schon zur Beifahrerseite tragen. "Soll ich gleich einen Notruf absetzen? Josi, du siehst aus wie eine Leiche!" "Nein, ich schaffe das schon. Wir müssen nachher als erstes nur etwas essen! Wenn wir dort auf dem... ähm.. Dings angekommen sind!", ich gleite auf den Sitz und lasse mich von Susi anschnallen. Meine Freundin sitzt in Null komma nichts auf dem Fahrersitz und drückt das Gaspedal so dermaßen durch, dass ich mir sicher bin, in den nächsten Woche mit einer Flutwelle an besonderen Fotos überhäuft zu werden.

"Lebst du noch?" Susi wirft nonstop ihre Blicke auf mich, um zu überprüfen, dass ich nicht weggekippt bin. "Das ist kompletter Wahnsinn was wir hier machen! Weißt du das? Ich ruf Phil an.... Die sollen gleich kommen, wenn wir da sind!" Susi nimmt ihr Handy in die Hand und versucht neben dem Fahren Phils Nummer zu suchen.
"Hey, gib her! Willst du uns umbringen?" So viel Verstand besitze ich noch, dass ich sie während dem Fahren nicht am Handy rumspielen lasse. Nachdem ich es ihr aus der Hand gerissen habe, scrolle ich die Namensliste rauf und runter. "Wen wollten wir anrufen?", meine Konzentrationsfähigkeit lässt nach, schlechtes Zeichen. "PHIL!", ihre aufgebrachte Stimme lässt mich kurz wieder etwas klarer im Kopf werden und nach elends langer Suche, finde ich endlich den gesuchten Namen.
"Mach Lautsprecher rein!", der General hat gesprochen.

Phil: "Hey Susi. Na, hat sich die Lage etwas beruhigt?"
Susi: "Hi Phil. Die von vorhin schon.... Diese Lage scheint mir jetzt allerdings etwas schlimmer zu sein!"
Phil: "Was ist los?"
Susi: "Versprich mir nicht, sauer zu werden!"
Phil: "Jetzt sag doch was los ist!!"
Susi: "Ich glaub, Josi kippt mir bald weg! Sie zittert wie verrückt, ist kaltschweißig und kann sich irgendwie nicht mehr alles merken!"
Phil: "Wann hat sie das letzte Mal gegessen?"
Susi: "Gestern?"
Phil: "WAS? Herrgott, dann gib ihr ganz schnell Zucker!"
Susi: "Daran haben wir auch schon gedacht, aber... hier in der Nähe gibt es gerade nichts, was annähernd einem Nahrungsmittel gleichen könnte!"
Phil: "Wo seid ihr denn bitte?"
Susi: "Ähm... in fünfzehn Minuten bei euch?"
Phil: "Okay gut... WAS? WIE IN FÜNFZEHN MINUTEN SEID IHR BEI UNS?"
Susi: "Ja... Das war aber meine Idee, okay... Josi kann nichts dafür und.."
Phil: "Wo seid ihr genau?"
Susi: "In zehn Kilometer fahren wir von der Autobahn runter!"
Phil: "ALEX, FRANCO AUF WIR MÜSSEN LOS! ICH ERKLÄRE ALLES UNTERWEGS!.... Susi, wir fahren euch entgegen. Versuch Josi unter allen Umständen wach zu halten. Bis gleich..."

"Ohoh!", ich drehe meinen Kopf zur Fensterscheibe und weiß jetzt schon, dass wir sterben werden. Wenn ich nicht an Unterzuckerung sterbe, dann durch die Hände der drei anrauschenden Männer!

"Scheiße...." Susi wird jetzt auch mehr als nervös und drückt noch einen Ticken mehr aufs Gas. Als sie von der Autobahn runter fährt, hält sie auf der Landstraße an einer Ausbuchtung an, damit die Männer nachher sofort loslegen können und nicht die ganze Straße blockiert ist. Susi schickt noch schnell unseren Standort an Phil und versucht mich mit Fragen wach zu halten.

Mein Kopf dröhnt, mir ist übel, schwindelig, mein ganzer Körper zittert und ich bringe keine koordinierten Bewegungen mehr zustande.

Leise kommt uns das Signal des Martinshorn entgegen. "Josi, sie sind gleich da!" Susi wird ganz zappelig und man merkt ihr langsam die Überforderung an. Soweit ich überhaupt noch etwas merke. Die Lautstärke nimmt immer mehr zu und von weitem ist schon das Nef zu erkennen. Mein Körper rutscht automatisch, mit der aufkommenden Erleichterung, weiter in den Sitz. Verschwommen nehme ich wahr, dass das Nef fast schon an uns vorbeirauscht, jedoch mit einer gekonnten Vollbremsung knapp hinter uns zum Stehen kommt. Die Türen werden hastig aufgerissen und drei Männer springen auf uns zu. Alex reißt meine Türe auf und dreht sofort mein Gesicht zu sich. Susi steigt schnell aus dem Auto aus und macht Platz für Phil.
Dieser reicht irgendetwas an Alex und legt mir nebenher ein Pulsoxy an den Finger und friemelt eine Blutdruckmanschette an meinen Arm. "Vorsicht piekst kurz!" Alex misst meinen Blutzucker und bekommt ganz kurz große Augen. "Schnell, wir brauchen einen Zugang und Franco, zieh mir bitte ein Milligramm Glukagon auf!"

Phil nimmt meine Hand und wirft einen Blick auf das Pulsoxy: "Puls beschleunigt....Josi, atme bitte ganz ruhig weiter, okay? Das bekommen wir in den Griff!" Ich nicke so gut es geht vor mich hin und bekomme im selben Moment die Spritze mit dem Glukagon in den Oberschenkel gerammt. Das kurze Aufstöhnen kann ich mir nicht verkneifen und presse die Augen mit viel Druck zusammen. Alex nimmt meine, zur Faust geballte Hand und tätschelt sanft meinen Handrücken:
"Lass mal schön locker. Ich leg dir schnell einen Zugang!" Während ich versuche meine Hand zu entspannen, zurrt mein Freund den Stauschlauch um meinen Arm und desinfiziert kurz darauf meinen Handrücken. Nach einem kurzen Stich fixiert er auch schon den Zugang. Phil muss mich dann natürlich auch nochmal quälen und misst in bestimmten Abständen meinen Blutzucker.

Nach insgesamt zehn Minuten, als die Wirkung voll in Kraft tritt und mein Bewusstsein fast komplett aufgeklart ist, bekomme ich noch eine Ladung Traubenzucker in den Mund geschoben. "Gehts dir wieder gut soweit?" Franco hat zwischenzeitlich neben mir Platz genommen, da sich Phil Susi gekrallt und mit ihr ein Stück vom Auto entfernt hat. "Ja, danke. Schon viel besser!", mein leichtes Lächeln erlischt augenblicklich, als ich auf den bösen Blick von Alex treffe.

Tja, da musst du jetzt durch Josi!

Einzelkämpfer (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt