88. Die Suche beginnt

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  „Gab es da mal nicht diese dämliche Geschichte? Wie diese Berge entstanden sind, meine ich?", fragte Raisa, während sie den Pass zwischen den Zwillingsbergen passierten. „Es heißt, die Göttin Hylia habe einst ein Teil unseres Landes in den Himmel gehoben. Dabei wurde der Berg in zwei Teile geteilt. Als dieses Stück Land vom Himmel wieder zurückkehrte, hatte man zwei Berge nebeneinander", erzählte Revali. Woher er das schon wieder wusste... „Du kannst auch jedes Buch zitieren, oder?", fragte sie mit einem Hauch von Spott.
„Spar' dir deine blöden Kommentare und fang an nachzudenken. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir ohne Anhaltspunkt suchen dürfen." Für Raisa war es fast schon amüsant zuzusehen, wie er sich darüber ärgerte. „Du kannst ja gehen. Ich zwinge dich nicht, hier zu bleiben", erwiderte sie. „Das hättest du wohl gerne." Und wie gerne sie das hätte.


Während er und sie sich nun erfolgreich anschwiegen, fing sie tatsächlich an, sich Gedanken darüber zu machen, wo sie mit der Suche beginnen sollten. Das einfachste wäre ja, wenn sie systematisch vorgehen würde. Und ein großer Vorteil, den sie sich aber nicht eingestehen wollte, war, dass Revali fliegen konnte.


Eine andere Möglichkeit wäre, per Ausschlussverfahren einige Gebiete auszuschließen und somit dieses riesige Areal zu verkleinern. Und das war die Art, wie sie vorgehen wollte.
„Also ich bezweifle sehr stark, dass der Leune sich in der Nähe der Wege aufhält. Denn dann wäre es kein Gerücht, sondern eine Tatsache, dass es ihn gibt. Wir können also davon ausgehen, dass er an schwieriger zu erreichenden Orten ist. Die Berge kann man ausschließen, da nach unseren Erfahrungen Leunen doch immer auf größeren Ebenen waren. Und die meisten Berge hier in Necluda verlaufen nun mal Spitz nach oben. Demnach... Ein Plateau eventuell?" Revali schaute daraufhin nur verwundert zu Raisa hinunter. „Kannst du mir mal sagen, seit wann du eine solche Auffassungsgabe hast und seit wann du zur Strategin geworden bist?", fragte er hingegen.


„Das war nur ein Gedanke. Und im Gegensatz zu dir bemühe ich mich wenigstens herauszufinden, wo dieser Leune sein könnte. Also, gibt es hier nun ein Plateau oder nicht?" Wenn dem wirklich so wäre, dann würde sie fast ihre Hand ins Feuer halten, dass der goldene Leune dort war.
„Sehe ich für dich wie eine wandelnde Karte aus?", entgegnete er schroff. Raisa ließ mit einer Hand die Zügel los und fasste sich mit einem Finger ans Kinn. „Jetzt wo du es sagst...", sagte sie und sah zu ihm herauf.


Revali rollte nur mit den Augen und flog ein ordentliches Stückchen von ihr weg. Sie schüttelte daraufhin etwas belustigt den Kopf und steuerte den Stall an, der sich hinter den Zwillingsbergen befand. In jedem Stall befand sich eine Landkarte und eine solche brauchte sie grade.
Sie stieg vom Pferd und Band die Zügel um einen Pflock. „Willst du jetzt weiter schmollen oder kommst du?", rief sie zu Revali. Dieser landete daraufhin neben ihr. „Ich schmolle ganz sicher nicht", sagte er ernst. Oder versuchte es zumindest ernst zu sagen. „Natürlich", war ihre ironische Antwort.


Im Inneren des Stalles standen beide nun vor der Landkarte. „Nur mal so erfragt... Wärst du ohne mich jetzt nicht aufgeschmissen? Schließlich kannst du nicht lesen", sagte Revali. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah zu ihm auf. „Ich würde einen der Angestellten fragen. Glaubst du, ich bin von dir abhängig?", erwiderte sie. Was bildete sich dieser Vogel nur ein? „Wie auch immer", sagte er und wandte sich der Karte zu.
„In Necluda gibt es zwei Plateaus. Einmal das Halbluth-Plateau und das Zukaje-Plateau." Er zeigte dabei auf jene Positionen auf der Karte. „Dann lass uns zuerst zum Halbluth-Plateau, das liegt praktisch auf dem Weg", beschloss Raisa und verließ den Stall wieder. Ihr Blick galt daraufhin dem Himmel.


„Sieht nach Regen aus", sagte sie. „Nicht eher Schnee?", fragte Revali daraufhin. „Nein. Dieses Jahr... Diesen Winter wird es wohl keinen Schnee mehr geben. Um Weihnachten und Silvester herum hat es zwar viel geschneit, doch der ist, wie unschwer zu erkennen, bereits wieder geschmolzen."
Hylia sei gedankt, dass dieses widerliche Wetter ein Ende hatte. „Lass uns weiter, wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch bevor die Sonne untergegangen ist. Dazu müssen wir allerdings Glück haben und den Leunen dort beim Plateau finden."


Raisa schwang sich auf ihr Pferd und nahm die Route Richtung Hateno. Es würde wirklich ein Wettlauf gegen die Zeit werden, wenn er und sie beabsichtigten, noch vor Sonnenuntergang mit der Sache durch sein zu wollen. Aber gut, die Herausforderung nahm sie an.
Blöderweise...fing es tatsächlich unterwegs an zu regnen. Und nein, es war kein Nieselregen, es regnete in Strömen. Allerdings hatten beide nicht vor die Reise zu unterbrechen, weshalb sie den Regen wohl oder übel ertragen mussten. „Was ich jetzt für eine Kutsche geben würde", sprach sie genervt zu sich selbst. Das einzig Gute an diesem Platzregen war, dass er genauso schnell wieder verschwinden würde, wie er gekommen war.


Und tatsächlich, kurz vor dem Ziel war es nur noch am Nieseln. Nichtsdestotrotz war sie klatschnass und fror, als wäre sie in eine Wanne voll mit Eiswürfeln geworfen worden. Zwar war das nicht mit Hebra zu vergleichen, dennoch alles andere als angenehm.
„Dort oben also?", fragte sie und Revali nickte. Sie beide standen vor einer riesigen Felswand. Und dort oben war nun das Plateau. „Ich sehe nach. Du bist zum Klettern sowieso bei dieser Nässe unbrauchbar", sagte er. Sie schnaubte nur und sah Revali hinterher. Irgendetwas sagte ihr, dass sie den Leunen hier nicht finden würden. Zumal dieses Plateau auch nicht das war, was sie suchten.


Nach einiger Zeit kam Revali zurück und dem Ausdruck in seinem Gesicht zu urteilen, lag sie mit ihrer Vermutung richtig. Kein goldener Leune. „Du brauchst nichts zu sagen. Ich kann es mir denken", sagte sie, als Revali grade zum Sprechen ansetzte.
„Und was machen wir nun? Bei Nacht werden wir wenig sehen, was mit der Nässe gefährlich werden könnte", verlangte er von ihr zu wissen. „Wir suchen uns hier in der Nähe einen Platz und warten bis zum Morgengrauen", antwortete sie. „Wir könnten auch zum Stall zurück." Ihm schien der Gedanke die Nacht im Freien zu verbringen nicht zu gefallen. „Ich habe kein Geld", antwortete sie monoton. „Nicht einen einzigen Rubin", fügte sie noch hinzu. Revali verdrehte nur die Augen.
„Du bist wirklich keine Bereicherung", sagte er genervt. Aber er war eine Bereicherung oder was?


Raisa stieg vom Pferd und ging zu Fuß weiter. Das Federvieh ging neben ihr. Irgendwann dann, als der Mond und die Sterne bereits am Firmament zu sehen waren, fanden die beiden Recken einen geeigneten Platz.

„Das Holz ist nass. Es wird nicht gut brennen... Falls es überhaupt brennt." Revali genoss den Anblick von Raisa, wie sie sich bemühte, das Holz anzuzünden. „Ist mir egal, ob es gut brennt oder nicht. Es soll einfach nur brennen. Ich habe keine Lust zum Eiszapfen zu erstarren in der Nacht, klar?" Nach unzähligen Fehlversuchen gelang es ihr dann endlich. Sie legte sich auf die Decke, die sie in der Satteltasche verstaut hatte, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zu den Sternen auf Und das solange, bis sie einschlief. Was das Federvieh machte? Das war ihr so egal... Hauptsache, wenn sie wieder aufwachte, war alles so, wie es sein sollte.


Doch diese Nacht würde ihr keine Freude bereiten.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt