"Frau Mayer? Wo sind sie denn?", die Stimme irgendeiner Schwester dröhnt durch das Zimmer, aber ich kann nicht antworten, da ich gerade meine nächtliche Fressparty wieder aus meinem Körper verbannen muss. Meine unmenschlichen Laute müssen mich wohl verraten haben, denn es dauert nicht lange, bis die Türe des Badezimmer geöffnet wird und die besagte Schwester mich mit sorgenvoller Miene betrachtet: "Oh, sie arme! Ich hole schnell einen Arzt! Das kann man sich ja gar nicht mit anschauen!"
Dann guck doch weg!
Ich winke ihr ab, damit sie endlich verschwindet und mich alleine lässt. Entweder kann sie Gedanken lesen oder ich habe einfach den passenden Moment erwischt, jedenfalls gibt sie mir und meiner Kotzerei den Freiraum, den wir brauchen. Leider hält das nicht lange an. "Frau Mayer, das sieht aber nicht gut aus... Können sie sich denn schon von der Kloschüssel lösen? Ansonsten spritze ich ihnen sofort was in ihren Zugang und dann wird es bald etwas besser!", die Ärztin steht erwartungsvoll im Türrahmen und bekommt die Antwort in Form eines erneuten Würgeanfalls. "Okay, einen Moment. Bin gleich wieder da!", ich bin wirklich froh, dass sie wieder verschwindet, so kann ich mich getrost wieder meinem Essensauswurf widmen.
"Frau Mayer?", es rüttelt an meiner Schulter. "Hmmm?", ich habe mittlerweile meine Ellenbogen auf der Klobrille abgestellt und stütze meinen Kopf mit meinen Händen. "Ich würde Ihnen jetzt etwas gegen ihre Übelkeit spritzen. Dafür müssten sie mir kurz ihre Hand überreichen.” Tief durchatmend strecke ich ihr den Zugang entgegen und hoffe, dass die Erlösung schnell in Kraft tritt. "Dann kommen sie mal mit und legen sich wieder hin. Wir haben jetzt genauere Erkenntnisse und wissen, was ihnen fehlt!", die immer noch namenlose Ärztin hilft mir auf die Füße und läuft mit mir gemeinsam zu meinem Bett.
Sie stellt mir das Kopfteil weit nach oben, damit ich fast aufrecht im Bett sitze. Diese Position ist wirklich viel angenehmer als zu liegen."So, den Zuckertest können wir uns auf jeden Fall sparen. Anscheinend hätten wir den ja so oder so verschieben müssen!", ein leichtes schmunzeln zieht über ihre Lippen. "Eventuell schon. Tut mir leid!", reuevoll mustere ich meine Bettdecke und traue mich gar nicht mehr, der Ärztin ins Gesicht zu schauen. "Wir haben bei Ihnen eine Folsäuremangel-Anämie festgestellt. Dadurch lassen sich die Müdigkeit, die Blässe, die Atemnot und die Schwäche erklären. Sie bekommen jetzt Folsäure in Tablettenform verschrieben und in gewissen Abständen kontrollieren wir den Folsäure-Wert. Außerdem gebe ich Ihnen eine Liste mit Nahrungsmitteln mit, die viel Folsäure enthalten und die Sie regelmäßig zu sich nehmen sollten." Ich schaue sie zuerst geschockt, doch dann ziemlich erleichtert an: "Zum Glück lag Alex mit seinen Vermutungen daneben! Das kann man ja leicht beheben." "Die Symptomatik könnte auf ein ziemlich großes Spektrum an Krankheiten zurückführen und es ist immer wichtig, alles abzuklären!" "Ja, Alex geht da auch mal gerne vom Schlimmsten aus!", ich lächle sie leicht an und Atme erleichtert auf. "Es ist normal, dass Notärzte vom Schlimmsten ausgehen und wenn es dann noch seinen eigenen Partner betrifft, bekommt man es eben auch wirklich mit der Angst zu tun. Wenn man weiß, was schon bei den kleinsten infizierten Wunden passieren kann, dann ist man auf der Hut. Ich weiß, dass sowas manchmal nervig sein kann, aber diese Bürde trägt er nun mal und man sollte sich vor Augen halten, dass er nur das Beste für einen möchte!", ihre Erklärung ist relativ einleuchtend.
"Wie heißen Sie eigentlich?" "Ohje. Entschuldigung!", sie streckt mir die Hand entgegen, "ich bin Paula. Kannst mich gerne duzen". "Nicht schlimm. Ich bin Josi.""Josi. Da wäre noch etwas. Ähm, der HCG-Wert ist ziemlich, ziemlich hoch....", sie zieht beide Augenbrauen nach oben und ich stehe momentan voll auf dem Schlauch. "Somit lässt sich deine Morgenübelkeit mit Erbrechen ziemlich eindeutig erklären!" "Hab ich nen Virus?", auf meine Frage hin, lacht Paula nur. "Nein. Du bist schwanger!" "Okay, gut. Ich dachte schon...WAS?", mir fällt die Kinnlade fast auf meine Decke. "Wir haben vorsichtshalber nachgeschaut, weil du dir nicht wirklich sicher warst. Das Mittel gegen Übelkeit habe ich natürlich so ausgewählt, dass es dem Embryo nicht schadet!" "Nein!" "Doch!" "Wie geht das?" "Ähm, ich denke du weißt, wie das passieren konnte!", sie lacht kopfschüttelnd vor sich hin. "Nein.. Ich meine, ja schon, aber..."
Ich hab ein einziges Mal mit Alex geschlafen und dann landet er gleich einen Treffer? Scheiße, vor lauter Massage haben wir das Kondom vergessen und die Pille hatte ich ausgesetzt wegen den ganzen Medikamenten.... Fuck!
"Wir würden dir heute Mittag noch einen Termin beim Gynäkologen ausmachen. Ist das Okay? Achja, Herzlichen Glückwunsch!"
Oh mein Gott, du bist schwanger! Du hast ein Kind in dir! Du hast vor zwei Tagen geraucht und davor mit Susi Unmengen an Sekt getrunken und Tabletten genommen....Und Alex ist sauer und nichts ist geklärt und...
Total überfordert, schlage ich die Hände vor mein Gesicht: "Vorerst kein Wort zu Alex!" "Natürlich! Es herrscht immer noch ärztliche Schweigepflicht. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, dann sag Bescheid. Ich lass dich das jetzt erst mal verdauen, okay?" Paula streicht mir über den Rücken und verlässt das Zimmer.
Vielleicht träume ich und muss nur aufwachen!
Ich zwicke mir selbst in den Arm und merke, dass ich leider ganz und gar nicht schlafe.
Das geht doch nicht! Wir sind überhaupt noch nicht so lange zusammen und gerade ist doch alles schwierig..... Michael wird sich auch freuen, kaum eingestellt, dann krank und kurz darauf schwanger! Klasse, echt..
"Was mach ich denn jetzt?", ich bin total verzweifelt, die Tränen kämpfen sich in Rekordzeit durch die Tränenkanäle und stürzen sich erbarmungslos in die Tiefe.
Ich muss erst alles mit Alex klären und dann werde ich ihm von dem Kind erzählen… Ich will nicht, dass er mich nur will, weil ich aus Versehen schwanger bin.
Mein Puls rast, mein Kopf pocht, meine Verzweiflung wächst. Wie gerne würde ich jetzt mit jemandem darüber reden, aber wenn, dann muss Alex zuerst davon erfahren… Also ist das diesmal keine Option
Was jetzt noch übrig bleibt, ist die Verzweiflung, in einem Meer aus Tränen zu ersticken. Ich lasse das Kopfteil wieder nach unten in die Waagerechte, ziehe das Kopfkissen über meinen Kopf und knalle die Bettdecke ebenfalls über meinen Oberkörper. In meinem Leben habe ich wahrscheinlich noch nie so geheult, wie in diesem Moment.
Zu meinem Glück muss jetzt natürlich jemand zur Türe hereinkommen. Ich versuche, denjenigen so gut es geht zu ignorieren. Mein schützender Wall wird weggerissen: "Josi, was ist los? Ist was passiert?" Mein Bruder setzt sich auf die Matratze und ich lasse mich auf seinen Brustkorb ziehen.
Meine Hände krallen sich in sein Shirt, als wenn er meine letzte Rettung wäre und mein Schluchzen wird von Sekunde zu Sekunde schlimmer."Pssscht! Beruhig dich. Was ist passiert? Rede mit mir!", er hält mich fest in seinen Armen und drückt mir einen Kuss auf den Kopf. "I-I-I-Ich" "Hmmmm. Ich glaub du beruhigt dich erst, sonst hyperventilierst du mir noch. Ich bin da und lass dich nicht alleine, okay?!" Seine sanfte, raue Stimme dringt direkt in mein Ohr. Ich kralle mich noch etwas fester an ihn und versuche mich auf seinen Herzschlag zu konzentrieren, der direkt unter meinem Ohr schlägt. Tom ist sehr geduldig und wartet, bis ich wieder einigermaßen klar bei Verstand bin: "Ist es wieder ein bisschen besser?" Ich nicke vor mich hin und atme zittrig ein. So gerne ich meinem Bruder jetzt auch erzählen würde, dass er Onkel wird, ich muss es für mich behalten. Als Grund schiebe ich meine Diagnose in den Vordergrund.
"Aber warum weinst du denn dann so schrecklich, wenn das alles so leicht zu beheben ist?"Ja Tom, die Frage ist berechtigt.
"Ich weis nicht, mir ist es gerade einfach zum heulen zumute!"
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Einzelkämpfer (ASDS)
FanfictionASDS - Fanfiction Josi hat ein ernstes Problem an der Backe und versucht davor zu flüchten. An ihrem Zielort, trifft sie unglücklicherweise auf ihren Bruder, zu dem sie schon lange keinen Kontakt mehr hatte und der seiner Schwester unbedingt helfen...