93. Unwohlsein

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Die Nachricht, dass der goldene Leune besiegt wurde, hatte sich im Land schnell kund gemacht. Dabei hieß es immer wieder, welche Personen doch so verrückt seien, sich dies gewagt zu haben. Unter den Recken war es ein offenes Geheimnis, wer dafür verantwortlich war. Doch bisher hatte es niemand angesprochen. Nach dem Kampf gegen den Leunen hatte Raisa sich zu ihrem Titanen zurückgezogen und hatte diesen auch nicht mehr verlassen. Das lag allerdings daran, dass sie sich miserabel folgte. Ihr Körper war träge, ihr war heiß und kalt zugleich und sie hatte höllische Kopfschmerzen. Richtig sprechen konnte sie vermutlich auch nicht und im gefühlten Minutentakt hustete sie sich ihre Seele aus dem Leib.


Aus all diesen zog sie es vor, in ihrem Titan und in ihren Decken zu bleiben, um sich auszukurieren. Doch irgendwie brachte es nichts und es ging ihr von Tag zu Tag schlechter. Und wenn das alles nicht schon dreckig genug wäre, bekam sie jetzt auch noch Besuch. Ungewollten Besuch und dreimal durfte geraten werden, wer da war?


„Du scheinst auch nicht zu begreifen, dass ich hier lebe und meine Ruhe haben will, oder?" Es schmerzte fürchterlich, als sie diese Worte aussprach. Zudem hörten sie sich kratzig an und hatten fast vollkommen ihren typischen Unterton verloren. „Glaube mir, ich wäre freiwillig nicht gekommen. Doch unsere liebe Prinzessin missbraucht meine Wenigkeit als deinen persönlichen Briefträger." Raisa sah zu Revali, welcher ihr einen Brief zuwarf. So träge wie ihr Körper war und dadurch, dass ihre Sinne benebelt waren, gelang es ihr nicht, das Stück Papier aufzufangen. Das nervte Raisa schon so sehr, dass sie kurz davor war, ihn auf dem Boden liegen zu lassen. Doch da sie eine Vermutung hatte, wer ihr schrieb, hob sie ihn auf, was ein ziemlicher Akt war.


Dass es ihr schlecht ging, blieb auch Revali nicht verborgen. Prüfend ließ er seinen Blick über sie wandern. Krank... Sie war sowas von krank. „Ich weiß, du hast ein gesundes Selbstbewusstsein, doch du siehst furchtbar aus. An deiner Stelle würde ich ja einen Arzt aufsuchen", sagte er. Bei der Erwähnung des Wortes 'Arzt' verfinsterte sich Raisa's Blick nur noch mehr.
„Ich würde nicht einmal einen Arzt aufsuchen, wenn ich halb tot wäre." Wieso nur musste sich jedes Wort aus ihrem Munde so bescheuert anhören? „Du bist merkwürdig. In jeder unpassenden Situation kannst du deinen Stolz ablegen. Kaum musst du es wirklich tun, bist du nicht bereit dazu", bemerkte er. Das hatte nichts mit Stolz zu tun. Ärzte waren für Raisa einfach nur abscheuliche Personen.


Es gab eine Zeit, da hätte sie deren Hilfe wirklich gebraucht. Doch zu dieser Zeit war niemand bereit gewesen einem Kind von der Straße zu helfen. Jetzt, wo sie erwachsen war und auch noch zu den Recken gehörte, würde wohl jeder Arzt es begrüßen, sie behandeln zu dürfen. Denn so etwas sprach sich herum und konnte diesen Bastarden noch ansehen verschaffen. Das gönnte sie ihnen nicht.


„Merkwürdig sagst du?", fragte sie nach. Das war ja fast schon nett von ihm ausgedrückt. Er erwiderte jedoch nichts, weshalb auch sie sich abwandte und den Brief in Händen drehte. Und da war es, das Siegel der Königsfamilie von Epysa. Also hatte sie wirklich bekommen, was sie wollte. Bei diesem Anblick zuckte sogar ihr Mundwinkel verräterisch. Doch selbst zu einem triumphierenden Grinsen war ihr grade nicht zumute. Sie öffnete den Umschlag und holte den Brief heraus. Doch gab es nur ein Problem: die Sache mit dem Lesen. Es war nicht so, dass sie es nie versucht hatte, zu erlernen, alleine war es nur fast unmöglich. Revali, welcher sich noch immer in Raisa's Titanen befand, schaute zu wie diese versuchte, die Worte zu entziffern – es letztlich jedoch aufgab, da es keinen Sinn hatte.


Sie war so ein stures Weib... Er fragte sich, ob sie überhaupt merkte, dass es ihr keineswegs gut ging. Immerhin war es für ihn schon auf eine Entfernung von zehn Metern sichtbar. „Gib her", sagte er recht unfreundlich, bot ihr letztlich aber somit an, den Brief vorzulesen. „Als würde ich dir vertrauen, du elender..." Sie kam nicht weiter, denn sie wurde von dem Bedürfnis sich die Seele, vielleicht auch mehr, aus dem Leib zu husten, unterbrochen. Na ja, ein wenig amüsant fand er es schon, dass sie nicht in der Lage war ihn zu beleidigen.


Er nahm ihr schließlich die Mühe ab, sich zu entscheiden und entwendete den Brief aus ihrer Hand. In ihrer jetzigen Verfassung war sie nicht in der Lage ihm irgendetwas entgegenzusetzen. Es sei denn, er würde sie ungemein wütend machen. Er glaubte, dass Raisa dann auf ihn losgehen würde, egal in welcher Verfassung sie sich befand. „Mach jetzt", verlangte sie und massierte sich die Schläfen.
„Meine geliebte Raisa..." Er konnte nicht anders, als zu stoppen und diese drei Worte erneut durchzulesen, nur damit sein Blick auf die nun mehr oder minder Weißhaarige fiel. Diese blieb von den Worten unberührt und versuchte einen genauso kalten Ausdruck wie immer zustande zu bringen.


„Er ist ein Idiot", war ihr Kommentar dazu. Revali schüttelte kaum merklich den Kopf und las weiter vor. „Ich bin deinem Anliegen schnellstmöglich nachgekommen, jedoch muss ich dich leider enttäuschen. Dass wonach du suchst, befindet sich nicht in diesem Buch. Dennoch bin ich mir sicher, dass du schon noch deine Antwort finden wirst, denn keine Person auf dieser Welt hat mehr Kompetenz dazu seine Ziele zu erreichen, als du! Im Übrigen würde ich mich freuen, wenn du mal wieder nach Epysa reitest und mich in meinen Hallen besuchst. Für den Fall, dass du diese Einladung nicht annehmen kannst, möchte ich dich darauf hinweisen, dass ich in naher Zukunft nach Hyrule reisen werde. Ich hoffe, dass wir uns zumindest dann begegnen werden. Gezeichnet: Prinz Timor von Epysa", las Revali vor.


Als er sein Blick wieder von dem Papier zu Raisa wandte, sah er, wie sie die Augen geschlossen hatte und ein paar Finger gegen die Stirn drückte. Selbst in ihrem kranken Erscheinungsbild sah man, dass sie mehr als genervt war.


Etwas was ihm, vom Anfang an, an Raisa aufgefallen war: sie machte sehr oft Gebrauch von Gesten. So wie auch jetzt. Jedoch änderte sie ihre Haltung. Mit verschränkten Armen lehnte sie sich gegen ihren Titanen. „Ich habe diesen unfähigen Bastard umsonst bestochen", sagte sie säuerlich. Ihm fiel auf, dass Raisa ziemlich schwer atmete. Ihre Sturheit brachte sie noch ins Grab, wenn das so weiter ging. „Den Prinzen?", fragte Revali nach. „Glaubst du wirklich, dass ich den zu bestechen brauche?", erwiderte sie lediglich. Sie verstärkte den Griff ihrer Arme und drückte diese gegen ihren Oberkörper.


Dachte Raisa wirklich, dass ihm dies nicht entgehen würde? Nein, sie wusste es genau, dass er sie mit Adleraugen im Blick behielt, doch sie wollte ihren Stolz behalten und ihn wie eine Rüstung umlegen. „Ich denke nicht", sagte er. Sein Blick wanderte kurz weg hinaus zum Schloss. Einen Moment lang ging das gut, bis ein Poltern seine Aufmerksamkeit bekam. Und im ersten Moment, wusste er nicht, was er tun sollte.


Da lag sie, Raisa, die kollabiert war und sich nicht weiter rührend auf dem Boden befand. Sein Verstand signalisierte ihm langsam, was passiert war und das er nun etwas tun musste. Er kniete sich zu der Frau, dessen Leben grade womöglich in größerer Gefahr befand, als er dachte.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt