22. Flucht

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„Ich bitte dich. Wenn sie herausfinden, dass du hier warst, kann ich meinen Vater vielleicht nicht mehr umstimmen." Sie schnaubte daraufhin. Sollte das heißen, dass sie gezwungen war zu fliehen? „Die Treppe hoch oder wie war das?", fragte sie nach. Es gefiel ihr zwar nicht, aber manchmal musste man sich dem Leben fügen. „Komm, ich zeige dir den Weg!" Der Prinz schloss die Tür wieder auf und ging vorsichtig den Gang entlang. Raisa folgte ihm, allerdings weniger vorsichtig. Warum sollte sie auch vorsichtig sein? Soldaten waren nun wirklich kein Problem für sie.

Der Prinz führte sie bis zu der Treppe. „Du musst hier hoch, bis du an einer Tür ankommst. Wenn du draußen auf der Schutzmauer bist, gehe zu einem der Wachtürme und bahne dir deinen Weg nach unten. Ich bin davon überzeugt, dass du es schaffst." Was dachte er denn? Er sollte sie bloß nicht unterschätzen! „Viel Glück, Lady Raisa. Wir sehen uns in Hyrule." Raisa sah emotionslos zu dem Prinzen. „Sehe ich etwa wie eine Lady aus?", fragte sie. Eine Antwort wollte sie gar nicht hören, weshalb sie bereits die Treppen hoch ging. Raisa und eine Lady... Das passte einfach nicht. Sie war skrupellos, kaltherzig, direkt und schroff. Manieren existierten bei ihr nicht und Wert auf ihr Äußeres legte sie auch nicht. Scheinbar hatte der Junge noch nie eine Lady gesehen, ansonsten würde er nicht einen solchen Unfug reden.

Sie kam bei der besagten Tür an und ging hinaus. Die Mauer war schon einige Meter hoch. Wer da hinunter fiel, brach sich entweder sämtliche Knochen oder starb direkt.
Sie sah sich um und erkannte weit und breit keine Wachen. Wie konnte das sein? Die waren doch nicht etwa alle auf der Suche nach ihr, oder? Nun denn, sie nahm es als eine glückliche Fügung an und machte sich auf den Weg zu einem der Türme. Ein wenig skeptisch war sie dennoch.
Als sie denn bei einem der Türme ankam, musste sie feststellen, dass die Eisengitter von diesem herunter gelassen wurden. Somit kam sie weder dort hinunter, noch konnte sie auf der Schutzmauer weiter gehen. Sie könnte versuchen an dem Turm vorbei zu klettern, allerdings war dies ziemlich heikel. Und wer da hinunter fiel, war des Todes. „So ein Dreck", murmelte sie und versuchte das Gitter hoch zu ziehen. Erfolglos. Dafür hatte sie als Frau einfach nicht genug Kraft.

„Es hat ganz den Anschein, als würdest du in der Klemme stecken." Diese Stimme kannte sie leider zu gut. Sie drehte sich um und beobachtete, wie das Federvieh auf der Schutzmauer landete. Er verschränkte die Flügel vor der Brust und sah sie provokant an. „Nachdem du mich die ganze Arbeit machen lassen hast, lässt du dich also wieder blicken?", fragte sie schroff. Warum musste sie ihm wieder begegnen? Wo sie doch die andere Nervensäge grade los war.
„Du solltest mir dankbar sein. Hätte ich nicht die eine Wache vom Tor gelockt, wärst du nie in das Schloss gekommen." Er hatte was getan? Nur durch ihn war sie in das Schloss gekommen? Das war ja schon schlimmer, als ein Schlag in den Magen.

„Woher wusstest du überhaupt, dass ich in das Schloss wollte?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihn argwöhnisch an. „Nachdem unser Kampf nicht so glimpflich für mich ausgegangen war, hatte ich mich erst einmal zurückgezogen. Dann wurde mir aber klar, dass ich dich im Auge behalten musste. Ich hätte dich doch nicht die Stadt zerstören lassen können! Wiedergefunden hatte ich dich dann hier und mir wurde klar, was du vorhattest. Und da es dich ungemein ärgern würde, wenn ich dir eine Hilfe geben würde, habe ich eben dies getan." Raisa hörte ihm zu und war am Ende kurz davor ihn noch einmal zu schlagen. Was fiel ihm ein?! Wenn er die gesamte Zeit wusste, was sie vorhatte, dann hätte er ruhig dazu stoßen können! Sie musste diesen nervigen Prinzen, zum Beispiel, ganz alleine ertragen.

Raisa ging auf ihn zu und war kurz davor ihn anzuschreien. Doch man kam ihr zuvor. „Dahinten sind sie! Ergreift sie!" Ihr Blick fiel auf die Schar von Soldaten, die sich auf der direkt gegenüberliegenden Seite befand. Das hatte ihr grade noch gefehlt!
„Hör mir zu! Ich kann dich wirklich nicht ausstehen! Du bist die grauenhafteste Person, die ich je traf. Du widerst mich wirklich an. Allerdings bekomme ich ziemlich große Probleme, wenn ich ohne dich nach Hyrule zurückkehre. Zudem scheinst du die Einzige zu sein, die Vah Inazuma steuern kann. Und bis die Verheerung geschlagen ist, ist die Kraft der Titanen unabdingbar! Außerdem... Ich glaube, dass das, was du in diesem Schloss getan hast zum Wohle Hyrules war. Und da Hyrule meine Heimat ist, muss ich dir wohl entgegen kommen. Bilde dir aber bloß nichts darauf ein." Er kniete sich vor ihr hin und streckte seine Flügel aus. Aber... Dafür war sie zu stolz! Sie würde sich nicht von ihm fliegen lassen. „Das kannst du vergessen!", sagte sie. „Vergiss deinen verdammten Stolz, genau wie ich, dieses eine Mal!" Raisa sah die Soldaten auf die beiden zukommen. Dies war eine schier unermessliche Zahl! Und die riesigen Zweihänder, die sie in Händen hielten...
Ihr Stolz schaltete sich ab und das einzige woran sie dachte, war das nackte Überleben. Somit stieg sie, ohne groß zu überlegen auf den Rücken des Federviehs und hielt sich fest. Bevor die Soldaten sie erreichten, begab er sich in die Lüfte. Und selbst mit ihr war das Federvieh verdammt schnell. Zumindest kam ihr das so vor.

Sie drehte sich zu ihren Feinden und das nächste was sie sah, waren rote, blitzschnelle Dinge, die auf sie zukamen. „Die wollen uns mit Feuerpfeilen abfackeln!", rief sie dem Federvieh zu. Dieser hatte die Feuerpfeile bereits bemerkt. Ohne Vorwarnung drehte er sich. In ihrer Not klammerte sich Raisa an ihn. Oder um ehrlich zu sein, schnürte sie ihm die Luft ab, da sie mit ihrem gesamten Körpergewicht an seinem Hals hing. Daraufhin segelten die beiden erstmal ein ordentliches Stück nach unten. Er fing sich allerdings wieder und drehte sich so ruckartig, dass Raisa wieder auf seinem Rücken platziert war. „Willst du mich umbringen?", giftete er sie an. „Das gleiche könnte ich dich auch fragen!", fauchte sie zurück.
Das dies der unpassendste Moment zum Streiten war, schien beiden egal zu sein. Bis der nächste Feuerpfeil an den beiden vorbeizischte. „Halt dich fest", sagte er. Raisa hasste es auf andere hören zu müssen, aber da sie keinen Freiflug in Richtung Tod wollte, tat sie, was er sagte.

Im Flug drehte sich das Federvieh um. Trotz Raisa als Hindernis auf dem Rücken, war sein Bogen schnell gezogen und er schickte eine Menge Pfeile auf einmal zu den Soldaten. „Halte den", sagte er und drückte ihr seinen Bogen in die Hand. Die Pfeile der Soldaten erreichten die beiden nicht mehr und somit waren sie außer Gefahr. Revali flog zum Pferdestall, welcher außerhalb von Epysa war und landete dort. Über die vergangenen Minuten verlor keiner von beiden ein Wort.

„Dein Bogen." Sie hielt ihm das edle Stück Holz vor den Schnabel. Er nahm in ihr ab und hängte in wieder über seinen Rücken. „Jetzt geh und hol deinen Gaul. Wir müssen nach Hyrule!" Er war wieder so widerlich wie vorher. „Erteile mir keine Befehle!", sagte sie. Beide waren kurz davor wieder zu streiten, doch sie besannen sich. Raisa wand sich von dem Federvieh a und ging zum Inhaber des Stalls. Sie sagte nicht viel, nur dass sie nun ihren Hengst holen würde.

Auf der Koppel ging sie zu dem schwarzen Pferd. Seltsam, es fühlte sich an, als wäre es eine Ewigkeit her, dass sie ihn das letzte Mal sah. Dabei war es heute Morgen. Der Tag war eben ziemlich anstrengend und hatte das ein oder andere Ereignis mit sich gebracht. Nun war der Himmel dabei sich zu verfinstern. Auch wenn es nicht sonderlich klug war, bei Nacht zu reisen, so hatten Raisa und Revali keine Wahl. Sie mussten so schnell wie möglich nach Hyrule und König Rhoam berichten.
Raisa stieg auf ihren Hengst und Revali begab sich in die Lüfte. Dies würde die zweite Nacht in Folge werden, die Raisa ohne Schlaf verbrachte. Aber es nützte nichts. Sie mussten sich beeilen.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt